Von Michael Stabenow
Die belgische „Arizona“-Koalition ist erst seit gut sechs Wochen im Amt. Für eine umfassende Zwischenbilanz der Regierungsarbeit dürfte es noch zu früh sein. Einige Trends sind jedoch erkennbar. So zeigen die jüngsten Ergebnisse der vierteljährlich im Auftrag der Fernsehsender VTM und RTL sowie der Tageszeitungen Het Laatste Nieuws und Le Soir stattfindenden repräsentativen Ipsos-Meinungsumfrage unterschiedliche Entwicklungen im Land. Hochgerechnet auf die Zusammensetzung der Kammer, des föderalen Parlaments, hätte die Koalition allerdings im Moment keine Mehrheit. Vor allem wegen der Verluste der Koalitionspartner aus dem französischsprachigen Landesteil käme sie nur auf 75 von 150 Sitzen (derzeit hat sie 81).
Die flämischen Regierungsparteien, die Neu-Flämische Allianz (N-VA) von Premierminister Bart De Wever, die flämischen Sozialisten (Vooruit) und Christlichen Demokraten (CD&V) wirken relativ stabil. Rückläufig ist die Zustimmung dagegen für die beiden französischsprachigen Koalitionspartner, die Liberalen (MR) und die zentristische Partei „Les Engagés“.
RTL/Le Soir: Si les Belges devaient revoter ce dimanche, le MR ne serait plus le premier parti de Wallonie | RTL Info).
Die neuen Umfrageergebnisse deuten auf eine weitere Stärkung der politischen Ränder sowohl im Nord- als auch im Südteil Belgiens hin. In Flandern rangiert der rechtsradikale Vlaams Belang mit 25,7 Prozent an erster Stelle – knapp vor der N-VA, die mit 25,6 Prozent um 0,1 Prozentpunkte über dem bei den Parlamentswahlen im Juni 2024 erreichten Ergebnis rangiert. Damals hatte die N-VA nicht zuletzt dank des bei Fernsehdebatten sehr selbstbewusst auftretenden Parteichefs De Wever den lange in den Umfragen führenden Vlaams Belang noch überflügeln können, der bei 21,8 Prozent landete.
Laut der jüngsten Umfrage könnte die Partei vom rechten Rand mit einem Stimmenzuwachs um fast vier Prozentpunkte rechnen. Anders als bei der Parlamentswahl 2024 kämen mit N-VA und Vlaams Belang die beiden für die Unabhängigkeit Flanderns eintretenden Parteien gemeinsam auf eine absolute Mehrheit der Stimmen. Allerdings hat die N-VA schon vor den jüngsten Koalitionsverhandlungen ihre Position gemäßigt und abermals klargestellt, dass ein weiterer Umbau des Staats die vorgesehene Zweidrittelmehrheit im Parlament benötige – und die ist nicht in Sicht.
Die Vooruit-Wähler verübeln ihr offenbar die Koalition mit vier weiter rechts stehenden Parteien nicht. Die Sozialisten könnten derzeit gegenüber dem Wahlergebnis von 2024 mit einem Zugewinn um 1,3 Prozentpunkte auf 14,3 Prozent rechnen. Dagegen schneidet die CD&V in der jüngsten Umfrage mit 11,7 Prozent um 1,1 Prozentpunkte schlechter ab als bei der Parlamentswahl. Weiter im Umfragetief und nur leicht oberhalb der Fünf-Prozent-Klausel stecken die flämischen Grünen (6,6 Prozent) sowie die Liberalen (Open VLD) des früheren Premierministers Alexander De Croo (6 Prozent).
Dagegen erfreut sich die linkspopulistische, vom rhetorisch geschliffenen Raoul Hedebouw geführte PVDA/PTB in allen Landesteilen steigender Beliebtheit. In Flandern könnte sie derzeit mit 10 Prozent rechnen – 1,8 Prozentpunkte mehr als im Juni 2024. In Wallonien, wo die Partei damals mit 11,6 Prozent unerwartet schlecht abgeschnitten hat, steht sie inzwischen wieder bei 17,4 Prozent.
Dass im lange „roten“ Wallonien das politische Pendel wieder nach links ausschlägt, zeigen auch die von den Demoskopen ermittelten Zuwächse für die Sozialisten (PS) – von 22,0 auf 25,8 Prozent – sowie für die Grünen (Ecolo) – von 6,9 auf 7,8 Prozent. Dagegen geht es für die beiden den Süden des Landes seit dem Sommer 2024 in einer Mitte-Rechtskoalition regierenden Parteien in den Umfragen bergab. Dies gilt besonders für die vom umtriebigen MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez angeführten Liberalen. Sie müssten laut Umfrage mit einem Rückgang von 28,2 auf jetzt 24,8 Prozent den Spitzenplatz wieder an die Sozialisten abtreten. Auch für Les Engagés und ihren seit wenigen Wochen als Außenminister amtierenden Spitzenmann Maxime Prévot weist die jüngste Umfrage einen Rückgang von 20 auf 18,6 Prozent aus.
In den ersten Wochen der neuen Regierung hat sich gezeigt, dass Premierminister De Wever versucht, innerhalb der Arizona-Koalition ausgleichend zu wirken. Auch in der Europapolitik schwenkt die Partei, die im Europäischen Parlament der stark euroskeptisch geprägten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) angehört, zunehmend auf die traditionell integrationsfreundliche Position der Koalitionspartner CD&V, Vooruit, MR und „Les Engagés“ ein.
Hintergrund sind die in der Handelspolitik und im Umgang mit dem Ukrainekrieg zunehmenden Spannungen im transatlantischen Verhältnis. Geplant ist jetzt, in diesem Jahr die belgischen Verteidigungsausgaben von (lediglich) 1,3 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Dies würde für das ohnehin haushaltspolitisch stark in der Klemme steckende Land mit zusätzlichen finanziellen Belastungen von vier Milliarden Euro einhergehen. Gegen die Überlegungen, deshalb die verbleibenden Anteile des belgischen Staats an der Großbank BNP Paribas Fortis oder die staatliche Belfius-Bank zum Teil zu privatisieren, gibt es nicht zuletzt unter Hinweis auf die stattlichen Dividendenzahlungen beider Finanzinstitute aber auch innerhalb der Koalition Vorbehalte.
Für Spannungen sorgen weiterhin die sich inzwischen seit mehr als neun Monaten hinziehenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung für die Hauptstadtregion Brüssel. Die mit einer Vermittlungsmission betrauten Politiker Christophe De Beukelaer (Les Engagés) und Elke Van den Brandt (flämische Grüne) sind nach gut drei Wochen dauernden Sondierungen zwar zu dem Schluss gelangt, dass eine Kombination von – auf französischsprachiger Seite – MR, PS und Les Engagés sowie – auf niederländischsprachiger Seite – Groen, Vooruit, CD&V sowie Open VLD – naheliegend sei. Sie haben aber auch eingeräumt, dass eine damit einhergehende Nichtbeteiligung der durch die PS kategorisch abgelehnten N-VA an der Regierung „noch nicht von allen unterstützt wird“.
Auf die Umfrageergebnisse in Brüssel hat die seit Monaten andauernde politische Blockade wenig Auswirkungen. Die Liberalen, deren Spitzenkandidat David Leisterh trotz seiner im Februar – wohl nur vorübergehend – aufgegebenen Bemühungen zur Regierungsbildung weiter als Hauptanwärter auf das Amt des Brüsseler Ministerpräsidenten gilt, kommen derzeit zusammen mit ihrem flämischen Partner OpenVld auf 21,8 Prozent und erweisen sich anders als in Wallonien in den Umfragen stabil. Knapp dahinter folgen die Sozialisten (PS/Vooruit), die in der jüngsten Umfrage auf 21,5 Prozent kommen und 2024 ihre Spitzenposition in Brüssel an die Liberalen verloren hatten.
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