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Von Michael Stabenow
Ob in Brüssel die Sonne scheint oder auch nicht – im belgischen Regierungsviertel rings um den Stadtpark erhitzen sich dieser Tage die Gemüter. Die in 13 Monaten anstehenden Wahlen zur föderalen Abgeordnetenkammer und den Regionalparlamenten bringen manche Akteure schon jetzt auf Touren.
Kräftemessen in der Wüste Marokkos und im Kaninchenoutfit
Richtig in Schwitzen gekommen ist Georges-Louis Bouchez, der oft vor Selbstbewusstsein strotzende Vorsitzende der französischsprachigen Liberalen (MR). Er hat sogar die Zeit gefunden, sich in der Spielshowsendung „Special Forces“ des flämischen Fernsehsenders VTM zum Kräftemessen mit anderen Teilnehmern in der marokkanischen Wüste einzufinden – freilich mit mäßigem Erfolg.
Für ein zwiespältiges Echo hatte im vergangenen Jahr Conner Rousseau gesorgt, der 30 Jahre alte Parteichef der in „Vooruit“ umgetauften flämischen Sozialisten. Im Kaninchenoutfit präsentierte er sich in der Fernsehsendung „The Masked Singer“. Immerhin kann sich der auch ansonsten gerne locker auftretende Rousseau zugutehalten, dass „Vooruit“ als einzige der sieben „Vivaldi“-Koalitionsparteien laut Umfragen bei der nächsten Wahl zum föderalen Parlament mit deutlichen Stimmengewinnen rechnen kann.
Dass Rousseau wenig politische Berührungsängste hat, sieht man einmal vom extrem rechten Vlaams Belang ab, zeigt seine jüngste Forderung zur zeitlichen Begrenzung des Arbeitslosgengeldes auf zwei Jahre. Bouchez reagierte im Fernsehsender VRT sarkastisch auf die politische Volte der Sozialisten: „Ich fürchte, dass sie uns rechts überholen“.
Dass sich Rousseau und Bouchez in Kürze verbrüdern, steht indes nicht zu erwarten. Auffällig ist vielmehr, dass der politische Graben zwischen „Vooruit“ und der nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) weniger tief geworden ist, die in Flandern in einer zuletzt auf harte Proben gestellten Koalition mit Liberalen (Open VLD) und Christdemokraten (CD&V) regiert.
PS und N-VA als „rotes Tuch“
Es handelt sich um die vom Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever geführte Partei, die für die französischsprachigen Sozialisten (PS), die Schwesterpartei von „Vooruit“ nicht erst seit heute ein „rotes Tuch“ ist – gelegentlich auch ein nützliches. Denn die N-VA wird, besonders im Wahlkampf, von PS-Politiker gerne als Schreckgespenst dargestellt. Und umgekehrt verhält es sich mit der in Wallonien traditionell vorherrschenden PS aus Sicht der N-VA. Da sich die Parteien nur jeweils im Norden oder Süden des Landes zur Wahl stellen (können), erscheint es als verlockendes Rezept, sich dem Wähler als Sachwalter der eigenen Interessen gegenüber dem jeweils anderen Landesteil zu präsentieren.
Die jüngsten Meinungsumfragen in Flandern zeigen jedoch, dass von der politischen Polarisierung Belgiens das ganz rechte Lager – der Vlaams Belang – profitiert. Die Partei kann derzeit in Flandern mit einem Stimmenanteil von 25 Prozent rechnen, während der N-VA derzeit nur 22 Prozent zugetraut werden (Dunkle Wolken am politischen Horizont Belgiens – Belgieninfo).
Schwere Zeiten für Regierungschef De Croo
Und Premierminister Alexander De Croo? Der flämische Liberale bemüht sich, aus seiner Sicht als „ehrlicher Makler“, um den Interessenausgleich zwischen den sieben „Vivaldi“-Parteien. Anerkennung findet er dafür vor allem in den französischsprachigen Landesteilen, wo er zu den populärsten Politikern zählt. In Flandern muss er allerdings zuweilen mit dem Vorwurf leben, nicht beharrlich genug „flämische Positionen“ zu vertreten.
Dass der Premierminister für seine Partei bei den nächsten Wahlen als Spitzenkandidat antreten will und wird, daran herrschen keine Zweifel. Vielleicht hat er auch deshalb unlängst bei einer Ansprache am Vorabend des Maifeiertags im Nordseebad Blankenberge für scharfe Einschnitte ins soziale Netz, nicht zuletzt bei der Arbeitslosenunterstützung plädiert. Postwendend entrüstete sich PS-Chef Paul Magnette, De Croos Äußerungen seien „eines Anführers der flämischen Rechten würdig“.
Schlechte Aussichten für föderalen Stimmbezirk
Dass De Croo seine Popularität in Brüssel und Wallonien bei den Wahlen in Stimmen ummünzen könnte, gilt nicht nur mit Blick auf die Wahlen im Juni 2024 als ausgeschlossen. Überlegungen, über die Zusammensetzung des Parlaments zu einem kleinen Teil – zum Beispiel 10 Prozent aller Sitze – in einem das gesamte Land umfassenden föderalen Stimmbezirk entscheiden zu lassen, gibt es zwar seit längerem.
Der Vorteil eines landesweiten Wahlbezirks läge darin, dass sich die Parteien nicht nur in der jeweiligen Sprachgemeinschaft zur Wahl stellen, sondern auch die Befindlichkeit im anderen Landesteil in ihr Kalkül einbeziehen müssten. Aber die für eine Einführung erforderlichen Mehrheiten im Parlament und den Sprachgruppen ist nicht in Sicht – ganz zu schweigen davon, dass die Überlegungen zu einer weiteren, siebten Staatsreform derzeit nicht so recht vorankommen.
Ob sich Belgiens politischen Mosaiksteine nach der kommenden Parlamentswahl ähnlich schwer oder gar noch schwerer als während der von Mai 2019 bis Ende September 2020 dauernden Regierungsbildung zusammenfügen lassen, darauf lassen die jüngsten Meinungsumfragen wenig Rückschlüsse zu.
Keine vorzeitige Wahl – Steuerreform und Renten im „Vivaldi“-Fokus
Angesichts der jüngsten Nervosität und Spannungen im „Vivaldi“-Lager hat es zuletzt Spekulationen über vorgezogene Wahlen gegeben. Viel spricht jedoch dafür, dass die sieben Parteien in den kommenden Monaten viel dransetzen werden, noch vorzeigbare Ergebnisse zu erzielen. Das gilt nicht zuletzt für die Projekte der Steuerreform, ein Ansinnen von Liberalen und Christdemokraten, sowie für das den Sozialisten am Herz liegende Regelwerk zu Pensionen.
Dämpfer für Grüne beiderseits der Sprachgrenze
Und die Grünen beiderseits der Sprachgrenze, die ebenfalls die „Vivaldi“-Koalition mittragen? Ihre Zustimmung zu um zehn Jahre verlängerte Laufzeiten der Kernkraftanlagen Doel 4 und Tihange 3 hat bei vielen ihrer Anhänger keine Jubelstürme ausgelöst.
Ecolo, die französischsprachigen Grünen, ist zudem durch den Rücktritt der für Chancengleichheit und gesellschaftliche Vielfalt zuständigen Staatssekretärin Sarah Schlitz negativ in die Schlagzeilen geraten. Die aus Lüttich stammende Politikerin verzichtete als Konsequenz aus der Auseinandersetzung um die Verwendung ihres persönlichen Logos bei staatlich geförderten Vorhaben auf ihr Amt.
Auch Petra De Sutter, bisher über Parteigrenzen hinaus durchaus geschätzte stellvertretende Regierungschefin aus den Reihen der flämischen Grünen (Groen), ist in den vergangenen Tagen ins Gerede gekommen. Die in der „Vivaldi“-Regierung für öffentliche Arbeiten, Telekom und Post zuständige Politikerin musste zugeben, dass zwei Mitarbeiter ihres engsten Stabes („Kabinett“) durch Bpost bezahlt worden seien, das zuletzt unter anderem wegen Absprachen zum Vertrieb von Zeitungen in die Kritik geratene belgische Postunternehmen.
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