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Die Mär von der Ausländermaut – in Belgien lebt sie fort

In der Debatte um Autobahngebühren wimmelt es vor hinkenden Vergleichen – und das EU-Diskriminierungsverbot spielt (noch) keine Rolle

Von Michael Stabenow

Mit dem Thema Autobahnmaut ist es in Belgien wie mit dem legendären Monster von Loch Ness. Es taucht auf, sorgt für viel Aufregung und verschwindet dann wieder für eine Weile in der Versenkung. Es spricht gewiss vieles dafür, sämtliche Straßenbenutzer an den Kosten für Bau und Unterhalt von Verkehrswegen zu beteiligen. Wer die Baustellen und die Schlaglöcher auf Belgiens Straßen aus eigener Erfahrung – auf zwei oder vier Rädern – kennt, dem muss das logisch vorkommen. Bleibt die Frage: Wer soll dafür mehr Geld in die leeren Kassen spülen?

Mautregelung kommt nur, wenn sie in Einklang mit EU-Recht steht

Aus Sicht führender belgischer Politiker ist die Antwort eindeutig: die Fahrer mit ausländischem Kennzeichen – und nur sie. Das mag wie Balsam auf die geschundenen Seelen einheimischer Autofahrer wirken. Verkannt wird jedoch dabei eine europäische Grundregel: Straßenbenutzungsgebühren müssen im Einklang mit EU-Recht stehen. So ist gemäß Artikel 18 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

Dass eine Mautregelung ohne Mehrbelastung für einheimische Straßenbenutzer (zum Beispiel durch eine entsprechende Senkung der Kraftfahrzeugsteuer) gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, hat der Europäische Gerichtshof 2019 klargestellt. Er stoppte damit das deutsche Projekt der „Ausländermaut“, an der insbesondere Politiker der bayerischen CSU stur festgehalten hatten.

Keine globale Erhöhung der Besteuerung“

Hat sich der für Mobilität zuständige stellvertretende wallonische Ministerpräsident François Desquesnes, ein auf öffentliches Recht spezialisierter Jurist, mal nach den Erfahrungen der früheren deutschen CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer erkundigt? Offenbar nicht. Im Hörfunksender des RTBF erklärte Desquesnes, Mitglied der als Juniorpartner mit den französischsprachigen Liberalen (MR) mitregierenden Zentrumspartei „Les Engagés“, jetzt: „Die Regierungsvereinbarung sieht eindeutig vor, dass es mit der Einführung dieser Autobahnvignette keine globale Erhöhung der Besteuerung geben wird.“

Wie hält es die Region Brüssel mit der Maut?

Noch sind die Pläne etwas nebulös. Klar ist hingegen: die Mär von der Ausländermaut lebt in Belgien fort. Immerhin scheinen die flämischen und wallonischen Regionalregierungen auf ein elektronisches Vignettensystem hinarbeiten zu wollen. Bevor es aber weiter Gestalt annehmen kann, muss auch die Brüsseler Hauptstadtregion einbezogen worden. Eine neue Regierung ist dort auch zehn Monate nach den Wahlen im Juni 2024 nicht in Sicht. Zudem gibt es in Brüssel mit seinen chronisch verstopften Verkehrswegen auch ganz andere Vorstellungen als eine Vignette zur Anlastung der Wegekosten, sehr zum Unmut der vielen Berufspendler aus Flandern und Wallonien.

So oder so: die Neigung wallonischer Politiker, vor heimischer Kulisse mit der vermeintlichen Benachteiligung einheimischer Straßenbenutzer zu punkten, scheint ungebrochen. Schon im vergangenen Sommer, als die wallonische Regierung das Projekt Ausländermaut wieder aus den Schublade holte, hatten der damalige „Les Engagés“-Parteivorsitzende und heutige belgische Außenminister Maxime Prévot angekündigt, die Regelung werde so gestaltet, dass unter dem Strich nur die Halter von Autos mit ausländischen Kennzeichen zur Kasse für die Vignette gebeten werden sollten (Das Monster von Loch Maut – Belgieninfo).

MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez, um flotte Sprüche selten verlegen, hatte damals ebenfalls gegenüber der RTBF erklärt: Wallonien sei schön und gastfreundlich. Aber es sei doch durchaus normal, die zehntausenden ausländischen Fahrzeughalter, die gratis über die Autobahnen des Landes führen, mit einem kleinen Betrag zu Kasse zu bitten.

Ein hinkender Vergleich

Auch Mobilitätsminister Desquesnes blies jetzt in das gleiche Horn. Einheimische Autofahrer würden fast überall im Ausland geschröpft. Zwei Drittel der europäischen Länder hätten entsprechende Regelungen: Es sei „irgendwo nicht normal“, dass Belgier auf ausländischen Straßen bezahlen müssten, während umgekehrt „Holländer, Franzosen oder Italiener“ die belgischen Autobahnen kostenlos benutzten, erklärte der Minister im Sender RTBF – ein hinkender Vergleich.

Das mautfreie Deutschland erwähnte Desquesnes nicht. Vor allem verschwieg der Minister, dass sämtliche Regelungen in EU-Staaten mit Straßengebühren im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen. So musste einst Österreich vor der Einführung des sogenannten Pickerls die Vignettenregelung so anpassen, dass auch einheimische Straßenbenutzer zusätzlich belastet wurden – wenn auch weniger als die Ausländer.

Was der Minister noch sonst so verschweigt

Verschwiegen hat Desquesnes zudem, dass in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien, wo statt Vignetten streckenabhängige Mautsysteme bestehen, Ausländer und Inländer gleichermaßen zahlen müssen. Sein Wehklagen über die angebliche Benachteiligung belgischer Autofahrer schmückte Desquesnes insbesondere mit Hinweisen auf die mit EU-Recht vereinbaren Mautregelungen in Spanien, Italien, Frankreich, der Schweiz. Slowenien, Österreich und Ungarn.

Nur eines der Nachbarländer Belgien verlangt Autobahngebühren

Frankreich ist übrigens das einzige Nachbarland Belgiens, das Straßenbenutzungsgebühren erhebt. In den Niederlanden, Deutschland, Luxemburg sowie Großbritannien zahlen ausländische Autofahrer – auch Belgier – nichts, jedenfalls für die Nutzung der Autobahn. Wenn sie tanken, wird natürlich auch für sie die Mineralölsteuer fällig. Würden sich die Nachbarn es einfach gefallen lassen, sollte „ihre“ Autofahrer in Belgien zahlen müssen? Diese Frage würde sich selbst dann stellen, sollte das Land – im Gegensatz zu der Ankündigung, unter dem Strich nur Ausländer für die Vignette zur Kasse zu bitten – mit Rücksicht auf das EU-Recht und eine drohende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, auch Einheimische stärker als bisher belasten. All dies sind Fragen, die in der belgischen Debatte derzeit ausgeblendet werden.

Studie zu Kilometerabgabe wurde erst jetzt bekannt

Bezeichnend ist, dass die Ergebnisse einer von der flämischen Regionalregierung in Auftrag gegebenen Studie von Forschungseinrichtungen in Löwen und Brüssel zu einer nach Strecke und Tageszeit gestaffelten Kilometerabgabe erst durch Recherchen des Grünen-Abgeordnete Bogdan Vanden Berghe und der Zeitung “De Tijd“ jetzt bekannt wurden. Bei einer durchschnittlichen Gebühr von 10 Cent und maximal 17,4 Cent je gefahrenen Kilometer ließen sich demnach, auch für die Wirtschaft wichtig, die staugeplagten Verkehrswege entlasten. So könnte die jährliche Fahrleistung bis 2030 um 6,3 Prozent sinken. Zudem könnte die Kilometerabgabe 3,4 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen.

Ministerin De Ridder: Höhere Besteuerung? Nein!

Die seit vergangenem Jahr amtierende flämische Mobilitätsministerin Annick De Ridder hat vor Bekanntwerden der Ergebnisse der Studie die Pläne für eine Kilometerabgabe mehrfach abgelehnt. Unter anderem hatte sie darauf verwiesen, dass die meisten Menschen nicht frei darüber entscheiden könnten, wann sie sich zur Arbeit fahren müssten. Der Zeitung „De Tijd“ sagte die Politikerin der Neu-Flämischen Allianz (N-VA): „Diese Schicht nochmals zusätzlich zu besteuern, während die Steuern in unserem Land schon so hoch sind? Nein!“

Bei weitem nicht der erste Vorstoß zur Ausländermaut

Das Thema der Anlastung der Wegekosten dürfte in Belgien und wohl in den Nachbarländern sowie bei den EU-Vertragshütern der Europäischen Kommission einiges an Staub aufwirbeln. Schon in den Jahren 2004 bis 2006 hatte sich die damalige sozialistische flämische Regionalministerin und heutige Europaabgeordnete Kathleen Van Brempt und der wallonische sozialistische Regionalminister Michel Daerden politischen Schiffbruch mit ihren Plänen für eine Ausländermaut erlitten.

Sie standen damit nicht alleine da. 1979 hatte sich der später – 1998 – wegen Bestechlichkeit zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilte sozialistische Spitzenpolitiker Guy Spitaels als Arbeitsminister zu den belgischen Plänen für eine Autobahngebühren in einem Interview mit der RTBF so geäußert: „Wir haben jetzt eine Grundsatzentscheidung. Die Umstände kommen später. Und die Maßnahme kommt nicht im Sommer, sondern zum Ende des Jahres hin.“

 

 

One Comment

  1. Na dann hofft mal, dass Luxemburg keine Tagesvingiette á 10 EUR einführt, dann wird es auch für die Belgier unangenehm unpraktisch und teuer 😉

    Kingt alles populistisch.

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