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Regierungsbildung in Belgien: De Wever erhält nochmals zehn Tage

© N-VA

Von Michael Stabenow

Ein halbes Jahr nach der Parlamentswahl vom 9. Juni verfügt Belgien nach wie vor nicht über eine handlungsfähige Regierung. Zuletzt hingen wieder dunkle Wolken über den Gesprächen der fünf Parteivorsitzenden, die seit Monaten an einer Übereinkunft zur sogenannten Arizona-Koalition werkeln.

Schon machten Mutmaßungen die Runde, dass Bart De Wever, der mit der Regierungsbildung betraute Antwerpener Bürgermeister und Vorsitzende der flämisch-nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA), von der Aufgabe entbunden werden könnte. Als De Wever nach einer Audienz bei König Philippe das Schloss am Dienstagabend verlassen hatte, stand fest: Das Staatsoberhaupt hat den Auftrag für De Wever um weitere zehn Tage, bis zum 20. Dezember, verlängert.

Ähnlich wie Ende August, als der N-VA-Parteichef König Philippe vergeblich darum gebeten hatte, von der Aufgabe des Regierungsbildners („Formateur“) entbunden zu werden (Eine zweite Chance für Bart De Wever – Belgieninfo), hakt es auch derzeit in den Verhandlungen der Koalitionspartner in spe an der Haushaltspolitik. Alle Unterhändler sind sich klar darüber, dass die rund 11,8 Millionen in Belgien lebenden Menschen angesichts der desaströsen Lage des Staatshaushalts den Gürtel in den kommenden Jahren werden enger schnallen müssen.

Eigentlich sollte Belgien der Europäischen Kommission spätestes zum Jahresende ein glaubwürdiges Programm zur Haushaltssanierung vorlegen. Mangels handlungsfähiger Regierung muss sich das Land – und die EU-Budgetwächter – einstweilen mit der sogenannten Zwölftelregelung zufriedengeben. Dabei richtet sich der Haushalt 2025 nach den Vorgaben des diesjährigen Etats.

Im August hatte Georges-Louis Bouchez, der umtriebige Parteichef der französischsprachigen Liberalen (MR) mit seiner Ablehnung einer „Reichensteuer“ insbesondere Conner Rousseau, den ähnlich stark auf Außendarstellung bedachten Vorsitzenden der flämischen Sozialisten (Vooruit), regelrecht auf die Palme gebracht. In den jüngsten Haushaltsgesprächen verlaufen die Fronten dagegen anders. De Wever zeigt sich, darin unterstützt von Bouchez, bestrebt, im Haushalt Einsparungen von rund 20 Milliarden Euro sowie Mehrausgaben von drei Milliarden Euro festzuzurren.

Rousseau, aber auch Sammy Mahdi, Parteichef der flämischen Christdemokraten (CD&V), sowie Maxime Prévot, der im Südteil des Landes beliebte Vorsitzende der in der politischen Mitte verorteten französischsprachigen Partei „Les Engagés“, sehen das Vorgehen des Gespanns De Wever-Bouchez kritisch. Aus ihrer Warte muss es darauf ankommen, zunächst festzulegen, wo und wie an welcher Stelle im Haushalt gespart werden soll. De Wever lenkte nun offenbar ein. So soll jetzt konkret die “heißen Eisen” der Arbeitsmarkt-, Renten- und Steuerpolitik verhandelt werden.

Bei allen Differenzen, die in den vergangenen Tagen die Beratungen belastet haben, scheint sich jetzt jedoch abermals zu bewahrheiten, dass es keine realistische Alternative bei der Regierungsbildung gibt. Die verschiedentlich in die Debatte geworfene Option, es ohne Vooruit und stattdessen mit den bei der Parlamentswahl am 9. Juni arg gerupften flämischen Liberalen (Open VLD) des noch geschäftsführend amtierenden Premierministers Alexander De Croo zu versuchen, wurde verworfen. Das geschah wohl nicht zu Unrecht, da in diesem Fall die neue Regierung sich nur auf eine extrem dünne Parlamentsmehrheit von 76 der 150 Sitze stützen müsste.

Ob es De Wever gelingt, bis zum Jahresende einen Arizona-Koalitionsvertrag unter Dach und Fach zu bringen? Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate dürfte kaum ein Unterhändler dafür seine Hand ins Feuer legen. Dass die Frage von – viel – Minder- und – wenig – Mehrausgaben die anderen Themen der Koalitionsgespräche in den Hintergrund gedrängt haben, könnte sich letztlich auch als ein Vorteil in den Verhandlungen erweisen. Sollte es gelingen, einen Kompromiss zum Umgang mit den lieben Geld zu erreichen, dann dürften sich auch für die Asyl- und Migrationspolitik sowie für heikle gesellschaftspolitische Themen wie das Abtreibungsrecht gemeinsame Sprachregelungen finden lassen.

 

 

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