Von Reinhard Boest
Zwei Liebeserklärungen an Ostbelgien von einer Künstlerin und einem Künstler, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die Spoken Word-Künstlerin Jessy James LaFleur aus Kelmis und der Filmemacher Joshua Cremer aus Sankt Vith, genauer aus dem Dorf Crombach, waren am Mittwoch in der Deutschen Botschaft in Brüssel zu Gast.
Die Veranstaltung “Starke Worte, sprechende Bilder – Sprachkultur aus Ostbelgien” war zweifellos einer der Höhepunkte der “Woche für Deutsch”. Mit dieser Veranstaltungsreihe wird noch bis zum Wochenende in ganz Belgien für die deutsche Sprache geworben (siehe https://belgieninfo.net/eine-ganze-woche-deutsch/).
Die beiden Gastgeber Eckart Blaurock, neuer Stellvertreter von Botschafter Martin Kotthaus, und Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, warben für eine stärkere Rolle der deutschen Sprache in Belgien. Immerhin sei Deutschland der größte Nachbarstaat und der wichtigste Handels- und Wirtschaftspartner. Paasch stellte mit Bedauern fest, dass die Zahl der Deutschlernenden in Flandern und der Wallonie rückläufig sei. “Darum ist es gut, dass es jetzt eine ganze Woche für Deutsch gibt und nicht wie früher nur einen Tag”, sagte Paasch.
Ostbelgien, so der Ministerpräsident weiter, sei zwar gern bereit, die Brückenfunktion zu Deutschland (und den anderen deutschsprachigen Ländern) wahrzunehmen und habe das insbesondere während der Grenzschließung zu Corona-Zeiten auch erfolgreich getan. Aber die anderen Regionen müssten schon aus eigenem Interesse hier mehr tun. Die Sprache sei wichtig, auch um die Mentalität des anderen besser zu verstehen. Das wisse man in Ostbelgien mit seiner Grenzlage ganz besonders, sagte Paasch.
Nach dieser Vorrede (Paasch selbstironisch: “Man darf mir kein Mikro geben”) stellte der Moderator des Abends, André Goebels von Radio Contact Ostbelgien, die Hauptpersonen des Abends vor.
Joshua Cremer darf man wohl als “bodenständig” bezeichnen. Schon seine Eltern arbeiteten am Theater Agora in Sankt Vith, und dieses Umfeld hat ihn geprägt. Aber der 32jährige ist auch Musiker (Klarinette und Schlagzeug), Lyriker, Zeichner und Filmemacher. Und das alles neben seiner Hauptbeschäftigung als Erzieher in Sankt Vith. 2021 erschien sein erster Film “The Repairer“, 2023 folgte ‘The Moment of Eternity’.
Beide Filme sind “Made in Ostbelgien”, in der Landschaft der Region und mit ihren Menschen (und gefördert von der Regierung der Deutschprachigen Gemeinschaft). Die Besonderheit: sie wirken ausschließlich durch ihre Bilder – denn in beiden Filmen fällt kein einziges Wort – Sprache durch Bilder. Die an dem Abend gezeigten Ausschnitte sind eher düster und beängstigend, aber von starker Wirkung und sehr menschlich. Der neue Film handelt von einem Zwangsneurotiker, gespielt von Marzel Maraite (ebenfalls ein Crombacher – die ostbelgische Welt ist klein). Cremer sagt, der Film habe auch viel mit ihm selbst zu tun. Filmemachen ist für ihn eine Waffe im Kampf gegen unsere inneren und äußeren Dämonen. Für seinen neuen Film, der Ende November noch einmal im Kino gezeigt wird, hofft er Ende Januar 2024 auf eine Nominierung für das nächste Berlin Independant Film Festival.
Welch ein Kontrast zu Jessy James LaFleur: sie ist schon mit 16 Jahren aus ihrer Geburtsstadt Kelmis geflüchtet, nachdem sie in der Schule gemobbt wurde (ein Problem, das damals noch kaum jemanden interessierte). Zunächst in Nizza, landete sie, die sich selbst als “Kämpferin und Nomadin mit Überzeugungen” bezeichnet, über zahlreiche Stationen in mehreren Ländern in Deutschland (“wo ich eigentlich nie hinwollte”). Seit einigen Jahren lebt die 38jährige in der Oberlausitz und ist mit einem “Ostsachsen aus Weißwasser” verheiratet. Sie organisiert kulturelle Aktivitäten, vor allem mit und für junge Menschen, um der Entvölkerung der ländlichen Räume in Ostdeutschland entgegenzuwirken, wie das Projekt “Spoken Word meets Oberlausitz”.
Besonders stolz ist sie auf ein Projekt mit jungen Frauen der sorbischen Minderheit in Sachsen und Brandenburg – deren Status aber weit entfernt ist von dem der Deutschsprachigen in Belgien. Und es geht ihr um die Verteidigung von Demokratie und Vielfalt, die sie in Ostdeutschland zunehmend gefährdet sieht. “Ja, es ist schlimm”, sagt sie. Als jemand aus “dem Land, in dem die netten Leute wohnen”, falle sie in Sachsen auf. Und sie fühle sich mehr denn je als Ostbelgierin, geprägt durch die praktischen Erfahrungen einer Grenzgängerin in einem friedlichen Europa der offenen Grenzen. Diese Erfahrungen seien leider immer mehr zur einer Selbstverständlichkeit geworden, dabei werde immer deutlicher, wie dünn der zivilisatorische Lack sei. “Es fühlt sich nicht mehr sicher an, aber keiner will es sehen”, sagt sie. Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, es erfordere uns alle, damit Europa bleibe. “Wir brauchen es alle, gerade in schwierigen Zeiten, denn wir sind alle Grenzgänger”.
Nach diesem ernsten Plädoyer für Europa folgt eine temparamentvolle Hommage an ihre ostbelgische Heimat, voller Humor. Auch wenn sie nur noch selten zurückkomme (“außer wenn Oliver Paasch ruft”), hängt sie doch an diesem unbekannten Bergvolk im Osten eines rätselhaften Landes namens Belgien. Beide seien leider viel zu wenig bekannt in Deutschland, wo sie zuweilen gefragt wird: “Sie kommen aus Belgien? Warum sprechen sie so gut Deutsch? Und nicht Belgisch?” Ja, wenn man etwas über Ostbelgien erfahren möchte, müsse man an der Ausfahrt Eynatten mal rausfahren, statt nur vorbei Richtung Lüttich oder Köln (den gesamten Poetry Slam gibt es hier: Liebeserklärung an Ostbelgien).
Der Auftritt endete – auf ausdrücklichen Wunsch des Publikums – mit einem kämpferischen Spoken Word zur Situation in Ostdeutschland. Wenn man nicht gegenhalte, drohe bei den Wahlen im nächsten Jahr eine Katastrophe. Gerade die Lausitz stehe nach 1990 vor einem weiteren tiefen Umbruch mit dem Ende der Braunkohleförderung. Viele, die vor Jahren “rübergemacht” haben, hätten das gemerkt und kämen zurück. Wichtig sei aber auch, dass man den Menschen im Osten endlich auf Augenhöhe begegne.
Am Ende gab es langanhaltenden Beifall für Jessy James LaFleur und Joshua Cremer, zwei wundervolle und doch so verschiedene Sympathieträger für Ostbelgien.
Wer mehr über die beiden erfahren möchte:
https://jessyjameslafleur.com/
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