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Polizeireform in Brüssel: Innenminister Quintin macht Ernst

Bernard Quintin

Ab 2027 soll es in Brüssel nur noch eine Polizeizone geben

Von Reinhard Boest

Die Reorganisation der Polizei in der Region Brüssel-Hauptstadt ist seit langem ein Anliegen vor allem der Neuen Flämischen Allianz (N-VA), der Partei des Premierministers Bart De Wever. Sie verlangt eine Fusion der bisher sechs Polizeizonen zu einer einzigen für die ganze Region. Das soll die Effizienz der Polizeiarbeit und den Einsatz der vorhandenen Ressourcen verbessern. Daneben ging es aber wohl auch darum, die Polizei aus der Zuständigkeit der – durchgehend frankophonen – Bürgermeister der Brüsseler Gemeinden zu lösen und der – zweisprachigen – Region eine stärkere Rolle zu geben. Während sich die N-VA mit ihrer Forderung nach einer Fusion der neunzehn Brüsseler Gemeinden – auch hier vor dem Hintergrund des Sprachenregimes – nicht durchsetzen konnte, hat die Polizeireform es in das Programm der Arizona-Koalition geschafft.

Der für Sicherheit und Inneres zuständige föderale Minister Bernard Quintin von den frankophonen Liberalen (MR) hat jetzt einen konkreten Plan vorgelegt, mit dem die Fusion bis Anfang 2027 Realität werden soll. Bei der Vorstellung im Kreis der Bürgermeister der Brüsseler Gemeinden wurde deutlich, dass die meisten weiterhin ein Problem mit dem Projekt haben. Immerhin scheint es Quintin gelungen zu sein, mit den im Vorfeld geführten bilateralen Gesprächen bei einigen Bürgermeistern aus dem „Arizona-Lager“ etwas mehr Aufgeschlossenheit zu erreichen.

Mehrere aktuelle Vorfälle in Brüssel wie dem Drogenmilieu zugeschriebene Schießereien haben sicher den Druck erhöht, auch durch organisatorische Maßnahmen die Sicherheitslage zu verbessern. Minister Quintin warnt allerdings vor der Annahme, das neue Polizeikorps von 6.400 Bediensteten werde allein hier Abhilfe schaffen. „Einen Zauberstab gibt es nicht”, sagte der liberale Politiker.

Es ist nicht die erste Polizeireform in Belgien, und auch die vorangegangenen wurden durch spektakuläre Kriminalfälle oder konkrete Bedrohungen ausgelöst oder beschleunigt. Bis in die 1990er Jahre war die Polizei wie in Frankreich organisiert: eine Gemeindepolizei in allen (seinerzeit 589) Gemeinden, eine den Staatsanwaltschaften in den Gerichtsbezirken zugeordnete Gerichts-/Kriminalpolizei und eine landesweit tätige Gendarmerie. Affären wie die – bis heute nicht aufgeklärten – Mordfälle im Großraum Brüssel („Tueries du Brabant“) und das Drama im Heysel-Stadion in den 1980er oder der Fall des Kindermörders Marc Dutroux in den 1990er Jahren legten die Dysfunktionalität der Polizeistrukturen offen; man sprach sogar davon, dass die verschiedenen Polizeidienste eher gegeneinander als zusammen gearbeitet hätten.

Seit dem 1. Januar 2001 gibt es eine „integrierte Polizei“, die auf zwei Ebenen organisiert ist: die Gemeindepolizei für Aufgaben auf lokaler Ebene und eine föderale Polizei für gemeindeübergreifende Fälle und zur Unterstützung der lokalen Polizei. Gleichzeitig wurde auch die örtliche Zuständigkeit durch die Bildung von Polizeizonen neu geordnet, die eine oder mehrere Gemeinden umfassen können. Die frühere Regel, dass jeder Bürgermeister seine „eigene“ Gemeindepolizei hatte, gilt seither vor allem noch für größere Städte wie Antwerpen, Brügge, Gent, Löwen, Lüttich oder Charleroi. Zu Beginn der Reform wurde Belgien in 196 Polizeizonen eingeteilt, nach mehreren Fusionen sind es seit Anfang 2025 noch 178: 101 in Flandern (davon 23 mit nur einer Gemeinde), 71 in der Wallonie (15) und sechs in Brüssel-Hauptstadt.

Mit der Fusion in Brüssel entstünde die mit Abstand größte Polizeizone in Belgien mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern wie Antwerpen (die bislang bevölkerungsreichste) und künftig 6400 Bediensteten. Dieses Korps soll unter dem Befehl eines einzigen Polizeichefs stehen und von einem aus den 19 Bürgermeistern und dem Ministerpräsidenten der Region bestehenden Gremium kontrolliert werden. Quintin verspricht sich davon einen schlagkräftigeren Einsatz der Polizeikräfte etwa bei Gewaltdelikten. Bei den jünsten Vorfällen in Anderlecht habe es kaum Unterstützung aus den anderen Brüsseler Polizeizonen gegeben. Außerdem erwartet der Innenminister Effizienzgewinne etwa durch zentrale Beschaffung oder Datenverarbeitung sowie eine bessere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, die künftig nur noch einen Ansprechpartner habe statt sechs.

Im Zuge der Reform soll auch eine eigene Polizei für die Brüsseler U-Bahn entstehen, so dass sich die bisher hier tätige föderale Bahnpolizei wieder allein auf die Bahnhöfe konzentrieren könne.

Auch an der Finanzierung soll es Änderungen geben. So will der Föderalstaat einen Teil der Schulden übernehmen, die bei den Gemeinden für die Polizei aufgelaufen sind. Auch der seit 30 Jahren geltende Schlüssel für die Aufteilung der föderalen Zuschüsse an die Gemeinden soll überarbeitet werden. Davon würden die Ballungsräume und insbesondere Brüssel profitieren, dessen Einwohnerzahl seither erheblich gestiegen ist (siehe https://belgieninfo.net/bruessel-waechst-und-waechst/)

Quintin kündigte an, dass die Fusion von Polizeizonen nicht auf Brüssel beschränkt bleiben dürfe. Zwar habe es seit 2011 eine Reihe von freiwilligen Zusammenlegungen gegeben, vor allem in Flandern. Notfalls müsse man aber hier nachhelfen, etwa durch finanziellen Druck. In der Provinz Flämisch-Brabant, die mit 1,2 Millionen Einwohnern etwa so groß wie Brüssel ist, gibt es zum Beispiel 23 Polizeizonen.

Der Minister strebt an, das Gesetz nach Möglichkeit noch in diesem Jahr durch das Parlament zu bringen, damit 2026 die Vorbereitungen für ein Inkrafttreten Anfang 2027 stattfinden können.

Allerdings wird er noch mit einigem Widerstand rechnen müssen. Die große Mehrheit der Brüsseler Bürgermeister befürchtet, dass die Zentralisierung zu Lasten der Präsenz in den einzelnen Gemeinden gehen könnte. In der Tat ist bisher anscheinend nicht klar, wie viele Dienststellen es künftig in der Stadt geben soll und wie diese mit Personal ausgestattet werden sollen. Auch gibt es Zweifel an der Effizienz der vorgesehenen Kontrollstruktur. Gedacht wird deshalb an ein kleineres Gremium, in dem nur einige Bürgermeister sitzen. Streit über die Auswahlkriterien und Ausgewogenheit zwischen Parteien oder großen und kleinen Gemeinden erscheint daher vorprogrammiert.

Die Gewerkschaften beklagen, dass sie im Vorfeld nicht gehört worden seien, obwohl sich die Reform erheblich auf die Beschäftigen auswirken werde. Die Erwartung, dass Personal, das mit der Zusammenlegung in zentralen Diensten eingespart werde, für mehr Sicherheit “auf der Straße” eingesetzt werden könne, habe sich bei anderen Fusionen nicht erfüllt.

Von der frankophonen Opposition, nicht nur in Brüssel, ist weiterhin Widerstand zu erwarten. Vor allem ist fraglich, ob ein Projekt erfolgreich sein kann, wenn es gegen den ausdrücklichen Willen einer Mehrheit der Bürgermeister in Brüssel durchgesetzt wird, die man ja anschließend für das “Tagesgeschäft” braucht.

 

 

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