Von Michael Stabenow
Der 25. Mai 2025 wird ein Tag sein, der in der Geschichte des belgischen Fußballs ziemlich unvergessen bleiben dürfte. An diesem Sonntag, gegen 20:25 Uhr, stand fest, dass der 1897 gegründete Traditionsverein Royale Union Saint-Gilloise zum zwölften Mal in seiner Geschichte die Landesmeisterschaft errungen hat. Das Besondere daran ist, dass der letzte Titelgewinn exakt 90 Jahre zurückliegt. Mit einem 3:1 gegen AA Gent gelang „L´Union“ (auf Französisch) oder „Union“ (auf Niederländisch) – die in Deutschland zuletzt meist verwendete Bezeichnung „Saint-Gilloise“ ist in Belgien gänzlich unbekannt – am letzten Spieltag der Meisterschaftsrunde der große Coup.
Mit 8000 Zuschauern war das Joseph Marien-Stadion am Parc Duden ausverkauft – der Jahresumsatz des Vereins dürfte sich, wie die Zeitung „Het Nieuwsblad“ berichtet hat, auf zuletzt gerade einmal 67 Millionen Euro belaufen haben. Der Krösus in Belgien, der mit Landestiteln in den vergangenen Jahren verwöhnte FC Brügge, kommt dagegen auf 165 Millionen Euro. Vor dem letzten Spieltag der Meisterrunde hatte Union einen Punkt Vorsprung vor dem Tabellenzweiten aus Brügge. Etwas Spannung blieb zu Beginn der zweiten Halbzeit, als es sowohl in Brüssel zwischen Union und Gent als auch zwischen Brügge und Antwerpen 1:1 unentschieden stand.
Doch dann machte der 23 Jahre alte kanadische Stürmer Promise David mit zwei Toren alles klar, während es in Brügge beim Stand von 1:1 blieb. Die große Feier im Brüsseler Südwesten konnte beginnen. Dabei hatte nach Abschluss der regulären 30 Ligaspiele der vom Deutschen Thorsten Fink trainierte KRC Genk die Nase vorne. In der Endrunde mit sechs Mannschaften behielt jedoch Union eine fast weiße Weste – lediglich gegen den Meisterschaftszweiten Brügge gab es ein Unentschieden. Der RSC Anderlecht, der über Jahrzehnte nicht nur in Brüssel, sondern auch generell im belgischen Fußball den Takt vorgegeben hatte, landete abgeschlagen auf dem vierten Platz.
Der Erfolg hat bekanntlich viele Vater – das gilt auch für das Fußballmärchen des im Stadtteil Saint-Gilles beheimateten, seine Heimspiele aber im benachbarten Forest austragenden neuen belgischen Meisters. Jahrzehntelang dümpelte der Verein in den unteren Ligen vor sich hin, ehe 2021 die Rückkehr ins Fußball-Oberhaus gelang. Einen entscheidenden Anteil daran hatte Tony Bloom, der starke Mann beim englischen Erstligisten Brighton&Hove Albion. Der 55 Jahre alte Geschäftsmann übernahm 2018 die Mehrheit der Anteile an Union Saint-Gilloise – und nach 48 Jahren fußballerischer Hausmannskost schien der Aufstieg in die erste Liga mit aus verschiedenen Ligen gekommenen Spielern nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
2020 war es dann so weit. Einen entscheidenden Anteil am Aufstieg hatte neben dem finanzstarken Bloom der Trainer Felice Mazzù, Sohn eines aus Kalabrien nach Belgien eingewanderten Bergarbeiters. Mazzù gelang es, aus einer Mannschaft der Namenlosen eine verschworene Gemeinschaft zu formen, die 2021 schon recht nahe vor dem Gewinn der Meisterschaft stand.
Unter den damaligen Spielern befand sich der 2020 vom niedersächsischen Drittligisten SV Meppen geholte Stürmer mit der Rückennummer 9, der jetzt beim frisch gekrönten Pokalsieger VfB Stuttgart spielende deutsche Nationalspieler Deniz Undav. Oder der luxemburgische Nationaltorwart Anthony Moris, der auch beim Meisterschaftstriumph am Sonntagabend gegen AA Gent zwischen den Pfosten stand. Ihn hatte der damalige nordirische Sportdirektor Chris O´Loughlin ebenfalls für wenig Geld vom Zweitligaverein Royal Excelsior Virton verpflichtet.
Auch unter den Mazzù-Nachfolgern auf dem Trainerposten, dem zuletzt glücklos beim FC Schalke 04 agierenden Karel Geraerts sowie Alexander Blessin, dem jetzigen Trainer des FC St.Pauli, der Union 2024 zur Vizemeisterschaft geführt hatte, spielte die Brüsseler Mannschaft meist überzeugenden Fußball. Das Meisterstück gelang jedoch erst unter Trainer Sébastien Pocognoli. Der frühere Verteidiger von Standard Lüttich, der eine Saison lang – 2013/14 – bei Hannover 96 unter Vertrag stand, hatte vor seiner Berufung zum obersten Übungsleiter nur Jugendmannschaften trainiert.
Das richtige Näschen hatte bei der Trainerwahl neben Tom Bloom dessen Vertrauter Alex Muzio bewiesen. Der 41 Jahre alte Brite ist seit 2018 Präsident von Union und hält mittlerweile, damit Brighton&Hove Albion und der belgische Verein gleichzeitig in europäischen Wettbewerben antreten können, offiziell auch die Mehrheit der Anteile. Mit der von Bloom gegründeten und auf Sportwetten sowie detaillierte Datenanalysen spezialisierten Gesellschaft Starlizard, die nach Angaben von „Het Nieuwsblad“ 242 Mitarbeiter beschäftigen soll, ist es in den vergangenen Jahren gelungen, etlichen weniger bekannten Spielern zum internationalen Durchbruch zu verhelfen.
Ein Paradebeispiel dafür ist der Kanadier David, mit 19 Treffern in dieser Saison der Top-Torschütze des Vereins. Er wurde bei einem Verein in Estland gesichtet und schaffte in Brüssel den Durchbruch. Gleiches gilt für den 21 Jahre alten kroatisch-österreichischen Sturmpartner Franjo Ivanović, der bis 2023 sieben Jahre beim FC Augsburg gespielt hatte. Er erzielte in dieser Saison insgesamt 16 Treffer, davon einen am Sonntagabend gegen Gent. Zu den herausragenden Akteuren gehört auch der erst 20 Jahre alte Mittelfeldakteur Noah Sadiki, der zuvor vergeblich beim Stadtrivalen Anderlecht um einen Stammplatz gekämpft hat.
Ob die Meistermannschaft zusammenbleiben wird und so die Herausforderungen in der Champions League angehen kann, wird sich in den nächsten Wochen erweisen. Einige Spieler wie Torhüter Moris oder der ebenfalls seit 2020 bei Union unter Vertrag stehende robuste englische Verteidiger Christian Burgess scheinen zum Stammpersonal zu gehören. Viele Spieler, die das Gesicht der Mannschaft geprägt haben, sind für gutes Geld in andere Ligen weiter gezogen. Zu den in der Bundesliga auflaufenden ehemaligen Union-Größen zählen, neben VfB-Stuttgart-Stürmer Deniz Undav, der einst beim norwegischen Verein FK Bodø/Glimt entdeckte und 2023 für möglicherweise über 60 Millionen Euro zu Bayer Leverkusen gewechselte nigerianische Mittelstürmer Victor Boniface. Vom deutschen Vizemeister soll nach Medienberichten auch der durch den VfL Wolfsburg an Union Saint-Gilloise ausgeliehene Stürmer Mohamed Amouza umworben werden.
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