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Bundestagswahlkampf auch in Brüssel

Von Reinhard Boest

Nicht nur der Karneval, auch der Bundestagswahlkampf kommt nach Brüssel. Der Brüsseler Verband der überparteilichen Europa-Union Deutschland (EUD), die sich für die europäischen Einigung einsetzt, hatte zusammen mit der Hessischen EU-Vertretung zu einer Podiumsdikussion eingeladen. Damit sollten vor allem die Wechselwirkungen zwischen den Wahlen in Deutschland und der Politik auf EU-Ebene beleuchtet werden. Schon vor der Europawahl 2024 hatte die EUD eine solche Veranstaltung organisiert (siehe https://belgieninfo.net/lebhafter-auftakt-zum-europawahlkampf-in-bruessel/)

Vor einem vollbesetzten Saal beschrieb die Hessische Europa-Staatssekretärin Karin Müller (CDU) in ihrer Begrüßung den Rahmen. 2025 sei ein Jahr des Wechsels: ein neuer Präsident mit einem grundsätzlichen Poltikwechsel in den USA, eine neue EU-Kommission, die jetzt ihre Arbeit beginne, demnächst ein neuer Premierminister in Kanada – und eine neue Bundesregierung. Die EU solle nicht auf Donald Trump und Elon Musk starren, sondern seine eigene Rolle finden. Dafür komme es auf die Stimme Deutschlands als größten Mitgliedstaat entscheidend an. Aber die EU dürfe auch nicht die Zustimmung der Bevölkerung verlieren, die durch immer mehr Regulierung in Frage gestellt werde.

Das Podium mit fünf Europaabgeordneten wurde anschließend von Hans-Jürgen Moritz, freier Journalist (früher bei “Focus”), mit einigen persönlichen Daten vorgestellt: Sabrina Repp (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Dennis Radtke (CDU), Sergej Lagodinsky (Grüne) und René Aust (AfD). Vertreter der Partei “Die Linke” und des BSW waren nicht eingeladen worden.

Sabrina Repp aus Mecklenburg-Vorpommern ist die jüngste deutsche Europaabgeordnete. Sie sieht einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in einer stärkeren Berücksichtigung vulnerabler Gruppen, auch in den EU-Politiken. Bildung und Aufstieg müsse auch etwa für Zugewanderte möglich sein.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist 2024 aus dem Bundestag ins Europäische Parlament (EP) gewechselt und hat auch dort den Vorsitz im Verteidigungsausschuss übernommen (der am Morgen des Veranstaltungstags zu einem “vollwertigen” Ausschuss aufgewertet wurde). Aus ihrer Sicht ist der Kontakt zur Basis auch für die Europapolitik wichtig; das habe sich schon in ihrer Zeit als Bürgermeisterin in Düsseldorf gelernt.

Sergey Lagodinsky ist im Alter von 18 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen und hat nach eigenen Worten bei seinem Studium in den USA gemerkt, dass er ein “deutscher und europäischer Patriot” sei. Gute Beziehungen zu den USA seien für Europa nicht selbstverständlich, wie sich jetzt erneut zeige. Man müsse darum kämpfen, sonst werde es mit der europäischen Souveränität nichts.

Der Bochumer Dennis Radtke ist seit 2017 Mitglied des EP und seit 2024 Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA); sein wichtigstes Anliegen sieht er darin, dass “das Aufstiegsversprechen wieder funktionieren müsse”.

Der aus dem Münsterland stammende René Aust war früher Mitglied der SPD in Essen und ist heute stellvertretender Landesvorsitzender der AfD in Thüringen.

In der knapp zweistündigen Debatte, die der Moderator mit oft provokanten und zugespitzten Fragen leitete, ging es – wenig überraschend – vor allem um die Themen Sicherheit und Migration. Neue Erkenntnisse gab es dabei nicht. Der AfD-Vertreter blieb mit seinen Positionen weitgehend isoliert, aber auch zwischen den anderen Teilnehmern ging es kräftig “zur Sache”, mit zum Teil auch persönlichen Spannungen, vor allem zwischen Radtke und Strack-Zimmermann.

Für die Bedeutung der Sicherheit, die auch die polnische Ratspräsidentschaft zum Mittelpunkt ihres Arbeitsprogramms gemacht hat, verwiesen die Teilnehmer auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: man dürfe die Ukraine nicht im Stich lassen, es gehe dabei nicht nur um Waffen, sondern letztlich auch um die eigene Sicherheit der EU. Aust hielt dagegen angesichts des weiteren russischen Vorrückens weitere Waffenlieferungen für sinnlos; die Chance für einen akzeptablen Friedensschluss sei für die Ukraine schon seit langem verpasst.

In der Migrationsfrage bestand – wieder abgesehen vom AfD-Vertreter – Einigkeit darin, dass es gravierende Strukturprobleme oin Deutschland bei der Umsetzung von Maßnahmen gebe, die man auch entschlossener angehen müsse. Auch Radtke bedauerte, dass inzwischen die Debatte so aufgeheizt geworden sei, dass eine Differenzierung kaum noch möglich sei. Dennoch bedürfe es zusätzlicher Maßnahmen, wie sie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz jetzt vorgeschlagen habe. Strack-Zimmermann verwies auf die weitgehend anerkannte Notwendigkeit legaler Zuwanderung, die man nicht zerreden dürfe. Asylbegehren sollten nach Möglichkeit außerhalb der EU durchgeführt werden, bevor die Menschen in die Boote stiegen. Repp warnte dagegen vor einer Instrumentalisierung der furchtbaren Anschläge von Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen und warb für eine menschliche Migrationspolitik. Das Grundgesetz habe nicht ohne Grund die Menschenwürde an die erste Stelle gesetzt. Die Kommunen müssten stärker unterstützt werden, etwa bei Integrationsmabnahmen, wie es Mecklenburg-Vorpommern und Bayern schon täten. Lagodinsky plädierte wie Repp nachdrücklich gegen nationale Alleingänge und für europäische Lösungen (und bekamm dafür starken Beifall aus dem Publikum); Merz wisse bestimmt auch selbst, dass es keine einfachen Lösungen gebe. Aust unterstützte die CDU-Vorschläge dagegen ausdrücklich; die AfD werde sich im Bundestag nicht von einer Zustimmung abhalten lassen, auch wenn “AfD-Bashing” in das Vorwort geschrieben werde.

Eine stärkere Führungsrolle Deutschlands in der EU hielten – außer der AfD – alle für wichtig. Dies müsse am besten zusammen mit Frankreich und Polen erfolgen, aber unter Einbeziehung auch der kleineren Mitgliedstaaten (Radtke). Wenn Entwicklungen wie in Ungarn, der Slowakei, den Niederlanden und vielleicht demnächst in Österreich sich fortsetzten, “fliege uns die EU in vier Jahren um die Ohren”.

Für die Diskussion mit dem Publikum blieb am Ende kaum noch Zeit. Immerhin kam so auch noch kurz die Umwelt- und Klimapolitik zur Sprache. Dabei wurde deutlich, dass dass auch hier – trotz der grundsätzlichen Zustimmung, wie wichtig das Thema sei – die Positionen im einzelnen auseinander gehen. Während für die Grünen die Fortsetzung des “Green Deal”, des Kernstücks der EU-Klimapolitik, der entscheidende Grund für eine Zustimmung für die neue von der Leyen-Kommission war, warnten Strack-Zimmermann und Radtke vor einem “Überdrehen”. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage dürfe vor allem die Industrie nicht weiter belastet werden, auch nicht durch Überregulierung oder Berichtspflichten in anderen Bereichen.

Die Vorsitzende der EUD Brüssel, Ilka Wölfle, erinnerte in ihrem Schlusswort daran, dass nicht zuletzt der heutige Holocaust-Gedenktag dazu mahne, gegen Extremismus zusammenzustehen und die Errungenschaften der europäischen Einigung nicht preiszugeben. Die Bundestagswahl werde ein wichtiges Signal auch für die Partner in Europa senden.

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