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Bahnfahren in Belgien wird billiger – oder doch nicht?

© Ecolo

Von Reinhard Boest

Neue Tarifsysteme sind etwas für Rechenkünstler – auch in Belgien. Glaubt man dem föderalen Verkehrsminister Georges Gilkinet, dann müssen nach dem für 2025 geplanten Inkrafttreten der neuen Tarifstruktur der Belgischen Staatsbahn SNCB/NMBS die meisten Nutzer weniger hinblättern. Zumindest äußerte sich der Politiker der französischsprachigen Grünen (Ecolo) in diesem Sinne, als er, wenige Tage nach der fast schon routinemäßigen jährlichen Preiserhöhung zum 1. Februar, im Morgenmagazin des Fernsehsenders RTBF zur künftigen Tarifstruktur befragt wurde. Der öffentliche Wirbel um die Bahnpläne belegt, dass die Zuversicht des Ministers nicht überall im Land geteilt wird.

So sehen die Kernelemente der geplanten Tarifstruktur aus: Das bisherige System mit zahlreichen, zum Teil über viele Jahre entstandenen Ermäßigungen für verschiedene Zielgruppen soll durch eine einfache Regel ersetzt werden. Die neue Formel heißt “minus 40 Prozent”. So groß soll die Ermäßigung auf den Normalpreis sein – wenn man den Zug außerhalb der Stoßzeiten benutzt, also an Werktagen weder vor 9 Uhr noch zwischen 16 und 18 Uhr.

Für Senioren (über 64 Jahre) und junge Menschen (unter 26 Jahre) sollen diese Sperrzeiten nicht gelten. Sie könnten aber noch einmal 40 Prozent (also insgesamt 64 Prozent) sparen, wenn sie die Hauptverkehrszeiten meiden. Die Reduktion gilt auch für Gruppen ab vier Personen, die dann zusätzlich auch die Parkhäuser der SNCB/NMBS gratis nutzen dürfen. Darüber hinaus sollen nur wenige Ermäßigungen erhalten bleiben, so die kostenlose Mitnahme von Kindern (bis 12 Jahre) und die Ermäßigung von 50 Prozent für Personen mit geringem Einkommen (Billet Intervention Majorée – BIM). Andere Vergünstigungen wie etwa für kinderreiche Familien, Mehrfahrten- oder Ausflugskarten sollen entfallen. Für Abonnements gilt die neue Ermäßigungsregel nicht.

Ob das Tarifsystem damit gegenüber dem geltenden teinfacher und im Ergebnis das Bahnfahren billiger wird? Ziel der Aktion ist jedenfalls, die Züge außerhalb der Hauptverkehrszeiten besser zu füllen. Der im vergangenen Jahr zwischen Bahn und Regierung vereinbarte Leistungsplan sieht nämlich vor, dass bis zum Ende der Laufzeit 2033 die Zahl der Nutzer 30 Prozent höher sein soll als heute. Darum will man sich vor allem an diejenigen wenden, die nur gelegentlich mit der Bahn fahren. Für Nutzer, die bisher von keinem Vorzugstarif profitieren, könnte es in der Tat billiger werden, wenn sie denn die Möglichkeit haben, außerhalb der Hauptverkehrszeiten mit der Bahn zu fahren. Am Wochenende – wenn die Züge etwa an die Küste oft mehr als ausgelastet sind – ist die Ermäßigung aktuell allerdings höher als künftig vorgesehen, nämlich 50 Prozent für eine Hin- und Rückfahrt.

Minister Gilkinet setzt vor allem auf zwei Zielgruppen, die er verstärkt für die Bahn gewinnen will: junge Leute und Senioren. Gerade von diesen kam aber sofort ein Aufschrei. Sie befürchten nämlich, dass es für sie teurer werden wird. Sie profitieren jetzt jeweils von einem attraktiven Pauschalangebot. Mit dem Senior-Ticket kann man an Wochentagen nach 9 Uhr (und auch zwischen 16 und 18 Uhr) für 8,30 Euro in der 2. Klasse jede Strecke in ganz Belgien fahren, sogar hin und zurück, wenn beide Fahrten am selben Tag stattfinden. An Wochenenden und Feiertagen gilt das Ticket den ganzen Tag über. Für junge Leute zwischen 12 und 25 Jahren gibt es das Youth-Ticket. Dieses kostet 7,50 Euro in ganz Belgien, ohne die für Senioren geltenden Sperrzeiten, dafür aber nur in eine Richtung.

Für diese beiden Gruppen bringt das neue System auf kurzen Strecken oder – für Senioren – auch während der Hauptverkehrszeiten Vorteile. Der Preis für das Standard-Ticket in der 2. Klasse als Referenz ist entfernungsabhängig; er beträgt für eine einfache Fahrt mindestens 2,50 Euro und höchstens 25,50 Euro. So kostet etwa eine einfache Fahrt von Brüssel nach Leuven 6,50 Euro, nach Antwerpen 8,90 Euro, nach Lüttich oder Brügge 17 Euro, nach Ostende 20 Euro und nach Eupen oder Arlon den “Maximalpreis” von 25,50 Euro. Mehr als 25,50 Euro zahlt man auch zwischen Eupen oder Arlon und Ostende nicht.

Verglichen mit den jetzt geltenden (Vorzug-)Pauschalpreisen könnten aber längere Strecken mit dem neuen System teurer werden, etwa Tagesfahrten von Brüssel an die Küste oder in die Ardennen. Hierauf richtet sich die Kritik etwa des Interessenverbands der Pendler “navetteurs.be”. Gerade für Senioren seien solche Angebote wichtig; man solle sie nicht durch die Preispolitik zurück in das eigene Auto drängen. Eine kräftige Erhöhung gibt es für Senioren in der Tat, wenn Hin- und Rückfahrt am selben Tag stattfinden: selbst wenn sie die Hauptverkehrszeiten meiden und so von der maximalen Ermäßigung von 64 Prozent profitieren, zahlen sie für eine Fahrt an die Küste oder in die Ardennen und zurück zwischen 14,50 Euro und 18,50 Euro (statt 8,30 Euro). Für einen Tagesausflug ist es allerdings schwierig, bei der Rückfahrt die Sperrzeiten zwischen 16 und 18 Uhr zu vermeiden. Dann werden sogar zwischen 24 und 31 Euro fällig. Finden Hin- und Rückfahrt an verschiedenen Tagen statt, kann die Erhöhung geringer ausfallen, denn auch die einfache Fahrt kostet für Senioren ja 8,30 Euro. Für Nutzer des Jugend-Tickets wäre die Steigerung bei langen Strecken eher moderat – aber nur wenn sie sich anders als heute an Sperrzeiten halten.

Als Reaktion auf die Kritik scheint Minister Gilkenet schon zurückzurudern. Er ließ verlauten, dass es für niemanden teurer werden solle. Wenn es umgekehrt angeblich es für 80 Prozent der Nutzer billiger werden soll, wie soll dann die Rechnung für die Bahn aufgehen? Die Planungen sehen vor, dass der Staat in den kommenden Jahren erhebliche Summen in die Bahn investiert, um sie moderner, zuverlässiger und attraktiver zu machen und auf die Öffnung des Marktes für andere Anbieter vorzubereiten, die das EU-Recht seit langem vorsieht und die in zehn Jahren auch in Belgien kommen wird.

Die neue Tarifstruktur ist zunächst ein Vorschlag. Der Verwaltungsrat der SNCB/NMBS muss dafür noch sein Plazet geben. Der heftige Gegenwind so kurz vor den Wahlen im Juni kann also durchaus noch zu einer Überarbeitung führen.

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