Lifestyle

Flussentmüllung in Wallonien

Eine Reportage von Alexander Höhnke.

Am Morgen des Aschermittwoch schneit es. Am Wochenende war eine Flussentmüllungsaktion wegen Sturm ausgefallen. Ich rufe Anne-Laure, die Initiatorin von AerAquaTerra*, an und frage, ob der Termin heute noch gilt. „Kein Problem“ lacht sie, „wir sind wasser- und schneefest“.

Vermüllung der Wasserläufe in Wallonien ist eine unendliche Geschichte: die heldenhafte Anne-Laure hat vor Jahren als Arbeitslose die Initiative AerAquaTerra gegründet und ist jetzt bei dem daraus entstandenen gemeinnützigen Verein beschäftigt. Sie erzählt vom Entrümpeln der Argentine am Ausfluss des Sees von Genval: „Ein Restaurantbesitzer hatte regelmäßig leere Flaschen ins Bachbett entsorgt – wir konnten schon 3500 Stück herausholen, müssen aber nochmal hin.“

Die Entmüllungsaktion

Bei Mont-St Guibert im wallonischen Brabant, auf der Hochfläche über dem Tal der Houssière, weht ein schneidender Wind. Ich bin das letzte Stück Weges dem großen amerikanischen Pick-up von Anne-Laure und ihrem flämischen Gefährten Marc gefolgt und mache jetzt ihre Bekanntschaft. Es sind noch zwei Frauen und ein Mann mit Motorrad gekommen. Ich kann schon mal meine Fischer-Wathose anziehen, dann gibt es ein Paar Stulpenhandschuhe, in die wir einander hineinhelfen müssen, und schon ist der menschliche Kontakt da. Anne-Laure reicht mir eine Art Bootshaken, mit dem ich den Müll auffischen soll, aber nicht nur das: „Der ist jetzt dein drittes Bein: Stütz dich darauf, damit die Strömung dich nicht umreißt!“ Wir stiefeln hinab zum Flüsschen: auf einmal ist es ganz windstill im Schutz der Talhänge, Vögel zwitschern, ringsum Wiesen und Wald, die Houssière mäandert durch ein naturnahes Chaos von Gestrüpp sowie wild wuchernden und umgestürzten Bäumen.

Nahe dem Ufer liegt schon ein Haufen von alten Reifen, Drahtgittern, schwarzen Plastikplanen, eine Puppe mit abgebrochenem Kopf, rostige Eisenträger, Getränkedosen, Flaschen – was der Schlamm des Flussbettes so alles hergibt.

Dieser wunderbare Fang befeuert unseren Ehrgeiz: Hinunter in die ziemlich starke Strömung des lehmgelben Wassers, überall liegen tote Baumstämme im Strom – da fängt sich kleineres Treibgut wie Zweige und tote Blätter, und auch der Müll. Doch dann noch etwas – die streitbare Anne-Laure ist empört: wenn man an die Laub- und Moderballen rührt, steigen silbrige Schlieren auf, und es riecht wie nach Diesel. „Stromauf muss jemand Altöl entsorgt haben; vielleicht können wir die Spuren bis zur Quelle zurückverfolgen.“

Wir waten gegen den Strom und sammeln dabei kaputte Plastikblumentöpfe und einen alten Fußballstiefel ein; trotz der hässlichen Ausbeute ist man jedesmal froh, etwas zu finden, wie beim Ostereiersuchen, und dann wieder zufrieden, wenn nichts da ist, denn das heißt ja, dass 10 Flussmeter nicht vermüllt sind. Und wir unterhalten wir uns angeregt. Unglaublich, wie dieser Drecksjob Laune macht!

Der Schlamm ist schenkeltief und das Wasser kühlschrankkalt, aber man friert nicht in der Wathose, so groß ist die Anstrengung bei jedem Schritt. Manchmal suche ich Halt an Zweigen und Ästen auf der Böschung, um nicht umzusinken, denn ist die wasserdichte Hose erst einmal vollgelaufen, wiegt sie  soviel wie der Mensch, der darin steckt, und lässt ihn noch tiefer versacken. Diese Übung bedeutet „ganzkörperliche“ Schwerstarbeit. Wir verbringen Stunden in ungewohnten Stellungen, essen dann heißhungrig unser Mittagsbrot und fangen wieder an. Zu uns stößt ein topfitter junger Mann mit Mountainbike, Quentin, der sich als promovierter Bioingenieur und Umweltbeauftragter der Gemeinde von Mont-St Guibert entpuppt. Er erklärt, dass ein oranges Kunststoffrohr, das ich schon erbeuten wollte, Ablaufwasser aus der nahen Kläranlage in den Fluss einleitet, geklärt natürlich, aber es riecht trotzdem leicht nach Kanalisation. Wir erfahren, dass wir auf dem Besitz von Monsieur Boel arbeiten, dessen Name bekannt klingt. Der belgische Großindustrielle könnte von hier bis Charleroi durchgehend über eigenen Grund und Boden spazierengehen. Zum Schluss finden wir ein Stück Müll, das unser Übermann wird: eine mit Wasser und Schlamm vollgesogene Schaumstoffmatratze unter der Uferkante versteckt, Schätzgewicht 300 Kilo – man würde einen Kran brauchen, um sie herauszuholen.

Die Umweltsituation

Die geborgenen Abfälle werden sortiert und zum Containerpark gebracht. Die Wasserqualität selbst ist nicht das Ressort von AerAquaTerra, dafür gibt es zuständige Stellen, was nicht bedeutet, dass der biologische oder chemische Zustand der Gewässer gut wäre. Mein Traum, einen Fischteich im Tal der Lasne stromab von der pharmazeutische Fabrik GlaxoSmithKline Rixensart anzulegen, wird getrübt durch die Kenntnis ihrer Einleitungsgenehmigungen: als die Umweltzulassung für GSK letztes Jahr zur Erneuerung anstand, kam heraus, dass die Höchstwerte für Schadstoffeinleitungen in die Lasne  für mehrere Substanzen heraufgesetzt worden waren. Die Umweltexperten der Firma gaben das auch zu: man habe zwar nicht vor, mehr Schadstoffe einzuleiten, wollte aber zumindest diese Möglichkeit bis zur Obergrenze der gesetzlich zulässigen Mengen garantiert haben.

Der idyllische See von Genval ist eigentlich auch nur ein Teich, also künstlich aufgestaut, Ende des 19. Jahrhunderts im Auftrag des Getränkeherstellers Schweppes, der durch Nutzung der Mineralquelle am Südufer Genval zum Kurort machte und außerdem mit erstklassigem Leitungswasser versorgte. Die Abwässer der Häuser und Gaststätten rings um den See wurden bis vor kurzem in Sickergruben gesammelt und per Überläufe direkt eingeleitet. Jetzt gibt es eine Ringkanalisation.

Ich melde mich spontan freiwillig für die nächste Aktion in Genval. Anne-Laure bedankt sich, und ich entgegne: „Keine Ursache, sowas tut mir gut!“ Darauf sagt Marc, der ruhige Flame aus Neerijse, nur „Ein Tag im Fluss ist besser als ein paar Runden im Fitness-Center oder eine Stunde beim Therapeuten.“

PS: Die Ölquelle haben wir dann doch nicht gefunden.

* https://aeraquaterra.wordpress.com/

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