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Was gegen die deutschen Grenzkontrollen spricht

© Bundespolizei

Die Argumentation des Freiburger Sozialrechtlers Constantin Hruschka

Von Jürgen Klute

Zwei Juristen, so heißt es gerne scherzhaft, haben drei Meinungen. Auch in der aktuellen Auseinandersetzung um verschärfte Grenzkontrollen im Schengener Raum gehen die Rechtsauffassungen bekanntlich weit auseinander. Bei dem mühsamen Versuch, sich ein klareres Bild zu verschaffen, ist Belgieninfo auf zwei interessante Beiträge von Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg, gestoßen. Seine Argumentationslinie soll an dieser Stelle dargestellt und eingeordnet werden.

Zunächst ein Hinweis auf den Begriff „irreguläre Einreise“. Das Recht auf Asyl ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 festgeschrieben worden. In Artikel 14 heißt es: “(1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. (2) Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.” (https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/)

Es soll nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, dass es illegale Formen einer Einreise in ein Land und dementsprechend auch illegale Aufenthalte gibt. Nach der Menschenrechtscharta, die von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert ist und die mit Artikel 1 in das Grundgesetz eingewoben ist, ist der Begriff „illegale Einreise“ aber restriktiv zu nutzen. Denn zunächst einmal garantiert die Charta jedem Menschen das Recht, ein anderes Land zu betreten, um dort Schutz zu suchen. Folglich ist eine Einreise grundsätzlich als legal einzustufen, bis erwiesen ist, dass jemand keinen Schutzanspruch beziehungsweise einen Anspruch auf Asyl geltend machen kann. 

Rückweisungen an den Binnengrenzen grundsätzlich rechtswidrig

Im Kern geht es um die Frage, ob die aus dem Jahr 2008 stammende Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union nur an den EU-Außengrenzen angewendet werden kann oder auch an den Binnengrenzen des Schengner Raums, wie die Bundesregierung behauptet? Auf dem „Verfassungsblog“ argumentiert Hruschka ( https://verfassungsblog.de/binnengrenze-%e2%89%a0-aussengrenze-klaerendes-vom-eugh-zur-wiedereinfuehrung-von-grenzkontrollen/) gegen die Auffassung der Bundesregierung. 

So schreibt der Freiburger Sozialrechtler unter Hinweis auf das sogenannte Arib-Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2019: „Der Gerichtshof hebt hervor, dass die Situation bei Kontrollen an der Binnengrenze nicht mit den Kontrollen an der Außengrenze vergleichbar ist. Damit wird eine Binnengrenze auch nicht durch die rechtmäßige Wiedereinführung von Grenzkontrollen zur Außengrenze, wie dies die deutsche und die französische Regierung im Verfahren argumentiert hatten.“ Für Hruschka ergibt sich daraus folgende Konsequenz: „Die Fiktion der Nichteinreise, die die Bundesregierung bei solchen Kontrollen für anwendbar hält, greift also nicht, da die Einreise bereits durch den irregulären Grenzübertritt erfolgt.“ Die Funktion bleibt also eine Fiktion.

Da nach Hruschka die Grenzkontrollen als solche schon EU-rechtswidrig sind, sind auch alle daraus abgeleiteten Maßnahmen grundsätzlich rechtswidrig, insbesondere eben die Rückweisungen an den deutschen Grenzen.  

Warum insbesondere Dobrindt irrt

In einem weiteren Beitrag (https://verfassungsblog.de/zuruckweisung-grenze-kontrolle-dobrindt) befasst Hruschka sich mit den Kernargumenten, mit denen die deutschen Grenzschließungen begründet werden („Dobrindts Rechtsbruch. Warum die aktuellen Kontrollen an den deutschen Binnengrenzen rechtswidrig sind“). Zunächst stellt Hruschka heraus, dass Bundeskanzler Friedrich Merz, Innenminister Alexander Dobrindt und die Bundespolizei die Grenzschließungen mit unterschiedlichen, aber juristisch nicht miteinander kombinierbaren Begründungen rechtfertigen.

Wörtlich schreibt der Freiburger Jurist: „Während der Bundeskanzler sagt, es sei europarechtskonform, was an den Binnengrenzen passiert und zum Vergleich auf die Kontrollen bei Sportgroßereignissen hinweist und damit auf den Schengener Grenzkodex (SGK) und dessen Regelungen zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen rekurriert, geht der Innenminister einen anderen Weg. In seiner Weisung wird § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG genannt, womit die Anwendung der Dublin-Verordnung (unter explizitem medialem Verweis auf Art. 72 AEUV) partiell ausgesetzt wäre. Die Bundespolizei hingegen bezieht sich auf Abkommen mit den jeweiligen Nachbarstaaten und damit auf die Ausnahme vom Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Art. 6 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie (RRL). Diese Ausnahme greift, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Person „aufgrund von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen“ wieder aufnimmt.“

Obgleich Hruschka die Argumentation der Bundesregierung für generell EU-rechtswidrig hält, legt er dar, weshalb er die untergeordneten Argumente ebenfalls für rechtswidrig hält. 

Notstand?

Zunächst geht es um den „Notstand“, mit dem die Schließung der deutschen Grenzen im Schengen-Raum begründet wird. Als Notstand beschreibt die Bundesregierung eine behördliche Überforderung infolge der Asylsuchenden. Grundsätzlich, so Hruschka, sei eine solche Überforderungssituation ein anerkannter Grund für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Doch mit Blick auf die deutsche Situation fährt der Wissenschaftler fort: „Dies allerdings nur in einer außergewöhnlichen Situation und nicht aufgrund einer systemisch angelegten Überlastung der Behörden. Die Norm setzt nämlich voraus, ‚dass plötzlich eine sehr hohe Zahl unerlaubter Migrationsbewegungen von Drittstaatsangehörigen zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet, wodurch die Ressourcen und Kapazitäten der gut vorbereiteten zuständigen Behörden insgesamt erheblich unter Druck geraten. Davon kann angesichts der zurückgehenden Antragszahlen keine Rede sein. Die deutschen Behörden sind daher nicht in europarechtlich relevanter Weise überfordert, da das Problem hausgemacht und deren mangelhafter Ausstattung geschuldet ist.“

Einseitige Zurückweisungen

Darüber hinaus sind unilaterale Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen als unzulässig zu betrachten. Die Richter in Luxemburg hätten, so Hruschka, eindeutig hierzu unmissverständlich festgestellt: „Der EuGH stellt in diesem Verfahren klar, dass eine Einreiseverweigerung nur an einer benannten Grenzübergangsstelle ausgesprochen werden darf (Rn. 39). Solche Grenzübergangsstellen hat Deutschland aber bisher nicht benannt. […] Die einzige Möglichkeit einer Zurückschiebung im Schengener Grenzkodex, die nicht ein Verfahren nach der Rückführungsrichtlinie voraussetzt, findet sich in Art. 23a SGK, der – als Vorstufe zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen, vgl. Art. Art. 26 Abs. 1 Bst. a Ziff. ii SGK – zur Anwendung kommen kann, wenn gemeinsame ‚Kontrollen unter Beteiligung der zuständigen Behörden beider Mitgliedstaaten im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit‘ (sog. Schleierfahndung) stattfinden.“

Aussetzung der Dublin-Verordnung

Eine weitere Maßnahme besteht darin, die sogenannte Dublin III-Verordnung von 2013 außer Kraft zu setzen, um Asylsuchende zurückzuweisen. Die Verordnung verpflichtet EU-Mitgliedsstaaten dazu, den aufenthaltsrechtlichen Status zu überprüfen und einen Mindestrechtsschutz zu gewähren.

Laut Hruschka gibt es aber keine europarechtliche Möglichkeit, einen kompletten Rechtsakt der EU als Mitgliedstaat zu suspendieren. 

Abschließend konstatiert der Freiburger Jurist: „Der Teil der Weisung [an die Bundespolizei, Anm.d.A.], mit dem erkennbar vulnerable Personen von den Zurückweisungen ausgenommen werden sollen, kann als Weisung, ‚aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland‘ die Einreise zu gestatten (§ 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG), angesehen werden. Damit ist die Anwendung der sog. Fiktion der Nichteinreise auf diese Personen rechtlich ausgeschlossen, da ihnen die Einreise zu gestatten ist.“

Mit dieser Feststellung Hruschkas schließt sich der Kreis; es werde auch der Anforderung von Erläuterungen zu Artikel 14 der UN-Menschenrechtskonvention (siehe oben) gebührend Rechnung getragen.

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