Aktuell, Politik

Was plant Bart De Wever?

Bart De Wever Facebook

Demoskopischer Höhenflug des rechtsradikalen Vlaams Belang bringt den Parteichef der nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) in Bedrängnis

Von Michael Stabenow

Etwas mehr als drei Monate vor den Wahlen zum föderalen und zu den regionalen Parlamenten Belgiens steigt die Spannung. Dies gilt besonders für den nördlichen Landesteil, wie die Ergebnisse einer jetzt veröffentlichten Meinungsumfrage der Universität Antwerpen im Auftrag des Rundfunksenders VRT und der Zeitung De Standaard zeigen. Sie lassen erwarten, dass am 9. Juni in Flandern der rechtsradikale und fremdenfeindliche Vlaams Belang mit 27,8 Prozent der Stimmen und großem Abstand stärkste Partei werden könnte.

Gegenüber den unlängst vorgelegten Ergebnissen einer Umfrage im Auftrag der Wochenzeitschrift Knack und anderen flämischen Publikationen ist auffällig, dass der Abstand zwischen dem Vlaams Belang und der seit einem Jahrzehnt das Geschehen im Norden des Landes dominierenden gemäßigteren flämisch-nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) deutlich größer ausfällt. Da die N-VA des Antwerpener Bürgermeisters Bart De Wever erstmals seit Jahren in einer Umfrage mit jetzt 18,9 Prozent deutlich unter die Marke von 20 Prozent gefallen ist, liegen beide Parteien fast neun Prozentpunkte auseinander.

In der „Knack“-Umfrage betrug der Abstand zwischen dem Vlaams Belang (25,5 Prozent) und der N-VA (20,9 Prozent) „nur“ 4,9 Prozentpunkte. Bei der Wahl im Mai 2019 hatte die N-VA mit 24,8 Prozent noch klar vor dem damals schon deutlich erstarkten Vlaams Belang (18,5 Prozent) gelegen. Als einzige der an der föderalen „Vivaldi“-Regierung beteiligten vier flämischen Parteien können laut der jüngsten Umfrage nur die inzwischen unter „Vooruit“ firmierenden flämischen Sozialisten mit einer Stimmenplus – von 10,1 auf 13,7 Prozent – rechnen. Zu den weiteren Gewinnern der Umfrage zählt die linkspopulistische PVDA/PTB mit einem von 5,3 auf 10,7 Prozent verdoppelten Stimmenanteil.

Fast 40 Prozent für Parteien am rechten und linken Rand

Der ebenso erstaunliche wie auch erschreckende Befund lautet, dass in Flandern, einem der wohlhabendsten Landstriche Europas, die Parteien der rechten und linken Ränder gemeinsam auf einen Stimmenanteil von 40 Prozent kommen könnten. Während Vlaams Belang-Parteichef Tom Van Grieken darauf hofft, die Widerstände der N-VA gegen ein Bündnis mit seiner Partei endlich zu durchbrechen, befindet sich De Wever, wie sein abendlicher Aufritt in der VRT-Sendung „De Afspraak op vrijdag“ zeigte, deutlich in der Klemme.

De Wever bemüht das Schreckgespenst „Vivaldi 2“

Der N-VA-Parteichef gab sich zwar kämpferisch und zuversichtlich, das Blatt im Wahlkampf noch zu Gunsten seiner Partei wenden zu können. Er bemühte dabei das – aus seiner Sicht – Schreckgespenst einer Neuauflage der aus den Liberalen, Sozialisten und Grünen beider Landesteile sowie den flämischen Christlichen Demokraten bestehenden „Vivaldi“-Koalition. Entspreche die Umfrage dem Wahlergebnis, komme es zwangsläufig zu „Vivaldi 2“. Das wolle niemand. „In den linken Medien scheint jedoch ein Freudenfeuer entbrannt zu sein: ´wir sind endlich von der nervenden N-VA erlöst. Lang lebe der Vlaams Belang, von dem keinerlei Bedrohung ausgeht, denn der wird föderal doch nie zum Zuge kommen`“, sagte De Wever.

Die N-VA hatte sich unter De Wevers Führung neben den französischsprachigen Sozialisten (PS) zur stärksten politischen Kraft in Belgien entwickelt. Seit 2014 regiert sie in einer Koalition mit Liberalen und Christlichen Demokraten als Juniorpartner den nördlichen Landesteil. Von 2014 bis 2018 war sie mit beiden Parteien an der vom französischsprachigen Liberalen und derzeitigen EU-Ratspräsidenten Charles Michel geführten belgischen Koalitionsregierung beteiligt.

Der demoskopische Niedergang der N-VA

Obwohl De Wever nach wie vor oft als „der starke Mann“ Flanderns gesehen wird, führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass der Zuspruch für seine Partei deutlich gesunken ist: von 31,9 Prozent auf jetzt 18,9 Prozent in der jüngsten Umfrage. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Befragung zwischen dem 8. und 22. Januar stattfand und es zu den dem Ansehen der N-VA nicht unbedingt zuträglichen Bauernprotesten erst danach gekommen ist.

Vlaams Belang-Erfolg als Vorwand für „Vivaldi 2“?

De Wever gibt sich dieser Tage dennoch – oder gerade deswegen – kämpferisch. So verwies er jetzt darauf, dass er in der Popularitätsrangliste „Lichtjahre vor anderen“ rangiere. Der NVA-Parteichef vertraut weiter auf seine Strahlkraft. Er versucht, die flämischen „Vivaldi“-Parteien zu einem Bekenntnis zu drängen, nur dann sich an der föderalen Regierung zu beteiligen, wenn dort eine flämische Mehrheit repräsentiert sei. Er unterstellt der Konkurrenz, ein gutes Ergebnis des Vlaams Belang als Vorwand für „Vivaldi 2“ zu nutzen und Belgien „weiter in den Abgrund“ zu führen.

Dieser mit dem Mehrheitsprinzip gerechtfertigten Debatte mangelt es nicht an einer gewissen Scheinheiligkeit. So hatte sich die N-VA 2014 an einer föderalen Regierung beteiligt, in der mit den französischsprachigen Liberalen (MR) Michels nur eine Partei aus dem Süden des Landes vertreten war. Sie stand dort für nur gut Fünftel der Wähler.

De Wever will sich nicht festnageln lassen

Mit Spannung wird verfolgt, ob die Kräfte in der N-VA, die aufgeschlossen für ein Bündnis mit dem Vlaams Belang sind, die Oberhand gewinnen könnten. Für die übrigen Parteien gilt strikt das Prinzip einer „Brandmauer“ („cordon sanitaire“) gegenüber dem Vlaams Belang. De Wever, der als entschiedener Kritiker der Rechtsradikalen gilt, hat sich auch jetzt in der VRT gegen die Partei gewandt. Aber er lässt dennoch den künftigen Kurs in der Schwebe. Schon bei der federführend von der Zeitschrift Knack organisierten Debatte der flämischen Parteivorsitzenden hatte De Wever orakelnd an die Adresse der „Vivaldi“-Parteien erklärt: „Wenn man mich föderal außen vor lässt, kann man flämisch nicht auf mich rechnen. Einmal ein Messer im Rücken – aber kein zweites Mal.“

Mehrfach wurde De Wever in „De Afspraak op vrijdag“ gefragt, ob er ein Bündnis mit dem Vlaams Belang ausschließe. Der N-VA-Parteichef wollte sich aber nicht festnageln lassen – und schuf damit keinerlei Klarheit darüber, ob ein Bündnis mit dem Vlaams Belang nicht doch in Frage kommen könne. Sein Anspruch ist es, mit unter anderem den von ihm meist mit abfälligen Worten bedachten französischsprachigen Sozialisten eine föderale „Mini-Regierung“ unter seiner Führung zu bilden. Sie soll sich auf vorrangige haushalts- sowie wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorhaben konzentrieren und den Weg zum Konföderalismus durch einen weiteren Um- beziehungsweise Abbau des belgischen Bundesstaats ebnen.

Sollte die N-VA sich in Flandern auf ein Bündnis mit dem Vlaams Belang einlassen, müsste sich De Wever, das weiß er natürlich, seine Ambitionen auf das Amt des belgischen Premierministers abschminken. In seinem Interesse liegt es derzeit aber offenkundig, mit den Reizthemen Vlaams Belang und „Vivaldi 2“ den Wahlkampf weiter anzuheizen. „Mit einer guten Kampagne können wir die Dinge noch zurechtrücken“, sagte De Wever.

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.