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Gute Umfrageergebnisse, schlechte Aussichten für Belgiens Regierung

Flagge von Arizona

Von Michael Stabenow

Ein Jahr nach der Parlamentswahl und vier Monate nach ihrem Amtsantritt stehen die Zeichen für die belgische Arizona-Regierung günstig – freilich nur auf den ersten Blick. Die jüngsten Ergebnisse einer alle drei Monate von den Fernsehsendern VTM und RTL sowie den Zeitungen Le Soir und Het Laatste Nieuws veröffentlichten Meinungsumfrage deuten für vier der fünf Koalitionsparteien zumindest auf Stabilität hin. Deutlich sinkende Zustimmungswerte weist die Umfrage nur für die französischsprachigen Liberalen (MR) aus.

Am Horizont türmen sich jedoch finstere Wolken auf. So nährt die belgische Nationalbank (BNB) in ihren jüngsten wirtschaftlichen Prognosen Befürchtungen, dass ungeachtet der angekündigten und zum Teil schon beschlossenen Reformen die Staatsfinanzen weiter aus dem Ruder laufen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass auf Belgien mit der voraussichtlich beim kommenden Nato-Gipfeltreffen in Den Haag vereinbarten Steigerung der Verteidigungs- und der auch diesem Zweck dienenden Infrastrukturausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eine schier unlösbare Aufgabe zukommen dürfte.

Die Arizona-Regierung hat zwar angekündigt, in diesem Jahr zusätzlich vier Milliarden Euro für die Verteidigung aufzuwenden. Damit könnte Belgien, das zuletzt 1,28 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgab und damit – vor Luxemburg – an vorletzter Stelle beim Bestreben der 32 Nato-Staaten lag, das von der Allianz 2014 für 2024 ausgegebene Ziel von zwei Prozent erreichen. Abgesehen davon, dass noch unklar ist, wie Belgien für die zusätzlichen Ausgaben von vier Milliarden Euro aufkommen kann, ist die Zukunftsvision noch düsterer. Um das Fünf-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste das Land nach jetzigem Stand die Verteidigungsausgaben von derzeit knapp 13 auf über 30 Milliarden Euro steigern.

An welchen Bäumen wachsen die Milliarden?“

Verteidigungsminister Theo Francken (N-VA) hat nach der jüngsten Sitzung mit seinen Nato-Amtskollegen beschwichtigend erklärt, dass das Ziel erst mit der Zeit, also ohne präzises Zieldatum, erreicht werden solle. Dennoch hat sich der oft forsch auftretende Flame den Unmut von drei der fünf Koalitionspartnern zugezogen: der zentristischen Partei „Les Engagés“ sowie der flämischen Sozialisten (Vooruit) und Christlichen Demokraten (CD&V). Deren Vorsitzender Sammy Mahdi stellte sarkastisch die Frage: „An welchen Bäumen wachsen die Milliarden?“

Für ein wenig argumentative Abhilfe kann sorgen, dass derzeit Verteidigungsausgaben nicht in die Bewertung der Staatshaushalte durch die Europäische Kommission einfließen. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Ausgaben zu einem guten Teil durch zusätzliche Kreditaufnahmen gestemmt werden müssen – kein gutes Omen für das Standing Belgiens bei den internationalen Ratingagenturen.

Zweifel der Nationalbank an der Koalitionsarithmetik

Zudem hat der Gouverneur der Nationalbank, Pierre Wunsch, jetzt indirekt der Regierung vorgeworfen, die Effekte ihrer Maßnahmen, darunter die derzeit im Parlament diskutierte zeitliche Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf zwei Jahre schöngerechnet zu haben. So drohe das schon zuletzt mit 5,2 Prozent des BIP deutlich oberhalb der Drei-Prozent-Grenze der EU liegende Niveau der öffentlichen Neuverschuldung auf 5,6 Prozent im Jahr 2027 anzuwachsen. Der Schuldenstand könnte im gleichen Zeitraum um acht Prozentpunkte auf 112,7 Prozent steigen.

Angesichts solcher Perspektiven stellt sich die Frage, ob das gute Abschneiden von vier der fünf Arizona-Parteien bei der jüngsten Umfrage mehr als eine Momentaufnahme sein kann. Ein Ende der fortdauernden, durch regelmäßige Streiks geprägten Auseinandersetzungen um die geplante Rentenreform und andere Sparpläne der Regierung ist nicht absehbar.

Die Partei von Premierminister De Wever schneidet besonders gut ab

Dennoch kann sich vor allem die flämisch-nationalistische Partei von Premierminister De Wever derzeit im Lichte der Umfrageergebnisse sonnen. So kann die N-VA derzeit im flämischen Anteil mit 26,3 Prozent und damit 0,8 Prozentpunkten mehr als bei der Parlamentswahl am 9. Juni 2024 rechnen. Der am rechten Rand des Parteienspektrums angesiedelte Vlaams Belang könnte gegenüber Juni 2024 noch um einen Prozentpunkt auf 22,8 Prozent zulegen; gegenüber den im März veröffentlichten Umfrageergebnissen, als sie mit 25,7 Prozent knapp vor der N-VA lag, musste die Partei aber Einbußen von fast drei Prozentpunkten hinnehmen.

Bemerkenswert ist, dass die sich seit Jahren in der Wählergunst auf Talfahrt befindlichen flämischen Christlichen Demokraten laut Umfrage jetzt mit 14,5 Prozent um 1,8 Prozentpunkte besser dastehen als vor Jahresfrist. Leicht verbessert – von 13 auf 13,4 Prozent – zeigen sich auch die flämischen Sozialisten, während die von inneren Streitigkeiten geplagten Liberalen (Open VLD) des früheren Regierungschefs Alexander De Croo mit 6,1 Prozent deutlich unter das – zumindest aus ihrer Sicht – schon miserable Wahlergebnis von 8,7 Prozent abgerutscht sind. Trotzdem liegt De Croo in Brüssel und der Wallonie weiter auf Platz zwei der beliebtesten Politiker.

Tiefer Graben zwischen wallonischen Sozialisten und Liberalen

Wenig Grund zur Freude haben beim Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse auch die Anhänger der französischsprachigen liberalen Schwesterpartei MR im wallonischen Landesteil. So musste die dort im Bündnis mit „Les Engagés“ regierende Partei ihre vor Jahresfrist mit einem damals überraschend hohen Stimmenanteil von 28,2 Prozent errungene Spitzenstellung wieder an die Sozialisten (PS) abtreten. Während der MR nun bei 24 Prozent liegt, konnten die Sozialisten gegenüber der Wahl vor einem Jahr um 3,7 Prozentpunkte auf 25,5 Prozent zulegen.

Die Gräben zwischen beiden Parteien scheinen tiefer als jemals zuvor zu sein. Das hat sich am vergangenen Donnerstag bei einem lautstark und giftig geführten sowie mehrfach durch abgeschaltete Mikrofone begleiteten Schlagabtausch der Parteichefs Georges-Louis Bouchez (MR) und Paul Magnette (PS) im Fernsehsender RTBF gezeigt .

Magnette steht derzeit auch unter erheblichem Druck populistischer Konkurrenz von links. So liegt die PTB des rhetorisch starken Vorsitzenden Raoul Hedebouw in der jüngsten Umfrage mit 16,8 Prozent um 5,2 Prozentpunkte höher als bei der Wahl im Juni vergangenen Jahres. Etwas erholt von ihrer herben Niederlage damals zeigen sich die Grünen (Ecolo) mit 8,6 gegenüber 6,9 Prozent, während die ebenfalls der damals abgewählten Vivaldi-Koalition angehörenden flämische Schwesterpartei Groen im nördlichen Landesteil weitgehend stagnieren und derzeit mit 7,5 Prozent rechnen können.

Trotz politischer Blockade wenig Änderung im Brüsseler Meinungsbild

Und die Hauptstadtregion Brüssel, deren mehr als 1,2 Millionen Einwohner seit exakt einem Jahr auf eine neue Regierung warten müssen? Fast scheint es, als lasse der Dauerkonflikt um eine Einbeziehung (oder nicht) der N-VA die Wähler ziemlich kalt. Die zuletzt mit dem PS-Mann Rudi Vervoort den Regierungschef einer breiten Koalition stellenden Sozialisten haben ihre traditionelle Spitzenstellung mit 21,7 Prozent zurückerobert. Die Liberalen mit dem MR-Anwärter David Leisterh auf die Nachfolge Vervoorts liegen mit 21,4 jedoch nur hauchdünn dahinter.

Die Koalitionsarithmetik beruht jedoch nicht auf Umfragen, sondern auf Wahlergebnissen. Erschwert wird dies in Brüssel durch die Vorgabe, sowohl eine Mehrheit unter den 72 französisch- als auch unter den 17 niederländischsprachigen Abgeordneten des Regionalparlaments zu erreichen. PS-Politiker, nicht zuletzt der Brüsseler PS-Vorsitzende Ahmed Laaouej, betrachten eine Regierungsbeteiligung der N-VA als einen Schritt zur Aushöhlung der Stellung der Hauptstadtregion. Allerdings dürfte auch die Art, wie der MR-Parteichef Bouchez auf die Regierungsbildung Einfluss nimmt, die Bemühungen seines Parteifreunds Leisterh um eine Kompromisslösung erschweren (Brüsseler Regierungsverhandlungen: Posse oder Tragödie? – Belgieninfo).

Auf flämischer Seite beharrt vor allem der Liberale Frédéric De Gucht, der sich offenbar schon mehr oder weniger offen im Rennen um die Nachfolge der glücklosen Parteichefin Eva De Bleeker profilieren möchte, auf einer Einbindung der N-VA. Nach wie vor scheinen die Fronten in Brüssel verhärtet zu sein. Für Bewegung könnte vielleicht die an 13. Juni drohende Herabstufung der Kreditwürdigkeit der tief in den roten Zahlen steckenden Hauptstadtregion durch die Ratingagentur Standard&Poor´s (S&P) bringen. Nicht ausgeschlossen wird auch, dass im Fall einer als Folge der andauernden politischen Blockade in Brüssel sich präzisierenden Zahlungsunfähigkeit die Föderalregierung, wie von De Wever bereits zur Sprache gebracht, von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen könnte, der Region finanzielle Vorgaben zu machen. Aber so weit ist es noch nicht.

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