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Ehrgeiziges Kulturprogramm unter Spardruck

Peter de Caluwe und Christina Scheppelmann

Stabwechsel in der Leitung des Brüsseler Opernhauses La Monnaie/De Munt

Der scheidende Intendant Peter de Caluwe fordert: „Wir müssen uns öffnen und auch verstärkt auch auf hybride Formate einstellen.“ Seine Nachfolgerin Christina Scheppelmann sagt: „Mein Anspruch ist, dem Publikum weiterhin künstlerisch ausgezeichnete Spielzeiten zu bieten.“

Von Hajo Friedrich

Harmonisch und teamorientiert – so verläuft offensichtlich der in diesen Wochen vollzogene Stabwechsel in der Leitung einer der bedeutendsten belgischen Kultureinrichtungen, dem Opernhaus La Monnaie/De Munt in Brüssel. Dies wurde Ende der vergangenen Woche deutlich, als die neue Intendantin Christina Scheppelmann und ihr Vorgänger Peter de Caluwe (Interview siehe Kasten), gemeinsam das Programm für die kommende Saison 2025/26 vorstellten.

Sie trete mit dem Anspruch an, das Haus „mit seinen erstklassigen Teams verantwortungsbewusst zu führen“, sagte Scheppelmann im Gespräch mit Belgieninfo. Es gelte, dem Monnaie- und breiteren Publikum weiterhin künstlerisch ausgezeichnete Spielzeiten zu bieten. „Beides ist für mich Programm und Mission“, erläuterte die gebürtige Hamburgerin. Zuletzt war sie Generaldirektorin einer der führenden und innovativen Musiktheaterbühnen in Nordamerika, der Seattle Opera.

Obwohl Scheppelmann ihr Amt in Alleinverantwortung offiziell erst am 1. Juli antritt, zeichnet der Belgier Peter de Caluwe (aus Haushaltsgründen) noch für das Programm bis Ende dieses Jahres verantwortlich. Und so überrascht es nicht, dass die neue Saison im September mit einer seiner Lieblingsopern, „Falstaff“ von Giuseppe Verdi, startet – in Anlehnung an eine Produktion des königlichen Opernhauses „Teatro Real“ in Madrid. Am Dirigentenpult steht bei den meisten Vorstellungen der Musikalische Direktor der Monnaie, Altin Altinoglu. Der Franzose setzt damit die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Regisseur Laurent Pelly fort.

Danach folgt die Oper „Ali“ – die nacherzählte, wahre Geschichte der zwei Jahre dauernden Flucht des 14-jährigen Ali Abdi Omar vor dem Terror in seinem Heimatland Somalia bis zum Brüsseler Südbahnhof. Das von Michiel Delanghe dirigierte und von Ricard Soler Mallol inszenierte Stück wurde in Brüssel bereits vor einem Jahr vom Königlichen Flämischen Theater (KVS) entwickelt und aufgeführt.

Das Opern-Kalenderjahr der Monnaie endet mit Vincenzo Bellinis Meisterwerk „Norma“ unter der Regie von Christophe Coppens und George Petrou am Dirigentenpult. Damit habe ein breiteres Publikum Gelegenheit, die britische Sopranistin Sally Matthews in der Titelrolle zu erleben; vor vier Jahren habe die Oper pandemiebedingt nur fünfmal vor jeweils 200 Menschen aufgeführt werden dürfen, sagte de Caluwe.

Mit einem furiosen Auftakt, nämlich mit Hector Berlioz‘ „Benvenuto Cellini“, beginnt die neue Monnaie-Intendantin das Opern-Jahr mit einer Neuproduktion. „Was könnte aufregender sein, als den Karnevalsgenuss des Bildhauers und Goldschmieds Cellini in Rom zu Zeiten der Renaissance zu erleben“, sagte der für seine enorme Kreativität auch in Deutschland und Österreich bekannte Regisseur Thaddeus Strassberger in der Vorwoche in Brüssel anlässlich der Vorstellung der Neuproduktion.

Kölner und andere Rheinländer aufgepasst: das Stück des sich selbst als „amerikanischen, italienischen und Cherokee-Nation-Bürgers“ bezeichnenden Strassberger dürfte auch Anregungen für alle Feierfreudigen in der so genannten fünften Jahreszeit enthalten – etwa für eine Frischzellenkur der in die Jahre gekommenen Rituale des rheinischen Karnevals.

Es sei verfrüht, jetzt schon zu sagen, was sie an der “Monnaie“ für bewahrenswert ansehe oder was sie vielleicht zu ändern gedenke, sagte Christina Scheppelmann im Gespräch mit Belgieninfo. Wenn etwas nicht kaputt sei, solle man es auch nicht zu reparieren versuchen: „La Monnaie hat eine lange Qualitätstradition, viele neue Impulse sind von hier ausgegangen, und sie befindet sich in einer der internationalsten Städte der Welt“. Das alles sei eine Herausforderung und biete viele Möglichkeiten.

Hart zu arbeiten, wie bisher überall“, so Scheppelmann, habe sie sich auch für ihre kommende Amtszeit vorgenommen. Brüssel sei in ihrem Berufsleben „Stadt Nr. 9 im Land Nr. 6.“ Sie sei weiterhin stolze Hamburgerin und Hanseatin und liebe kosmopolitische, internationale Städte. „Ich bin infolgedessen begeistert, jetzt in Brüssel zu sein“, sagte sie gegenüber BelgieniInfo.

Liebhaber von Mozart-Opern und der griechischen Sagenwelt dürften im kommenden März bei „Idomeneo“ auf ihre Kosten kommen. Die Gemeinschaftsproduktion mit dem tschechischen National-Theater in Prag wird von Calixto Bieito inszeniert und von Enrico Onofri dirigiert.

Die Intendanten mit Iain Bell

Fest vorgenommen hat sich die neue Intendantin, auch an der Monnaie das Repertoire an Opern zu erweitern. So feiert im Mai 2026 eine vollständige Neuerzählung der mythologischen Figur „Medusa“ Weltpremiere in Brüssel. Hier erscheine sie nicht, wie so oft, als Nebenfigur und Monster, sondern eher als Opfer und Zentrum ihrer eigenen Geschichte. Dies sagte der Komponist Iain Bell in der Vorwoche bei der Präsentation des Werks in Brüssel, auch im Blick auf seine Zusammenarbeit mit der auch im deutschen Sprachraum bekannten amerikanischen Regisseurin Lydia Steier.

Gleich zweimal könnte sich im Juni 2026 der Besuch der bereits vor vier Jahren von der Monnaie produzierten Oper Tosca von Giacomo Puccini lohnen, sagte Scheppelmann im Blick auf die beiden sich abwechselnden und erstmals in der Monnaie auftretenden Tosca-Interpretinnen Leah Hawkins und Vanessa Goikoetxea.

Reichhaltig ist auch wieder das Angebot, das sich vor allem an Kinder und Jugendliche, also an Familien und Schulen richtet. Dazu zählen Führungen durch das Opernhaus und Konzerte. So bietet zum Beispiel „La Cuisine Musicale“ im kommenden Januar bereits für vierjährige und ältere Kinder ein buntes musikalisches Treiben bei der Essenszubereitung in einer Küche. Ein Höhepunkt für Eltern und Kinder dürfte „Der Nussknacker“ von Pjotr Iljitsch Tschaikowski sein, den Alain Altinoglu am 15. Februar 2026 zweimal dirigieren wird. Kinder unter 15 Jahren haben übrigens bei den Konzerten freien Eintritt, wenn sie von einem zahlenden Erwachsenen begleitet werden.

Elf Konzerte an verschiedenen Plätzen bietet die Monnaie in der kommenden Saison an. Die Titel reichen von „Shakespeare in Music“ über „Mussorgsky meets Shostakovich“, „Carnival Season“ bis „Fasten Seat Belts!“. Letzteres, von Alain Altinoglu dirigiertes Konzert gipfelt in Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“.

In enger Zusammenarbeit mit dem flämischen KVS und dem Théatre National Wallonie-Bruxelles bietet die Monnaie aber auch in der kommenden Saison wieder die Gelegenheit, andere Veranstaltungsorte und – konzepte kennenzulernen. 16 verschiedene Vorstellungen umfasst etwa die Reihe „Troika Dance“. So können Tanzbegeisterte zum Beispiel in einer Inszenierung von Anne Teresa De Keersmaeker und Solal Mariotte getanzte Chansons von Jacques Brel erleben.

Wer in der Mittagspause Zeit und Lust auf Musik hat, dem sei die Reihe der „Concertini“ empfohlen. Sie wird von diesem Oktober an bis Mitte Juni 2026 an jedem Freitag um 12.30 Uhr angeboten. Dabei treten junge Talente des hauseigenen Symphonieorchesters und der Kaderschmiede MM Academy auf. Das Programm kann ab Anfang Juni über die Internetseite der Monnaie abgerufen werden:

Mehr Informationen über das kommende Programm der Monnaie und – wichtig – die jeweiligen Termine, insbesondere wann der freie Verkauf beginnt, finden sich auf der Website https://www.lamonnaiedemunt.be. Interessenten sei empfohlen, Tickets oder besser noch ein Abo so früh wie möglich zu buchen, weil viele Vorstellungen erfahrungsgemäß sehr schnell ausgebucht sind.


Belgieninfo-Interview mit Peter de Caluwe

Herr de Caluwe, nach fast 20 Jahren endet in diesem Sommer Ihre Intendanz am Brüsseler Opernhaus La Monnaie/De Munt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Ich kannte die Monnaie schon seit meiner Jugend, und die Berufung auf den Intendantenposten war und ist für mich der Höhepunkt in meinem Berufsleben. Ich wusste schon immer um die hohe künstlerische Qualität der Monnaie und bin mit dem Anspruch angetreten, auch die Organisation des Hauses auf einen Spitzenplatz zu bringen. Das war die härteste Arbeit. Ich glaube, sie ist gelungen. Wir sind heute zum Beispiel viel weniger hierarchisch organisiert, sondern arbeiten erfolgreich als ein Team.

Können Sie ihre erreichten Ziele in Stichworten zusammenfassen?

Ja, da ist zunächst natürlich die immer wieder bewiesene, ungeheure Kreativität des gesamten Teams. Dann das Empowerment, das heißt nicht nur die Stärkung der Monnaie als sozialem Akteur, sondern auch in der Qualifizierung der Mitarbeiter. Und dann der Impact, also die Wirkung auf die Gesellschaft, wobei mir nicht Streit oder Konflikt, sondern Dialog und Harmonie ganz wichtig sind. Was ist unsere Rolle? Diese Frage habe ich immer wieder mit meinen Mitarbeitern erörtert.

Zweifellos ist die Monnaie gut aufgestellt. Sie hat einen künstlerischen Ruf wie Donnerhall. Dennoch dürften über kurz oder lang auch von Ihrem Haus Einsparungen von ihrem Hauptfinanzier, dem belgischen Staat, verlangt werden.

Ja, wie überall in Europa müssen auch wir uns auf zunehmende Einsparungen einstellen. Dabei möchte ich gerne noch einmal auf die wichtige Rolle der Kultur in unserer Gesellschaft hinweisen. Die öffentliche Hand sollte ihre Zuschüsse nicht als Subvention, sondern vielmehr als Investition betrachten. Kulturereignisse können, volkswirtschaftlich gesprochen, einen großen Return of Investment besitzen. Nicht zuletzt auch im Blick auf etwas, was mit mentaler Gesundheit bezeichnet werden könnte. 

Aber scheint im Augenblick die Parole nicht eher zu lauten: Hochrüstung statt Hochkultur?

Verteidigungsfähigkeit ist natürlich wichtig, aber sie kann nicht nur aus Hardware bestehen. Ich denke da eher als Humanist denn als Ökonom und wünschte mir mehr Diplomatie, Verständnis und Empathie im Umgang mit Gegnern und Konflikten. Dazu enthält die Kultur ein großes, aber längst noch nicht ausgeschöpftes Potential. Teilnahme an der Kultur ist nicht nur ein Ritual, sondern auch die Teilnahme an einer Gemeinschaft – das haben ja auch die Freiheitsbeschränkungen in der Pandemie gezeigt. 

Any regrets, also Bedauern über nicht erreichte Ziele oder nicht verwirklichte Projekte?

Ja, und das hat auch mit mangelnden Mitteln zu tun. Das sind die Projekte mit einer weitaus größeren Beteiligung von Publikum und Künstlern aller Stufen. Ein neues Publikum für Konzerte, Oper und Theater lässt sich nicht mehr an den traditionellen Orten gewinnen. Wir müssen andere Formate entwickeln. Wir müssen, drastisch und, bildlich gesagt, unsere Mauern niederreißen. 

Mit dem vor knapp drei Jahren zusammengestellten, 80 Sänger zwischen 20 und 75 Jahre umfassenden Choeur Cassandra Koor haben Sie ja ein erfolgreiches, aogeanntes Community-project geschaffen.

Genau, darauf aufbauend möchte ich weitermachen. Ich plane eine eigene Stiftung, für die ich auch Geldgeber suche. Eine Idee wären diese Community-projects:  Denn, egal ob Musik, Gesang, Tanz oder Chor – alles, was für den Profi, Amateur oder Studenten in voneinander getrennten Welten bereits existiert, ließe sich in Projekten zusammenbringen. Topdown denken, bottom up organisieren – ich kenne viele prominente Künstler, die genau daran interessiert sind.   

Mit der Pandemie hat das Arbeiten im Homeoffice und der Online-Kulturgenuss einen unerwarteten Durchbruch geschafft. Was bedeutet das für die Oper?

Ich bin sicher, dass wir uns verstärkt auf hybride Formate einstellen müssen. Zum Beispiel muss bereits bei der Dramaturgie der Stücke an die Zuschauer gedacht werden, die sie nur oder zusätzlich auch am Bildschirm verfolgen. Hybrid bedeutet für mich aber auch, wenn zum Beispiel Beethovenmusik auf einen DJ-Soundmixer trifft. Kurz gesagt: neue Begegnungen, neue Horizonte, und vor allem Partizipation zwischen Publikum und Künstler.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für Ihre künftigen Projekte. 

Die Fragen stellte Hajo Friedrich

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