Aktuell, Belgien, Belgischer Alltag

Pfand auf Plastikflaschen und Bierdosen kommt auch in Belgien – aber wann und wie?

Von Reinhard Boest

Die neue EU-Verpackungsverordnung

Die Verpackungsverordnung der EU war schon mehrfach Thema bei Belgieninfo, als sie noch im Gesetzgebungsprozess war. Dabei ging es das Schicksal von Zuckertüten im Restaurant oder die Verschandelung der schönen belgischen Landschaft mit leeren Getränkedosen. Immer steht dieselbe, europaweite Problematik im Fokus: wie kommt man weg von immer mehr Verpackungsmüll? Jetzt ist die Verordnung fertig. Sie stand im Januar 2025 im Amtsblatt der EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine Reihe von Zielen zu erreichen, wie eine allgemeine Reduzierung von Verpackungsmüll, einen höheren Anteil an Recyclingmaterial bei der Herstellung von Plastikflaschen oder die Wiederverwendung von Verpackungen.

Neu: Pfand für Plastikflaschen und Getränkedosen wird obligatorisch

Zu den konkret umzusetzenden Maßnahmen gehört vor allem eine Pfandpflicht für Einweg-Getränkeverpackungen aus Plastik oder Metall ab Anfang 2029. Das soll den Druck erhöhen, dass Dosen und Flaschen nicht im normalen Müll oder gar in der Natur landen, sondern einer Wiederverwertung zugeführt werden. Die Pfandpflicht entfällt nur dann, wenn ein Mitgliedstaat nachweisen kann, dass 90 Prozent dieser Abfälle wiederverwertet werden. In Deutschland gibt es seit 2005 ein solches Pfand (in Höhe von 25 Cent), und der Erfolg ist evident: zwischen 97 und 98 Prozent der Plastikflaschen und Getränkedosen wurden 2023 wiederverwertet. Dabei sollte das Pfand eigentlich dazu dienen, die Mehrwegquote bei Getränkeflaschen hoch zu halten. Dieses Ziel wurde allerdings gründlich verfehlt: statt der angestrebten Quote von 72 Prozent liegt sie nur noch bei gut 40 Prozent.

Von solchen Recycling-Zahlen ist Belgien noch ein Stück entfernt: für Plastikflaschen lag man 2023 immerhin bei knapp 84 Prozent, bei Dosen nur bei etwa 65 Prozent. Wahrscheinlich wird also wohl ein Pfandsystem eingeführt werden müssen, um auf den angestrebten Wiederverwertungsanteil zu kommen. Das ist mit einigem organisatorischen Aufwand und auch erheblichen Investitionen verbunden. Die Zeit drängt also, denn man geht davon aus, dass dafür ein Vorlauf von dreieinhalb bis vier Jahren erforderlich ist.

Typisch Belgien: Warum einfach, wenn es kompliziert geht?

Und in Belgien wird es zusätzlich kompliziert, denn die Zuständigkeit für die Behandlung von Abfällen und damit auch Verpackungen liegt bei den Regionen. Immerhin gibt es seit 1997 eine Struktur für die Zusammenarbeit, die Interregionale Verpackungskommission (IVC/CIE) sowie Fost Plus. Das ist ein vor allem von Unternehmen des Lebensmittelsektors und des Handels getragener Verein, der die getrennte Sammlung und Verwertung von Plastik und Metall, Papier und Glas (blauer und gelber Sack, Glascontainer) organisiert.

Auch wenn ein Pfandsystem vom EU-Recht vorgeschrieben ist, steht das Thema in den Regionen – im Gegensatz zur vorigen Legislaturperiode – derzeit nicht auf der Tagesordnung. Weder in Flandern noch in der Wallonie ist es Gegenstand der Koalitionsprogramme der nach den Wahlen im Juni 2024 gebildeten neuen Regierungen; die frankophonen Liberalen (MR) und die flämischen Nationalisten (N-VA) sind dagegen. In Brüssel gibt es mangels einer Regierung noch gar keine Positionierung. Immerhin waren sich die Regionen am Ende der vergangenen Legislaturperiode grundsätzlich einig, dass nur ein System funktionieren kann, das sich auf das ganze Land erstreckt. Das belegen auch die negativen Erfahrungen, die man in Deutschland vor 2005 mit mehreren Insellösungen gemacht hat. Kurz vor der Wahl 2024 konnten die Regionen sich darauf verständigen, der IVC/CIE den Auftrag für die Ausarbeitung eines Konzepts zu geben, den diese Ende 2024 vorgelegt hat.

Der erste Eindruck, wenn man sich den Vorschlag anschaut, ist: warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Denn das künftige Pfandsystem soll dem „Blauen Sack“ keine Konkurrenz machen. In diesem werden seit 2010 vor allem Abfälle aus Plastik und Metall gesammelt, seit 2019 weitere wiederverwertbare Stoffe wie Joghurtbecher oder Folien. Ohne Wasserflaschen und Bierdosen wären die Säcke wohl nur noch halb gefüllt, und die erheblichen Investitionen in die Sortier- und Recyclinganlagen wären gefährdet. Daher soll es kein System wie in Deutschland geben, wo man das Leergut in der Regel zurückgibt oder in Automaten im Supermarkt einwirft und dafür einen Leergutbon erhält. Schon im Automaten werden die Flaschen vor der spätere Wiederverwertung zerdrückt oder geschreddert, um eine erneute Eingabe zu verhindern.

Pfandsystem soll digital sein, jedenfalls ein bisschen

In Belgien soll es stattdessen ein „hybrides“ System sein, mit einer digitalen und einer physischen Variante und einem Pfandbetrag von 25 Cent. In diese Richtung ging eine zwischen Brüssel und der Wallonie vor der Wahl 2024 erzielte Grundsatzeinigung, der sich allerdings Flandern letztlich nicht angeschlossen hatte.

Beim digitalen Modell muss man einen QR-Code auf der Flasche oder Dose sowie auf dem blauen Sack mit seinem Smartphone scannen. Das Leergut wird dann registriert und das beim Einkauf gezahlte Pfand regelmäßig auf einer mit dem Bankkonto verbundenen elektronischen Geldbörse gutgeschrieben. Wie bisher werden die Verpackungen mit dem blauen Sack entsorgt.

Bei der „körperlichen“ Variante wird das Leergut an Abgabestellen zurückgegeben, wo man das Pfand dann in bar oder als Gutschein erhält. Das soll nicht nur weniger „IT-affinen“ Verbrauchern, sondern auch Personen auf der Durchreise oder auch Obdachlosen eine Teilnahme am System ermöglichen. Für die Rückgabe ist ein enges Netz an Abgabestellen vorgesehen, wobei auf eine freiwillige Teilnahme, vorzugsweise von kleinen Geschäften, gedacht ist. Zeitungsgeschäfte werden als besonders geeignet angesehen, Supermärkte dagegen weniger, da dort die notwendige persönliche Unterstützung nicht gewährleistet sei. Die Teilnehmer erhalten für ihre Dienstleistung ein Entgelt. Auch bei diesem Modell soll das Leergut an der Annahmestelle gescannt werden und dann im blauen Sack landen.

CIE/IVE geht von Kosten von einmalig 94 Millionen Euro für die Einrichtung und 125 Millionen Euro jährlich für den Betrieb des Systems aus. Für die Finanzierung setzt man auf die Pfandgelder für Flaschen und Dosen, die nicht zurückgegeben werden. Deren Anteil liege erfahrungsgemäß bei 15 Prozent der verkauften Getränke, woraus ein Betrag von etwa 165 Millionen Euro jährlich errechnet wird. Mit dem „Überschuss“ von 40 Millionen Euro jährlich könne man etwa Kampagnen zur Reduzierung des Verpackungsabfalls finanzieren.

Bahnhof Tournai, Gleis 4

Und wie geht es weiter?

Eine Reaktion der Regionen auf dieses Konzept steht noch aus. Das liegt nicht nur daran, dass das Thema in den Koalitionen in Flandern und der Wallonie umstritten und Brüssel mangels Regierung bis auf weiteres nicht sprechfähig ist. In der Wallonie ist die Zentrumspartei „Les Engagés“ für die Einführung eines Pfandsystems, „aber nicht digital“. Das sei zu kompliziert und in der Praxis noch nirgends ausprobiert worden. Auch das vor allem in Belgien und den Niederlanden aktive Bündnis „Alliance pour la consigne“, dem Vereine, Unternehmen, Kommunen und Privatpersonen angehören, spricht sich entschieden gegen die digitale Variante aus. Stattdessen solle man das Pfandsystem anwenden, das in 50 Ländern in der ganzen Welt gut funktioniere und zu einer fast vollständigen Wiederverwertung führe: dass man das Leergut dort zurückgeben könne, wo man es gekauft habe. Für Pfandflaschen aus Glas werde das schließlich auch in Belgien schon immer so gemacht. Man solle auch nicht die Supermärkte, bei denen die Getränke am häufigsten eingekauft würden, aus der Verantwortung entlassen.

Wenn man sieht, wie schwer sich viele noch immer mit der Mülltrennung zwischen den verschiedenen Säcken tun – manchen scheint es schlicht egal zu sein -, sind Zweifel angebracht, ob ein digitales System wirklich zu höherer Akzeptanz führen wird.

Ob Belgien Vorreiter für eine Digitalisierung des Pfands für Plastikflaschen und Metalldosen wird, bleibt also abzuwarten. Erfahrungen mit der Komplexität und Dauer von politischen Entscheidungsprozessen in Belgien lassen daran zweifeln. Und angesichts des Wechsels der Mehrheit in der Wallonie und – absehbar – in Brüssel werden die Karten wohl neu gemischt. Der Zeitdruck aus der EU-Verpackungsverordnung sitzt den Akteuren im Nacken. Ob das hilft?

English version: Blue Bag

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.