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Umfrage: politische Ränder werden stärker, zunehmende Unterschiede zwischen Nord und Süd in Belgien

© Ipsos.com

Im Norden legt der rechte Rand zu, im Süden der linke. Das Vertrauen in die Regierenden nimmt weiter ab. Die Arizona-Koalition hätte derzeit in der Kammer keine Mehrheit.

Von Reinhard Boest

Alle Regierungen in Belgien stehen vor großen Herausforderungen. Die Arizona-Koalition auf der föderalen Ebene hat gerade mit Mühe einen Kompromiss über die belgische Haltung zum Gaza-Konflikt und der Anerkennung eines palästinensischen Staates zustande gebracht. Mit der Rückkehr von Premierminister Bart De Wever aus New York geht es an die nächste Mammutaufgabe: in den nächsten vier Jahren muss ein Haushaltsloch von 16 Milliarden Euro gestopft werden, wie der föderale Finanzminister Vincent Van Peterghem von den flämischen Christdemokraten in einem Interview mit der Tageszeitung „Le Soir“ nicht zum ersten Mal betonte. Ohne Zumutungen werden sich die Probleme wahrscheinlich nicht lösen lassen. In ähnlicher Lage befinden sich auch Flandern, die Wallonie und die Föderation Wallonie/Brüssel – und die Region Brüssel-Hauptstadt wartet dabei seit 15 Monaten noch immer auf eine neue Regierung.

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der jüngsten Ipsos-Meinungsumfrage, die die Zeitungen Le Soir und Het Laatste Nieuws sowie die Fernsehsender RTL und VTM regelmäßig veröffentlichen, keine Ermutigung für die regierenden Parteien. Drei Erkenntnisse geben besonders zu denken: sowohl im Norden als auch im Süden des Landes legen die politischen Ränder zu, das Vertrauen in die Regierenden nimmt immer mehr ab, und die Arizona-Koalition hätte derzeit in der Kammer keine Mehrheit mehr.

PTB legt im frankophonen Belgien kräftig zu, linke Mehrheiten in der Wallonie und Brüssel

Große Gewinnerin in der Wallonie und in Brüssel ist die linksextreme PTB/PVDA; in der Wallonie legte sie gegenüber der vorigen Umfrage vom Juni 2025 von 16,8 auf 18,4 Prozent zu (11,4 Prozent bei der Wahl im Juni 2024) und liegt damit jetzt vor der Zentrumspartei „Les Engagés“ (18,2 Prozent, minus 1) auf dem dritten Platz. Davor liegen weiter die Sozialisten (PS) mit 26,2 Prozent (plus 0,7 gegenüber Juni, plus 4,2 gegenüber der Wahl) und die Liberalen (MR) mit 23,9 Prozent (minus 0,1 beziehungsweise minus 4,3 Prozentpunkte).

Noch deutlicher fällt der Aufstieg der PTB/PVDA in Brüssel aus: mit 20,6 Prozent (plus 3,2 gegenüber Juni 2025) liegt die Partei von Raoul Hedebouw erstmals auf dem ersten Platz, gefolgt von den Sozialisten (PS/Vooruit) mit 20,3 Prozent (minus 1,4) und den Liberalen (MR/Open Vld) mit nur noch 16,9 Prozent (minus 4,5). Diese hatten die Wahl im Juni 2024 noch mit 21,4 Prozent gewonnen und daraus den – bis heute nicht erfüllten – Auftrag zur Regierungsbildung hergeleitet. Ob dieses Scheitern der Grund für die schwindende Unterstützung ist, sagt die Umfrage nicht. Immerhin verzeichnen auch die Sozialisten, deren Brüsseler Chef Ahmed Laaouej sich mit einer Koalition schwertut, einen Rückgang. „Les Engagés“ steigen leicht von 9,2 auf 9,7 Prozent, die Grünen (Ecolo) können deutlich von 7,4 auf 9,5 Prozent zulegen. Die Partei Défi, die Teil der noch amtierenden Regierung Vervoot ist, muss mit 3,8 Prozent weiter um die Vertretung im Parlament fürchten.

In der niederländischsprachigen Gruppe gibt es wie in Flandern einen deutlichen Rechtsruck. Der rechtsextreme Vlaams Belang liegt mit 4,3 Prozent vorn, gefolgt von den flämischen Nationalisten N-VA (3,2 Prozent) und den bei der Wahl 2024 noch klar führenden Grünen (Groen) mit 2,9 Prozent. Das „Team Fouad Ahidar“, das im Juni 2024 mit seinem starken Abschneiden noch für Aufsehen gesorgt und die Mehrheitsbildung auf der niederländischsprachigen Seite deutlich erschwert hatte, ist mit nur noch 0,6 Prozent (nach 2,5 im Juni 2025) auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Vlaams Belang überholt Bart De Wevers N-VA

In Flandern kann der Vlaams Belang gegenüber Juni 2025 um fast 4 Prozentpunkte zulegen und kommt mit 26,7 Prozent auf den ersten Platz. Die N-VA von Premierminister Bart De Wever verliert 2,9 Punkte und kommt nur noch auf 23,4 Prozent. Die anderen Parteien – Vooruit (13,4), die Christdemokraten CD&V (13,6), Groen (7,3), PVDA (9,1) – sind weitgehend stabil. Die Liberalen des früheren Premierministers Alexander De Croo (Open Vld) verharren dagegen mit 5,7 Prozent im Umfragetief.

Keine Mehrheiten für die aktuellen Regierungen

Rechnet man die Umfrageergebnisse hoch auf die Sitzverteilung in der Kammer, dem föderalen Parlament, kommt die Arizona-Koalition nur noch auf 74 Mandate statt bisher 81 (von 150) und würde ihre Mehrheit verlieren. Ausschlaggebend wären die Verluste bei den frankophonen Koalitionsparteien MR (von 16 auf 13 Sitze) und „Les Engagés“ (von 14 auf 11). Auf der flämischen Seite gleichen sich leichte Verluste bei der N-VA (minus 1) durch Gewinne bei der CD&V (plus 1) aus.

Auch in der Wallonie würde die Regierung ihre Mehrheit verlieren; hier wie in Brüssel dominieren klar die linken Parteien. Ob mit einer der Umfrage entsprechenden Sitzverteilung die Regierungsbildung in Brüssel leichter wäre, ist allerdings nicht ausgemacht. Denn in der niederländischen Sprachgruppe gibt es weiter keine “linke” Mehrheit.

Vertrauensverlust für alle Regierungen

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre politische Führung ist auf einem neuen Tiefpunkt. Am besten kommt noch Premierminister Bart De Wever davon; ihm vertrauen 38 Prozent der Befragten und immerhin noch 34 Prozent der Föderalregierung. Die wallonische Regierung erreicht 27 Prozent, ihr Ministerpräsident Adrien Dolimont (MR) nur 24 Prozent. Noch schlechter sieht es für die Regierung der Föderation Wallonie-Brüssel aus, die vor allem für die Bildung und die Kultur der frankophonen Belgier zuständig ist. Sie erhält nur 21 Prozent Zustimmung, für die Ministerpräsidentin Elisabeth Degryse gar nur 16 Prozent. Für Brüssel ist diese Umfrage mangels “richtiger” Regierung anscheinend unterblieben.

Auf diese Umfrage angesprochen, reagierten Politiker unterschiedlich. Für die wallonische Ministerin Jacquline Galant (MR) widersprechen die Umfrageergebnisse völlig ihren eigenen Erfahrungen im Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern. Vize-Premier und Finanzminster Jan Jambon (N-VA) sagt, er gebe nicht viel auf Umfragen. “Die Preisverleihung ist nach dem Zieleinlauf.”

Beliebteste Politiker: Sophie Wilmès im Süden, Bart De Wever im Norden

Das Vertrauen in die Politik spiegelt sich auch in den Ranglisten der beliebtesten Politikerinnen und Politiker wider. In der Wallonie und Brüssel erreichen nur die ersten vier einen Zustimmungswert, der höher ist als die jeweilige negative Einstellung zu der Person. Seit langer Zeit handelt es sich sowohl in Brüssel als auch in der Wallonie um dieselben: weit an der Spitze immer noch die frühere Premierministerin und heutige Europaabgeordnete Sophie Wilmès (MR), gefolgt vom ehemaligen Premierminister Alexander De Croo (Open Vld). Wilmès profitiert anscheinend immer noch von ihrer Rolle während der Coronakrise; De Croo könnte zugutekommen, dass er während seiner Amtszeit auf Ausgleich bedacht war – was ihm und seiner Partei in Flandern dagegen eher zum Nachteil gereicht.

Den dritten Platz nimmt diesmal der PS-Vorsitzende Paul Magnette ein, danach folgt Außenminister Maxime Prévot (Les Engagés). Die beiden wechseln zwischen diesen Plätzen bei den Umfragen regelmäßig. Auf die fünfte Stelle hat sich Raoul Hedebouw (PTB) vorgeschoben, der den Platz mit Premierminister Bart De Wever (N-VA) getauscht hat. Der MR-Vorsitzende George-Louis Bouchez liegt in Brüssel auf dem sechsten Platz, in der Wallonie ist er nicht unter den ersten zehn.

In Flandern liegt weiterhin Bart De Wever klar an der Spitze, gefolgt von zwei weiteren N-VA-Politikern: der flämischen Bildungsministerin Zuhal Demir und dem föderalen Verteidigungsminister Theo Francken. Als einziger frankophoner Politiker schafft es George-Louis Bouchez unter die ersten zehn, vielleicht als “Lohn” für seine Haltung, dass die N-VA in einer künftigen Brüsseler Regionalregierung vertreten sein müsse (was von anderen frankophonen Parteien bekanntlich bislang abgelehnt wird). Die derzeit stärkste Partei in Flandern, der Vlaams Belang, ist in der Rangliste nicht vertreten.

 

 

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