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Die neuen Tarife bei der belgischen Bahn – für 80 Prozent der Kunden soll es billiger werden

© SNCB/NMBS

Ab 15. Oktober gibt es ein neues Tarifsystem bei der belgischen Eisenbahn, das angeblich einfacher sein und den meisten Kunden niedrigere Preise bescheren soll. Gleichzeitig dringen die Verkehrsminister des Landes darauf, dass es in Belgien einheitliche Fahrkarten für alle Anbieter geben soll wie in der Schweiz.

Von Reinhard Boest

In wenigen Tagen, genauer am 15. Oktober, tritt die neue Tarifstruktur bei der belgischen Eisenbahn (SNCB/NMBS) in Kraft. Schon vor gut eineinhalb Jahren war diese grundlegende Reform noch vom früheren Verkehrsminister Georges Gilkinet (Ecolo) auf den Weg gebracht worden. (siehe Belgieninfo). Das über Jahrzehnte gewachsene, unübersichtliche System mit zahlreichen Ermäßigungen für verschiedene Zielgruppen soll durch eine einfache Regel ersetzt werden. Es gibt einen „Normalpreis“, auf den es je nach Alter und Reisezeitpunkt Ermäßigungen gibt. Dafür entfallen künftig die Mehrfahrtenkarte (Zehnerkarte), Ermäßigungen für kinderreiche Familie sowie das Junior- und das Seniorticket.

Das Grundprinzip: “minus 40 Prozent” – aber nicht für alle und zu jeder Zeit

Der Normalpreis als Basis für die Ermäßigung ist entfernungsabhängig, allerdings mit einer Obergrenze von 120 Kilometern (bisher 150). So kostet ein Ticket (einfache Fahrt, 2. Klasse) von Brüssel etwa nach Löwen 6,70 Euro, nach Antwerpen 9,10 Euro, nach Lüttich 18,30 Euro, nach Ostende 20,30 Euro und nach Eupen oder Arlon (über 120 Kilometer) 26 Euro. Und von Nord nach Süd von Ostende nach Arlon kostet es auch nur den Maximalpreis von 26 Euro. Das entspricht den Normalpreisen, wie sie aktuell gelten.

Eine Ermäßigung für alle Reisenden gibt es am Wochenende und an Feiertagen; sie beträgt 30 Prozent. Das ist für eine einfache Fahrt billiger als heute, aber nicht für eine Hin- und Rückfahrt am Wochenende – dafür beträgt der Nachlass nämlich aktuell fast 50 Prozent. Mitreisende Kinder bis 12 Jahren (höchstens vier pro zahlendem Fahrgast) fahren wie bisher gratis.

Altersabhängige Ermäßigungen gelten für Reisende unter 26 und über 65 Jahren. Für sie reduziert sich der Normalpreis um 40 Prozent, auch für die 1. Klasse und für kurze Strecken und unabhängig von der Tageszeit, also auch in den Hauptverkehrszeiten (wochentags zwischen 6 und 9 sowie 16 und 18 Uhr). Auch hier können Kinder kostenlos mitgenommen werden.

Für diese beiden Altersgruppen bedeuten “nur” 40 Prozent Ermäßigung allerdings eine deutliche Verschlechterung gegenüber den bisherigen Vorzugstickets, jedenfalls auf längeren Strecken. So reisen junge Menschen heute noch für höchstens 7,50 Euro pro einfache Fahrt, Senioren sogar für 8,50 Euro bei Hin- und Rückfahrt am selben Tag, wenn sie nach 9 Uhr ihre Reise antreten.

Wirkliche Vergünstigungen künftig nur mit einer Kundenkarte: “Train+”

Für weitere Ermäßigungen braucht man künftig eine Art Kundenkarte, genannt “Train+”. In der Ankündigung durch Minister Gilkinet Anfang 2024 war von einer solchen Karte noch keine Rede.

“Train+” kostet für Personen zwischen 26 und 64 Jahren 6 Euro pro Monat oder 48 Euro pro Jahr, für Personen unter 26 und über 64 Jahren 4 Euro pro Monat oder 32 Euro pro Jahr. Bis zum 4. Januar 2026 bietet die Bahn “Train+” zu einem Einführungspreis an: 3 Euro pro Monat und 24 Euro pro Jahr, ermäßigt 2 beziehungsweise 16 Euro. “Train+” ist an den Schaltern und Automaten der Bahnhöfe erhältlich und kann entweder auf eine MoBIB-Karte geladen oder in Papierform mit QR-Code ausgedruckt werden.

Mit “Train+” erhalten Reisende zwischen 25 und 64 Jahren eine Ermäßigung von 40 Prozent, wenn sie die Fahrt außerhalb der Hauptverkehrszeiten antreten (also wochentags vor 6 Uhr, zwischen 9 und 16 Uhr und nach 18 Uhr). Unabhängig von der Tageszeit und der Entfernung kostet ein Ticket nie mehr als 14 Euro pro Fahrt in der zweiten Klasse. An Wochenenden gibt es – zusätzlich zur Ermäßigung von 30 Prozent – noch einmal einen Rabatt von 40 Prozent. Eine Hin- und Rückfahrt von Brüssel an die Küste oder die Ardennen kostet dann 17,60 Euro.

Für Junioren (unter 26) und Senioren (über 64) gibt es mit “Train+” – zusätzlich zur “Grundermäßigung” von 40 Prozent – einen Rabatt von weiteren 40 Prozent für Fahrten außerhalb der Hauptverkehrszeiten sowie an Wochenenden und Feiertagen. Auch hier gibt es eine Obergrenze: man zahlt nie mehr als 5,50 Euro pro Fahrt (2. Klasse; 8,80 Euro in der 1. Klasse), egal zu welcher Tageszeit. Das Juniorticket wird dadurch billiger (bisher 7,50 Euro), das Seniorticket (etwas) teurer. Dieses kostet bisher 8,50 Euro für Hin- und Rückfahrt, wenn diese am selben Tag stattfinden. Künftig kosten Hin- und Rückfahrt (höchstens) 11 Euro, müssen aber nicht am selben Tag durchgeführt werden.

Wird Bahnfahren jetzt billiger?

Mit dem neuen Tarifsystem will die Bahn die Nutzung der Züge vor allem außerhalb der Hauptverkehrszeiten attraktiver machen und Kunden ansprechen, die bisher die Bahn selten oder gar nicht nutzen. Denn nach dem zwischen Bahn und Regierung vereinbarten Leistungsplan soll bis zum Ende der Laufzeit 2033 die Zahl der Nutzer 30 Prozent höher sein als 2023.

Nach Einschätzung von Marc Huybrechts, dem Chef des Kundendienstes der Bahn, bedeutet das neue System für 80 Prozent der Nutzer, dass sie weniger bezahlen als jetzt. Für die anderen 20 Prozent gebe es eine “leichte Erhöhung”. Derzeit nutze die Hälfte der jungen und 30 Prozent der älteren Kunden nicht das für sie jeweils günstigste Angebot. Man hoffe, künftig durch eine transparentere Tarifstruktur die Wahl zu erleichtern. Dabei soll auch ein Simulator helfen, mit dem sich Kunden auf der Internetseite der Bahn mit den neuen Angeboten vertraut machen und das für sie passende Angebot ermitteln können.

Wie sich die Reform auf die Abonnements auswirken wird, ist derzeit noch offen.

Auf dem Weg zu einem System “à la Suisse”?

Es bleibt abzuwarten, ob das neue Angebot angenommen wird und ob sich die Erwartungen der SNCB/NMBS erfüllen, dadurch mehr Kunden zu gewinnen. Der Fahrgastverband “Navetteurs.be” hat daran Zweifel. Mit der Einführung der kostenpflichtigen Kundenkarte werde es schwerer festzustellen, was eine Reise wirklich kostet und ob sie wirklich billiger ist als vorher. Gerade “Wenigfahrer” dürften deswegen kaum einen größeren Anreiz verspüren, spontan den Zug (statt des Autos) zu nehmen.

Die vier für Verkehr zuständigen Minister in Belgien prüfen daher, ob man durch weitere Maßnahmen das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver machen kann. Der föderale Minister Jean-Luc Crucke (Les Engagés) und seine regionalen Kolleginnen und Kollegen Annick De Ridder (N-VA, Flandern), François Desquesnes (Les Engagés, Wallonie) und Elke Van den Brandt (Groen, Brüssel) haben sich in dieser Woche dazu mit den Vertretern der Bahn und der Verkehrsunternehmen STIB/MIBV, TEC und De Lijn getroffen.

Sie sprechen sich für eine stärkere Integration der Tarife und des Ticketverkaufs an, damit die Reisenden verschiedene Verkehrsmittel einfacher nutzen können. Drei Themen sollen dabei im Vordergrund stehen: die Verbesserung der Anschlüsse, transparente Information der Nutzer sowie eine Zusammenarbeit der Anbieter bei Tarifen und Tickets.

Swisscard-Kontrolle © bahnonline.ch

Ziel soll ein System “à la Suisse” sein, einschließlich einer einzigen Fahrkarte, mit der man auch bei Benutzung von Verkehrsmitteln verschiedener Anbieter – Zug, Bus, Tram, Métro – bis an sein Ziel gelangen kann (“pay as you go”). Das Umsteigen soll für den Fahrgast nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden sein. Dieses Ziel findet sich auch im Koalitionsvertrag der Arizona-Regierung.

Die Runde hatte dazu Helmut Eichhorn eingeladen, den Direktor des Verbandes “SwissPass”. Dieser hat die Aufgabe, die Angebote von über 200 in der Schweiz tätigen Verkehrsunternehmen zu koordinieren. Diese reichen von den Schweizerischen Bundesbahnen über andere Bahngesellschaften, Busbetriebe bis hin zu Bergbahnen und Schiffslinien. Die Prinzipien – ein leistungsfähiges Angebot und eine einheitliche Tarifierung – sind seit einem Jahrhundert gesetzlich fixiert. Die Schweiz verfügt also über einen landesweiten Verkehrsverbund, wie es ihn auch in Deutschland in vielen Ballungsgebieten seit langem gibt (Hamburg, München, Rhein-Ruhr, Rhein-Neckar usw.). Der “Swisspass”, der in dieser Form vor 10 Jahren eingeführt wurde, ist eine Chipkarte, auf die man seine Abonnements oder Fahrkarten laden kann, der aber im Laufe der Jahre um immer neue Funktionen erweitert worden ist.

In Belgien ist die Nutzung der Verkehrsmittel verschiedener Anbieter mit einer einzigen Fahrkarte bisher nur in wenigen Fällen möglich, nämlich in den Städten Brüssel, Lüttich, Charleroi, Antwerpen und Gent (und ihrem jeweiligen Umland). Die Fahrkarten und Abonnements sind aber relativ teuer, und Ermäßigungen gibt es oft nur bei den einzelnen Anbietern, aber nicht für das Gesamtangebot. Das mag daran liegen, dass die Tarifstrukturen der Partner zu unterschiedlich sind. Das gilt insbesondere für Brüssel. Für den Brupass mussten sich vier Partner (und die dahinter stehenden Träger) einigen, in den anderen Städten waren es jeweils nur zwei (SNCB/NMBS und De Lijn beziehungsweise TEC).

Schaut man auf die Erfahrungen bei der Einführung des Brupass, kann man sich ausmalen, dass die Übertragung auf ganz Belgien keinesfalls trivial ist. Darum kann man nur begrüßen, dass die Minister jetzt politischen Druck machen und die vier Verkehrsanbieter (SNCB/NMBS, STIB/MIVB, De Lijn und TEC) auffordern, bis März 2026 einen konkreten Vorschlag zu erarbeiten. Helmut Eichhorn meinte in enem Interview mit der Tageszeitung “Le Soir”, was in der Schweiz mit über 200 Beteiligten gelungen sei, müsse doch auch in Belgien mit nur vier Partnern möglich sein. Es gebe jedenfalls ein “enormes Potential”.

Dabei wird es vorerst sicher nur um Einzeltickets für eine Fahrt von A nach B gehen. Denn ein Abonnement für ganz Belgien wäre wohl viel zu teuer – zum Vergleich: das “Generalabonnement” in der Schweiz kostet 355 Schweizer Franken im Monat (381 Euro). Und ein Modell wie das Deutschland-Ticket würde wegen des Zuschussbedarfs wahrscheinlich an den klammen belgischen Kassen scheitern.

Immerhin – den “Swisspass” à la Belge gibt ja es schon: auf die weitverbreitete MoBIB-Karte kann man schon heute seine Fahrkarten und Abonnements aller Anbieter laden. Die technische Grundlage für das angestrebte auf allen Linien gültige Ticket ist also schon da.

© SNCB/NMBS

Das neue Preissystem im Überblick (auf Deutsch): https://www.belgiantrain.be/de/news/new-pricing-offer

Eine ausführlichere Broschüre gibt es auch (leider bisher nur in FR oder NL):

https://www.belgiantrain.be/-/media/images/npo-product-pages/brochure-npo-fr.ashx

Treffen der Verkehrsminister:

https://crucke.belgium.be/fr/actualites/les-quatre-ministres-de-la-mobilite-franchissent-une-nouvelle-etape-vers-un-systeme-de

 

 

 

 

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