Mahnende Worte anlässlich der Eröffnung der Ausstellung über Transporte jüdischer Kinder aus Deutschland nach Belgien in den Jahren 1938/39 in Brüssel
Von Michael Stabenow
In wenigen Tagen jährt sich zum 80. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Gewaltherrschaft. Auch in Belgien ist dies, gerade in Zeiten wieder um sich greifender antisemitischer Übergriffe, eine Gelegenheit, den Blick zurück, aber auch in die Zukunft zu richten. Einen Beitrag dazu leistet die jetzt in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Brüssel eröffnete und noch bis zum 8. Mai zu besichtigende Ausstellung unter dem Titel „Gerettet – auf Zeit. Kindertransporte nach Belgien 1938/1939“.
Die Ausstellung bietet anhand von Fotos, schriftlichen Dokumenten, einigen Kunstwerken sowie mit verständlich geschriebenen Texten Einblicke in das Schicksal von gut 1000 jüdischen Kindern, die damals nach Belgien ausreisen konnten und dort zumindest vorübergehend ein etwas unbeschwerteres Dasein fristen konnten. Schon vor dem Überfall Deutschlands auf Belgien im Mai 1940 waren die Transporte zum Erliegen gekommen, und die Lage vieler Kinder war bereits äußerst prekär geworden. Die Ausstellung, die bereits in Köln und Berlin zu sehen war, wurde vor mehreren Jahren maßgeblich von der rheinischen Buchhändlerin Anne Prior in Zusammenarbeit mit dem Kölner Förderverein Lern- und Gedenkort Jawne konzipiert. Wer die Ausstellung nicht persönlich in Augenschein nehmen kann, hat die Möglichkeit, sich im Internet – in vier Sprachfassungen – über den Link Home | Gerettet – auf Zeit | Lern- und Gedenkort Jawne ein Bild davon zu machen.
Gelenkt wurde die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der vielen kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Belgien gelangten jüdischen Kinder in Deutschland nicht zuletzt durch den Fall des 1931 in Köln geborenen, dann bei einer Pflegefamilie in Antwerpen untergekommenen und später ins Rheinland zurückgekehrten Adi Bader. Sein Schicksal wird, wie auch das einer Reihe anderer Kinder, detailliert geschildert. Unmittelbar vor der Eröffnung der Ausstellung fand jetzt eine von der nordrhein-westfälischen Landesvertretung und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgiens ausgerichtete und vom Direktor des – deutschsprachigen – Belgischen Rundfunks (BRF), Alain Kniebs, moderierte Veranstaltung statt.
Im Mittelpunkt standen dabei die Erfahrungen von zwei in Belgien geborenen jüdischen Menschen, die während der Besetzung des Landes durch das nationalsozialistische Deutschland von Pflegefamilien aufgenommen worden waren: Regina Sluzny, 1939 in Antwerpen geboren, Vorsitzende des Belgischen Jüdischen Forums, sowie der ein Jahr ältere Adolphe Nysenholc. Er wurde Literaturwissenschaftler und hat seine Lebensgeschichte „aus der Wartes des Kindes“ in einem 2007 erschienenen Roman unter dem Titel “Bubelè. L´enfant à l´ombre“ aufgeschrieben.
Was Sluzny und Nysenholc auch mehr als acht Jahrzehnte nach den schrecklichen Ereignissen verbindet, ist ein trotz der zuletzt vielerorts wieder überängstliche Formen annehmenden antisemitischen Einschüchterungen und Bedrohungen ungebrochenes Zutrauen in Mitmenschen. Dreieinhalb Jahre habe sie, erzählte Sluzny, bei den Pflegeeltern Anna und Charles in Hemiksem an der Schelde verbracht. Ihre Eltern, denen damals auch geholfen worden sei, habe sie, bis auf eine Ausnahme, kein einziges Mal getroffen – und ihrer Mutter beim Wiedersehen mit „Bonjour Madame“ begrüßt. Mit den Pflegeeltern habe sie bis zu deren Tod einen engen Kontakt gehabt.
„Wir sollten vor allem nicht die Menschen vergessen, die uns gerettet haben“, sagte die rüstige Antwerpenerin. Sie erinnerte daran, dass gut die Hälfte der damals im Land lebenden Juden die Nazi-Gewaltherrschaft überlebt hätten, während in den Niederlanden nur 20 Prozent der jüdischen Bevölkerung mit dem Leben davon gekommen seien: „Bravo für Belgien“, rief Sluzny.
Nysenholc hatte im Gegensatz zu ihr schon früh Eltern und Großeltern verloren. Wie Sluzny hat auch er gute Erinnerungen an die Zeit bei den Pflegeeltern. „ Sie haben mich“, so Nysenholc, „nicht als Untermenschen betrachtet, sondern als Menschen willkommen geheißen“. Wie andere Kinder habe er damals auch auf der Straße spielen können. Wie Sluzny sieht auch Nysenholc den abermals erstarkten Antisemitismus mit Sorge. Die ungehemmte Verbreitung ihrer Hass und Feindschaft schürenden Botschaften über das Internet sieht er als Hauptproblem. „Das ist unannehmbar“, sagte Nysenholc. Wer auf die antisemitischen Umtriebe mit Angst reagiere, sei bereits auf verlorenem Posten, meinte Sluzny.
Nysenholc und Sluzny, zwei der heute immer weniger zahlreichenden Überlebenden der Nazi-Herrschaft, erfüllten an dem Abend in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung die Aufgabe, die den damals aus Deutschland nach Belgien gelangten jüdischen Kindern überwiegend verwehrt worden ist. Die Botschaft der Ausstellung bestehe darin, „den Verfolgten eine Stimme zu geben“, erklärte Adrian Stellmacher vom Kölner Förderverein Jawne. Es gehe auch darum, Lehren daraus für den Umgang mit dem heutigen Antisemitismus zu ziehen.
Ähnlich hatte sich zu Beginn der Veranstaltung Sylvia Löhrmann, die Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfallen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur, geäußert. Man müsse „die Erinnerung wachhalten, um damit für die Zukunft zu lernen“, sagte die Grünen-Politikerin. Katharina von Schnurbein, Koordinatorin der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, beklagte ebenfalls den nicht erst seit der Zuspitzung der Lage im Gaza-Streifen um sich greifenden Hass. Sie erläutert: „Die Situation für Juden, auch in Belgien, ist nicht einfach“, erläuterte die Kommissionsvertreterin.
Martin Kotthaus, deutscher Botschafter in Belgien, verwies darauf, wie wichtig es sei, dass Zeitzeugen ihre Erfahrungen den jüngeren Generationen vermittelten. Es sei beeindruckend, mit welch „unglaublicher Energie und Einsatz“ sich Regina Sluzny und Aldolphe Nysenholc nach wie vor dieser Aufgabe stellten. „Wissen ist ein erster Schritt zur Vermeidung von Katastrophen, sagte Kotthaus.
Die Ausstellung „Gerettet – auf Zeit. Kindertransporte nach Belgien 1938/1939“ ist bis zum 8. Mai in der Zeit von 9 bis 16 Uhr in die Räumlichkeiten der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union kostenlos zu besichtigen. Die Anschrift lautet: Rue Montoyer 47, 1000 Bruxelles
Un grand merci pour cet évènement si important et cette exposition magnifique et riche d’enseignement !
C’est un travail de mémoire tellement bienvenu dans le chaos du monde aujourd’hui
Tausrnd Dank