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Von der Bildungs- und der Stakkatosprache

Von Marion Schmitz-Reiners

Im Rahmen der „Woche für Deutsch“, organisiert vom Belgischen Germanisten- und Deutschlehrerverband (BGDV) mit Unterstützung unter anderem der Deutschen Botschaft, hat der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt an der Universität Antwerpen sein Buch „Deutsch. Eine Liebeserklärung“ vorgestellt. Das Publikum im Hörsaal war hingerissen.

Die deutsche Sprache sei barsch, ungelenk, umständlich, kopflastig, langatmig, unfreundlich und schwer zu erlernen. Das seien einige der Vorurteile, mit denen das Deutsche behaftet sei, so Kaehlbrandt. Der an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn als Honorarprofessor lehrende Romanist und Germanist widerlegt in seinem Buch, das seit September 2022 in sieben Auflagen erschienen ist und sich an „Verächter und Verehrer des Deutschen“ richtet, mit Witz und Vehemenz diese und andere Vorurteile.

Kaehlbrandt sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Französischen und dem Deutschen. „Franzosen lieben und verehren ihre Sprache. Sie empfinden sie als nobel. Das Deutsche entstand als eine Volkssprache, die ab Luther gegen die Elite entwickelt wurde. Kleriker und Wissenschaftler sprachen Lateinisch und der Adel Französisch.“

Das Althochdeutsche umfasste rund 30.000 Wörter. In der Zeit der Weimarer Klassik, des Sturms und Drangs, kamen zahllose neue Wörter hinzu. Der Wortschatz von Goethe umfasste bereits 93.000 Wörter, von denen er Tausende selber erfunden hatte. 1904 gab es nach Zählung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 3,5 Millionen deutsche Wörter und achtzig Jahre später, 2004, bereits 5,3 Millionen.

So weit die Grundlagen. Kaehlbrandt geht nun mit Verve auf einige der Vorurteile gegen das Deutsche ein, um sie gleich zu widerlegen.

Barsch und unfreundlich?

Deutsch sei nicht barsch und unfreundlich. „Es ist vielmehr eine kontaktfördernde, beziehungsaufbauende Sprache.“ Dazu trügen die Partikel bei. Sie machen die Sprache lebendig, können den ganzen Satz positiv oder negativ bewerten und zeigen Gefühle. „Wie heißt du denn?“ ist viel freundlicher als „Wie heißt du?“ „Mach das jetzt“ ist unfreundlicher als „Mach’s halt“. Das beliebteste Partikel ist zurzeit „genau“. „Ich habe das, genau, gestern, genau, gesehen. Ich war total fertig. Genau.“ Die Person vermittelt dem Gesprächspartner, dass sie zunächst an ihren Aussagen gezweifelt hat, sich dann aber selbst bestätigt. „Das Deutsche richtet sich immer ans Gegenüber.“ So wie „ganz ehrlich“: Es macht den Gesprächspartner zum Mitverschwörer. Man teilt ein Geheimnis. Gelächter im Publikum.

Herzensglück und Wertstoffhof

Deutsch sei eine Legosprache, so Kaehlbrandt. Es umfasse unzählige zusammengesetzte Hauptwörter, die alle eine enorme Aussagekraft hätten. Sein eigenes Lieblingswort sei zurzeit „Wertstoffhof“ (anstatt Müllhalde). Strahlend sagt er: „Ein tolles Beispiel für Umweltpädagogik durch Semantik.“ Und Wortschöpfungen der Romantik wie Waldeinsamkeit, Traumglück oder Herzensglück ersetzten „ein ganzes Seminar über Romantik.“ Natürlich gebe es auch Wortschöpfungen, die eher abschreckend seien, wie Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz, erfunden in der Weite Mecklenburg-Vorpommerns. Damit jedoch punktet der Referent abermals beim Publikum.

Das Deutsche sei nicht ungelenk, sondern extrem geschmeidig, nuancenreich und elastisch. So könne man den Satz „Ich habe Sie gestern am Bahnhof gesehen“ mindestens fünf Mal umstellen. Das Wichtigste steht immer am Satzanfang. „In welcher Sprache gibt es das sonst noch?“ Und die vor allem bei Nicht-Deutschsprachigen gefürchtete Verbklammer erhöhe die Aufmerksamkeit des Lesers und Hörers. Darin sei nicht zuletzt Thomas Mann unvergleichlich gewesen.

Die junge „Stakkatosprache“

Deutsch könne in der Tat lang und umständlich sein. Demgegenüber steht die moderne, junge „Stakkatosprache“. Kaehlbrandt führt zahlreiche Beispiele an. „Isso“ ersetzt „Das ist so.“ Andere Beispiele: „Besser isses.“ „Voll die Seuche.“ „Geht’s noch?“ „Aber so was von!“ Im Buch sind einige Dialoge aufgeführt, die der Referent in der U-Bahn mitgeschrieben hat und die das Lesen zum reinen Vergnügen machen.

Aber ist das nicht eine Verhunzung der deutschen Sprache, fragt jemand im Publikum. Die erstaunliche Antwort des Linguisten: Dieses Witzige, Schnelle, Ironische sei auch ein Vorteil des Deutschen, den es in anderen Sprachen so nicht gebe. Applaus der vorwiegend jungen Zuhörer.

Jedoch betont Roland Kaehlbrandt, dass es die Aufgabe von Schulen sei, die Normsprache zu lehren. „Sonst können wir die Sprache unserer Vorfahren nicht mehr verstehen. Die bildungssprachliche Norm muss erhalten bleiben.“ Aber im Deutschen gebe es eben einen klaren Unterschied zwischen Umgangs- und Bildungssprache, und beide hätten ihre Berechtigung.

Wer noch andere Vorteile des Deutschen erfahren möchte, lese Roland Kaehlbrandt: „Deutsch, eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“, 255 S., 12 €, Piper. Zu bestellen über den Buchhandel oder online bei Amazon.

Der Vortrag von R. Kaehlbrandt wurde vom „Deutschcafé“ der Universität Antwerpen organisiert. Info: https://www.uantwerpen.be/en/projects/deutschcafe/, oder einfach „Deutschcafé Antwerpen“ googeln.

Die „Woche für Deutsch“ findet vom 16. bis zum 21. Oktober in ganz Belgien statt und umfasst rund 50 Veranstaltungen wie Lesungen, Poetry Slam, Filmvorführungen usw. Ziel der alljährlichen Reihe ist es, das Bewusstsein für Deutsch als Fremdsprache und als dritte belgische Landessprache zu stimulieren.

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