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Laufzeitverlängerung von belgischen Atommeilern vom Tisch

Von Rainer Lütkehus.

Bei einer Anhörung im belgischen Parlament über mögliche Laufzeitverlängerungen von zwei der sieben belgischen Atommeiler erklärte Thierry Saegemann, CEO der Betreiberfirma Engie-Electrabel: „Wir stellen uns die Frage nicht mehr. Wir sehen nicht, wie es möglich sein soll, die Meiler über den Winter 2025 hinaus in Betrieb zu halten. Wir haben das Kapitel abgeschlossen.“ Er kritisierte das Zögern der belgischen Regierung, über die mögliche Verlängerung der Meiler Tihange 3 und Doel 4 zu entscheiden.

Der belgisch-französische Energiekonzern Engie-Electrabel hatte ursprünglich eine Laufzeitverlängerung der sieben Atommeiler, die er in Belgien betreibt, ins Gespräch gebracht. Auch die Regierung erwog, einige Meiler doch noch länger laufen zu lassen, obwohl Belgien laut Gesetzesbeschluss von 2003 bis zum Jahr 2025 aus der Atomenergie aussteigen will. Für eine Laufzeitverlängerung infrage gekommen wären vier der sieben Atommeiler in Doel bei Antwerpen und Tihange unweit von Lüttich. Die restlichen drei – Doel 1, Doel 2 und Tihange 1 – müssen ohnehin 2025 vom Netz. Sie wurden 1975 in Betrieb genommen und sind damit die ältesten. Ihre Laufzeit war bereits um 10 auf 50  Jahre verlängert worden.

Eine von der belgischen Regierung genehmigte Laufzeitverlängerung von Tihange 3 und Doel 4 hätte eines neuen Gesetzes bedurft. Dem hätte eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine internationale Befragung vorausgehen müssen. An den zwei Meilern, die von der belgischen Atomaufsichtsbehörde AFCN geprüft und genehmigt werden müssten, sei viel zu tun, so Electrabel-CEO  Saegeman. Außerdem müsse Electrabel in der Lage sein, rechtzeitig Kernbrennstoff zu akzeptablen Bedingungen zu bestellen. „Wir sehen nicht, wie das alles mit dem vorgesehenen Zeitplan der Regierung möglich sein soll.“ Die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten hatte angekündet, erst im November zu entscheiden, ob die Meiler Tihange3 und Doel 4 über das Jahr 2025 am Netz bleiben sollen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren.

Damit stellt Engie-Electrabel die belgische Regierung vor vollendete Tatsachen. Der Konzern will nun sofort nach Stilllegung mit dem Rückbau der Anlagen beginnen. Saegeman rechnet mit 235.000 Tonnen Abfall, von denen zwei Prozent radioaktiv sind. Um die nukleare Sanierung zu finanzieren, wurde Electrabel verpflichtet, einen Fonds („Synatom“) einzurichten. In diesem stehen 14 Mrd. Euro zur Verfügung. Nach neuesten Schätzungen belaufen sich die Kosten für den Rückbau und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aber auf 18 Mrd. Euro.

Die belgische grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten will mit neuen Gesetzesinitiativen dafür sorgen, dass der Verursacher, Electrabel, und nicht der Steuerzahler für die Gesamtsumme aufkommt. Sie hatte kritisiert, dass Electrabel der Mutter Engie in Paris trotz Verlust im Jahre 2020 eine Dividende von 693 Mio. Euro überweist. „Wenn dies ein Vorbote der Demontage von Electrabel ist, bevor es die Rechnung für den Atomausstieg bezahlt hat, ist das unakzeptabel“, hatte Van der Straeten die letzte Dividendenausschüttung kritisiert.

Die Ministerin muss nun Lösungen finden, wie sie die Stromversorgungssicherheit Belgiens garantieren will. Der Übertragungsnetzbetreiber Elia schätzt die Versorgungslücke bei einer Abschaltung aller sieben Atommeiler auf 3,9 Gigawatt. Eine Möglichkeit ist ein sogenannter Kapazitätsmechanismus für die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten. Der sieht vor, dass neue Stromkraftwerke, etwa Gaskraftwerke, als Reserve vorgehalten und bezahlt werden, um immer dann hochzulaufen, wenn kein Wind- oder Sonnenstrom produziert werden kann.

Im Oktober 2021 sollen potenzielle Investoren in einer Auktion die staatlichen Zuschüsse für den Bau von zwei oder drei neuer Gaskraftwerke mit einer Leistung von zusammen 2,3 Gigawatt ersteigern können. 2024 sollen Zuschüsse für weitere 1,5 GW versteigert werden, davon 1,1 GW an bestehende Kraftwerke in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.

 

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