Von Michael Stabenow
Es ist in den vergangenen Tagen recht ruhig geblieben im Brüsseler Regierungsviertel. Kaum etwas von dem, was N-VA-Parteichef Bart De Wever mit den Vorsitzenden von vier weiteren Parteien zur Bildung der angestrebten „Arizona“-Koalition besprochen hat, ist zuletzt an die Öffentlichkeit gedrungen.
Das muss nach dem Hickhack, für das nicht zuletzt die Vorsitzenden der flämischen Sozialisten (Vooruit) und der französischsprachigen Liberalen (MR), Conner Rousseau und Georges-Louis Bouchez, gesorgt haben, kein schlechtes Zeichen sein. Zumindest hat Staatsoberhaupt König Philippe den Auftrag für De Wever zur Regierungsbildung jetzt um weitere zwei Wochen verlängert.
Dennoch spricht eine gewisse Ungeduld aus den Zeilen, die König Philippe nach der Audienz von De Wever über den Kurznachrichtendienst X verbreiten ließ. So wird die Verlängerung des Auftrags mit dem Wunsch verbunden, die Regierungsbildung „so schnell wie möglich zu einem guten Ende zu bringen“.
Immerhin hatte De Wever unlängst noch die Zeit gefunden, sich auf Einladung des flämischen Fernsehsenders VTM für eine weitere Folge der vor der Parlamentswahl ausgestrahlten und in einem wallonischen Schloss aufgenommen Sendung „Het Conclaaf“ einzufinden. Mit drei der vier Parteichefs der Koalition in spe, Bouchez, Rousseau und dem Vorsitzenden der flämischen Christdemokraten (CD&V), Sammy Mahdi, kam es dort zu einem mehr oder weniger gemütlichen Beisammensein
Vor laufenden Kameras und in einer Sendung, die erst im Dezember ausgestrahlt werden soll, dürften die vier Parteichefs sich kaum in ihre Karten haben blicken lassen. Zudem glänzte Maxime Prévot, der fünfte im „Arizona“-Bunde und Vorsitzender der zentristischen Partei „Les Engagés“, in der Sendung durch Abwesenheit. Was zuletzt tatsächlich hinter den Kulissen der Regierungsbildung erörtert wurde, lässt sich nur bruchstückhaft erahnen – zum Beispiel wohl Themen der Gesundheits-, Energie- und Verkehrspolitik.
Einiges spricht dafür, dass die Verhandlungen sich bald auf der Zielgeraden befinden könnten. Freilich soll das besonders heiße Eisen der Haushalts- und Steuerpolitik erst in den kommenden Tagen angepackt werden. Dann wird sich zeigen, wie weit die Kompromissbereitschaft, insbesondere der Streithähne Bouchez und Rousseau, reicht. Deutlich ist indes, dass es nicht zu einer fristgerechten Verabschiedung des Staatshaushalts für 2025 kommen wird. Somit dürfte zunächst die sogenannte Zwölftelregelung greifen, wonach sich das Haushaltsvolumen jeweils an den monatlichen Summen des Vorjahres ausrichtet.
Für das Gelingen der Regierungsbildung spricht, dass die „Arizona“-Parteien insgesamt weiter auf ausreichend Zuspruch in der Bevölkerung setzen können. Das ergibt sich aus den jetzt veröffentlichten Ergebnissen der alle drei Monate vorgenommenen Meinungsumfrage der Fernsehsender VTM und RTL sowie der Tageszeitungen „Le Soir“ und „Het Laatste Nieuws“. In der Kammer würde die Koalition zwei Sitze verlieren (MR drei weniger, Vooruit einen mehr), hätte aber mit 79 Sitzen (von 150) immer noch eine sichere Mehrheit.
Nach der Umfrage liegt die N-VA in Flandern mit einem prognostizierten Stimmenanteil von 24,6 Prozent (-1,2 Prozentpunkte gegenüber der Wahl am 9. Juni) weiter an erster Stelle; allerdings rangiert der rechtsradikale Vlaams Belang mit 23,5 Prozent (einem Zuwachs um 1,7 Prozentpunkte) nur noch knapp hinter De Wevers Partei. Steigende Zahlen für „Vooruit“ – von 13 auf 15,5 Prozent – deuten darauf hin, dass Parteichef Rousseau mit seinem zuletzt harten Kurs in den Koalitionsgesprächen durchaus punkten konnte. Leicht verbessert – von 12,8 auf 13,3 Prozent – zeigen sich die CD&V und – von 20 auf 20,6 Prozent in Wallonien – „Les Engagés“.
Die Liberalen, Wahlsieger im Süden des Landes, müssen mit immer noch stattlichen 27,4 statt 28,2 Prozent im Juni einige Federn lassen. Erholt haben sich, wohl auch unter dem Eindruck mancher Erfolge bei den Kommunalwahlen am 13. Oktober, die lange in Wallonien übermächtigen, aber jetzt oppositionellen Sozialisten (PS). Sie liegen in der jüngsten Umfrage in Wallonien bei 24,6 gegenüber 22 Prozent am 9. Juni und bleiben damit hinter den Liberalen.
In Brüssel würden die Liberalen (MR und Open VLD) ihre bei der Wahl im Juni gewonnene Spitzenposition wieder an die Sozialisten (PS und Vooruit) verlieren. Diese kämen auf 23,1 Prozent (statt 18,6), MR und Open VLD auf 20,7 Prozent (statt 23,1). Eine historisch hohe Zustimmung verzeichnet die weit links stehende PTB/PVDA mit 20,9 Prozent (statt 16,7 im Juni). Den Sozialisten scheint also die in der Brüsseler Gemeinde Forest vereinbarte (und in zwei weiteren Gemeinden mögliche) Zusammenarbeit mit der PTB/PVDA nicht geschadet zu haben. Abzuwarten bleibt, wie sich die Verschiebungen auf die Stimmung in den Koalitionsverhandlungen über eine neue Brüsseler Regionalregierung auswirken werden – bei denen die Zielgerade noch nicht in Sicht ist.
Jenseits der derzeitigen Wahlabsichten lässt die jüngste Umfrage auch Rückschlüsse auf die öffentliche Meinung zur Dauer der Koalitionsverhandlungen, zum Inhalt der Gespräche sowie zur Beliebtheit von Spitzenpolitikern zu. So finden es nur sieben Prozent der Befragten „annehmbar“, dass sich die Koalitionsgespräche so sehr in die Länge ziehen. 68 Prozent sind gegenteiliger Meinung, während ein Viertel der Befragten sich für die Antwort „Das interessiert mich nicht“ entschied.
In der Auseinandersetzung zwischen Bouchez und Rousseau um die Verteilung der Lasten für die anstehende Haushaltssanierung ist das Meinungsbild verteilter. Die Hälfte der Befragten neigt der auf eine stärkere Belastung besonders begüterter Bürger und Bürgerinnen zielende Position des Vooruit-Parteichefs zu, während 39 Prozent Rousseau unrecht geben.
Und Bart De Wever? 50 Prozent der Befragten halten den N-VA-Parteichef in der derzeitigen politischen Lage für den am besten geeigneten Anwärter auf das Amt des Regierungschefs. Dass der Anteil in Flandern 56 Prozent, in Wallonien dagegen „nur“ 41 Prozent beträgt, muss nicht weiter verwundern. Die Zeitung „Le Soir“ kommentierte die Umfrageergebnisse mit den Worten, dass die „Arizona“-Koalition an Anziehungskraft gewinne. Zudem gebe es „eine nicht unüberwindbare Zurückhaltung seitens der Frankophonen“ gegenüber einem Regierungschef De Wever.
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