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Knifflige Suche nach dem Mosaik der nächsten belgischen Regierung

 

Von Michael Stabenow

Meinungsumfragen haben in Belgien mittlerweile Seltenheitswert. Für Wirbel sorgen jetzt, besonders in Flandern, die Ergebnisse einer Befragung von knapp 2700 Wählern durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar. Demnach können die beiden nach Unabhängigkeit Flanderns strebenden Parteien, der rechtsextreme Vlaams Belang und die gemäßigtere Neu-Flämische Allianz (N-VA) im Regionalparlament gemeinsam eine absolute Mehrheit von 64 bis 66 der 124 Sitze erreichen.

Dass es zu dem Bündnis der Nationalisten kommt, gilt aber keineswegs als ausgemacht. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen am 9. Juni im Norden des Landes dürften jedoch, das gilt als sicher, großen Einfluss auf die Regierungsbildung nicht nur in Flandern haben, sondern auch bei der Suche nach einem Regierungsmosaik auf föderaler Ebene.

Auftraggeber der Meinungsumfrage sind mehrere zur Roularta-Verlagsgruppe zählende Publikationen, darunter die Wochenzeitschriften Knack und Le Vif sowie die Wirtschaftsblätter Trends und Trends-Tendances (Knack-peiling: coalitie Vlaams Belang en N-VA heeft Vlaamse meerderheid). Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit den jüngsten, regelmäßigen Erhebungen im Auftrag der Zeitungen Le Soir und Het Laatste Nieuws sowie der Fernsehsender RTL und VTM (Belgien steht – wieder einmal – vor einer ungewissen Zukunft – Belgieninfo).

Vlaams Belang in Flandern weiter klar an erster Stelle

Demnach liegt in Flandern der Vlaams Belang in der Wählergunst weiter klar vorne. Die Partei kann derzeit mit einem Stimmenanteil von 25,5 Prozent und einem Zuwachs um 6,8 Prozentpunkte gegenüber der Wahl im Mai 2019 rechnen. Die N-VA des Antwerpener Bürgermeisters Bart De Wever verharrt auf dem zweiten Platz mit 20,6 Prozent, was einem Rückgang um 4,9 Prozentpunkte gleichkäme. Vooruit, die an der seit Oktober 2020 amtierenden Vivaldi-Koalition beteiligten flämischen Sozialisten, haben nach dem Abtritt ihres Parteichefs Conner Rousseau (Aufstieg und Fall des Conner Rousseau – Belgieninfo) Federn lassen müssen. Sie können dennoch mit 14,7 Prozent und einem Zuwachs um 3,9 Prozentpunkte gegenüber 2019 rechnen.

De Croos flämische Liberale weiter im demoskopischen Tiefflug

Auch in der neuen Umfrage liegen die flämischen Liberalen (Open VLD) des föderalen Premierministers Alexander De Croo in Flandern mit 8 Prozent und einem deutlichen Rückgang um 5,5 Prozentpunkte abgeschlagen an siebter Stelle. Davor stehen die linkspopulistische PVDA/PTB mit 10,9 Prozent (plus 5,3 Prozentpunkte), die flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) mit 10,5 Prozent (ein Rückgang um 3,7 Prozentpunkte),) sowie die Grünen (Groen) mit 8,7 Prozent, was einem Rückgang um 1,2 Prozentpunkte entspricht.

In Wallonien führen in der Umfrage ein weiteres Mal die Sozialisten (PS) mit 24,3 Prozent, gefolgt von den Liberalen (MR) mit 19,9 Prozent und der PTB/PVDA mit 18,4 Prozent. Die vom perfekt zweisprachigen Raoul Hedebouw geführte Partei rangiert, wie bereits Ende des vergangenen Jahres in einer anderen Umfrage, in der Hauptstadtregion Brüssel derzeit an der Spitze. Mit 18,9 Prozent liegt sie in der neuesten Umfrage vor dem MR (17,9 Prozent), den Grünen (Ecolo) mit 14,2 Prozent und der in der Wählergunst vom ersten auf den vierten Platz abgerutschten PS (13,5 Prozent).

Kommt es zu einer zweiten Vivaldi-Koalition?

Laut der jüngsten Umfrage können die sieben Regierungsparteien der Vivaldi-Koalition (Open VLD, MR, PS, Vooruit, Ecolo, Groen und CD&V) im föderalen Parlament nur noch mit 75 der 150 Sitze rechnen – ein Verlust von 12 Mandaten gegenüber 2019. Es schießen regelmäßig Spekulationen ins Kraut, wonach die oppositionelle französischsprachige Partei „Les Engagés“ (derzeit fünf Sitze), die Schwesterpartei der CD&V, nach der Wahl einer dann auf acht Parteien erweiterten Vivaldi-Koalition zu einer Mehrheit und damit einer weiteren Amtszeit verhelfen könnte.

De Wevers Strategie: Schreckgespenst Vivaldi

Der N-VA-Vorsitzende De Wever versucht diese Perspektive, aus seiner Sicht ein Schreckgespenst, im Wahlkampf zu nutzen. In einer von Knack veröffentlichten Reaktion auf die jüngste Umfrage erklärte er, für seine Partei liege das Ergebnis im Trend vorausgegangener Umfragen. De Wever fügte jedoch zu: „Für uns ist dieses Ergebnis noch immer unzureichend, da es auf föderalem Niveau zu einer zweiten Vivaldi-Regierung führen würde – mit der Entschuldigung: Tous ensemble contre l´extrême droite (Alle zusammen gegen den Rechtsextremismus, Anm. der Redaktion)“.

Letzteren Satz formulierte De Wever offenbar bewusst auf Französisch, um seit Jahren bei den flämischen Wählern verloren gegangenen Boden wieder gut und die N-VA ein weiteres Mal zur stärksten Partei zu machen. Gerade auf Feldern wie Steuer-, Haushalts-, Migrations- und Energiepolitik, bei denen der öffentliche Missmut am größten sei, drohe sich das „Missmanagement“ in Brüssel fortzusetzen. „Wir müssen die größte Partei werden, um dem zu begegnen. Das bleibt unser Ehrgeiz“, erklärte De Wever laut Knack.

Vlaams Belang umwirbt die N-VA. Was wird aus dem „cordon sanitaire“?

Noch drastischer äußerte sich der Vlaams Belang-Vorsitzende Tom Van Grieken. Auf der Website seiner Partei erklärte er: „Es ist an der Zeit, mit den Systemparteien abzurechnen.“ Es liege nun an der N-VA, ob der „Sperrgürtel“ („cordon sanitaire“) gegen seine Partei aufgebrochen werde. Das sei, sollte eine Mehrheit für die nationalistischen Parteien in Flandern geben, ein Problem der N-VA. „Sorgen sie für den Fortbestand, dann ist eine Stimme für die N-VA eine Stimme für linke Parteien. Brechen sie endlich den Cordon auf, dann können sie ihrem Wähler eine rechtere und flämischere Politik bieten. Für uns ist die Entscheidung klar“, sagte Van Grieken.

Im Gegensatz zu manchen Parteifreunden, zum Beispiel dem flämischen Ministerpräsidenten Jan Jambon, ist De Wever in der Vergangenheit auf eine scharfe Abgrenzung gegenüber dem Vlaams Belang bedacht gewesen. In einem Gespräch mit „Trends“ hatte er jedoch unlängst Einblick in seine politische Strategie gegeben. Seien N-VA und Vlaams Belang im flämischen Parlament „unumgehbar“, dann werde das seiner Partei Spielräume eröffnen, auf föderalen Niveau ins Geschäft zu kommen.

De Wever blitzt bei PS-Parteichef Magnette ab

Sollte der Vlaams Belang der N-VA auch nach den Wahlen den Rang ablaufen, dürfte das De Wevers Position im Verhältnis zu den anderen Parteien nicht stärken. Mit seinem auf dem Neujahrsempfang seiner Partei im Januar angeregten Modell einer von ihm als Premierminister geführten Regierung mit den wallonischen Sozialisten, die sich auf wenige wichtige, vor allem haushaltspolitische, Anliegen konzentrieren und den Weg vom Bundesstaat zu einem konföderalen Modell ebnen soll, biss De Wever auf Granit. PS-Parteichef Paul Magnette formulierte es auf dem Neujahrsempfang seiner Partei so.: „Herr De Wever. Wenn Sie ein Land leiten wollen, müssen sie Träume und Ehrgeiz haben für das Land und nicht dessen Ende wünschen.“

 

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