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Kassandra heute – eine Umweltaktivistin?

Weltpremiere der ersten Oper des Belgiers Bernard Foccroulle in der Monnaie

Von Hajo Friedrich

Die Brüsseler Oper – La Monnaie/De Munt – ist für ihre hervorragenden, mutigen sowie Fühlen und Denken beflügelnden Produktionen weit über die Grenzen Belgiens hinaus bekannt. Die Saison 2023/24 startet am 10. September gleich mit der Weltpremiere eines sozial engagierten Auftragsstücks ihres ehemaligen Generaldirektors, des in Lüttich geborenen Komponisten und Organisten Bernard Foccroulle.

Ein Thema und Problem, das uns alle betrifft: angesichts eines himmelschreienden Problems oder absehbaren Desasters reagieren wir nicht angemessen, einige sogar vollkommen gleichgültig oder zumindest viel zu passiv. Warum – ist doch der wissenschaftliche Befund glasklar? Dieser Jahrtausende alte, gelegentlich auch mit dem Namen Kassandra verbundene Stoff scheint leider auch in unsere angeblich so fortschrittliche Zeit und Welt zu passen.

Mutig und ehrgeizig ist deshalb das Vorhaben der Brüsseler Oper, den Kassandra-Mythos auf die Gegenwart zu übertragen. Für diese Herausforderung hat Intendant Peter de Caluwe seinen Vorgänger, den Komponisten Bernard Foccroulle, gewonnen, der die Monnaie von 1992 bis 2007 leitete. Liebhaber der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach kennen und schätzen seine Einspielung des gesamten Orgelwerks auf 18 CDs.

Cassandra“ ist nun die erste Oper des geborenen Lüttichers. Das Stück verbindet die mythologische Figur der Kassandra mit einer Gegenwart, in der eine junge Aktivistin der Umweltschutzbewegung – namens Sandra – mit ihren Warnungen vor dem Zusammenbruch der Zivilisation auf gläserne Wände und Decken stößt.

Zur Erinnerung: Kassandra ist eine Figur der griechischen Mythologie. Von Gott Apollon erhielt sie wegen ihrer Schönheit die Fähigkeit der Weissagung. Doch sie ließ den Verführer Apollon abblitzen. Und der rächte sich mit dem Fluch, dass niemand Kassandras Weissagungen, wie etwa den Untergang Trojas, Glauben schenkte. Noch heute werden ungehörte Warnungen gelegentlich „Kassandrarufe“ genannt. Der Stoff hat vielfältigen Eingang in Literatur, Film und andere künstlerische Bearbeitungen gefunden. Nun bereichert die Monnaie damit das Opernrepertoire.

Auch der Name unserer heutigen Sandra – eine Abkürzung von Alexandra – hat altgriechische Wurzeln und bedeutet: Helferin, Beschützerin und Verteidigerin. Als Doktorandin der Klimawissenschaften beschäftigt sie sich mit den abschmelzenden Polkappen. Nachdem sie erkennen muss, dass ihre alarmierenden Forschungsergebnisse nicht zu den gebotenen Konsequenzen für den Klimaschutz führen, sucht sie nach anderen Wegen der Kommunikation. Vielleicht kann Witz und Humor eher die gläserne Decke des Nichtwissen-Wollens unangenehmer wissenschaftlicher Erkenntnisse durchstoßen? So fragt sie sich und versucht sich als Stand-up-Comedian.

Diese unerwartete Wendung wirft Fragen auf: Kann Kabarett unser Nachdenken befördern? Und unsere eingefahrenen Verhaltensmuster aufbrechen? Dürfen wir uns gar über ein drohendes Ende der Welt, wie wir sie kennen, lustig machen? Ist die in der Oper als ‚Klimaverrückte‘ verschriene Sandra die Kassandra von heute? Und, kann sich die so genannte Klimabewegung in ihr wiedererkennen?

Mit all diesen und noch mehr Fragen will nicht nur die Oper Anregungen bieten. Die Monnaie nimmt sie auch zum Anlass, ihr „grünes“ Engagement zu bekräftigen. Vor der Premiere und während der gesamten Laufzeit der Oper im September findet ein kleines „Cassandra Festival – Raising Voices“ statt. Es umfasst nicht nur abendliche Debattenveranstaltungen sowie Konzerte des „Cassandra“-Amateurchors, sondern auch viele andere Teilnahmemöglichkeiten für das Publikum. Kurz: Die neue, junge Generation der Klimaaktivisten soll auf das arrivierte Monnaie-Publikum treffen – und umgekehrt.

Die Monnaie kann mit ihren Auftragsproduktionen auf große Erfolge verweisen. So wurde die Eröffnungsoper der Saison 2021/22, „The Time of Our Singing“ von Kris Defoort, im Rahmen der International Opera Awards zur weltweit „besten Opernproduktion“ des Jahres gekürt.

Für große Qualität am Dirigenten- und Regiepult stehen in dem jetzt anstehenden Auftragswerk auch die Namen des Japaners Kazushi Ono und der auch in Deutschland bekannten und geschätzten Französin Marie-Eve Signeyrole, die zum ersten Mal in der Monnaie inszeniert. Der jüngst zum musikalischen Leiter der Brüsseler Philharmoniker ernannte Ono wird die kommende Saison nicht nur eröffnen, sondern sie im Jahr 2024 auch mit dem Dirigat der Puccini-Oper Turandot abschließen. Ihr Monnaie-Debüt feiern auch mehrere international bekannte Sänger und Sängerinnern.

Mit dem englischsprachigen Libretto zur Oper beauftragte Fouccrolle einen Weggefährten seiner Zeit an der Monnaie, den gebürtigen Kanadier und Opernregisseur Matthew Jocelyn. Langjährige Besucher der Monnaie können sich zum Beispiel noch an seine fast 20 Jahre zurückliegende Regiearbeit für die Oper „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss erinnern.

 

Kurz: bei Interesse schnell Karten besorgen, weil die besten Plätze erfahrungsgemäß schnell ausverkauft sind.

 

Premiere: 10. September. Mehr Informationen und Tickets via Website: www.lamonnaie.be

© Foto: La Monnaie – De Munt

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