Belgien, Verkehr

Verbrenner-Aus auf Belgisch: Niedrigemissionszonen mal so mal so

Von Reinhard Boest

Derzeit herrscht bis hinauf auf die europäische Ebene zunehmende Verwirrung darüber, welche Autos man künftig wann und wo eigentlich noch fahren darf. In den EU-Institutionen wird darüber diskutiert, ob es den vor allem aus Deutschland geforderten (Teil-)Ausstieg von dem vor Jahren beschlossenen Ausstieg aus der Verbrennertechnologie bis zum Jahr 2035 geben wird. Auch auf anderen Feldern ist ein Abrücken vom “Green Deal” zu beobachten, mit dem die EU ein Vorreiter für nachhaltiges Wachstum werden sollte.

In Belgien geht es erst einmal um ein anderes Element der Klima- und Umweltpolitik im Verkehr: die Zukunft der Niedrigemissionszonen (low emission zones – LEZ) in den Städten Antwerpen, Brüssel und Gent. Auch hier gilt: längerfristige Planungen werden immer schwerer, und zusätzlich gehen die Entwicklungen nicht in die gleiche Richtung. In Brüssel bleibt es nach einer Gerichtsentscheidung bei der Verschärfung der Abgasnormen, während diese in Flandern gerade durch die Regionalregierung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. In der Wallonie sind LEZ aktuell kein Thema.

In Brüssel ist eine Überraschung ausgeblieben

In dieser Woche hat der belgische Verfassungsgerichtshof seine im September getroffene vorläufige Entscheidung bestätigt, wonach die Verschiebung der Niedrigemissionszone in Brüssel rechtswidrig ist. Ab Anfang 2026 dürfen dort nur noch Dieselfahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 oder höher sowie mit Benzin oder Gas betriebene Autos und Motorräder der Klasse Euro 3 oder höher in der Stadt fahren. Zu welcher Kategorie ein Fahrzeug gehört, lässt sich mit Hilfe eines Simulators online leicht feststellen.

Zur Erinnerung: Seit dem 1. Januar 2018 ist das gesamte Gebiet der Region Brüssel und ihrer 19 Gemeinden eine Niedrigemissionszone. Die schrittweise Verringerung von schädlichen Kfz-Emissionen dient auch der Umsetzung von EU-Recht in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Klimaschutz. Zum 1. Januar 2025 wären nach diesem Stufenplan die genannten Autos eigentlich “fällig” gewesen – wenn nicht im September 2024 eine Mehrheit des Brüsseler Parlaments kurzfristig diesen Stichtag um zwei Jahre verschoben hätte. Schaut man sich die doch recht bunte Zusammensetzung dieser Mehrheit an (Liberale, Sozialisten, Zentristen, extreme Linke und die von einem ehemaligen flämischen Sozialisten gegründete Liste Fouad Ahidar), darf man annehmen, dass es wohl kurz vor den damaligen Kommunalwahlen im Oktober um ein mehr oder weniger gut gemeintes Geschenk an die Wähler handelte.

Die von mehreren Einzelpersonen und Umweltverbänden gegen die Verschiebung erhobenen Klagen waren endgültig erfolgreich. Der Verfassungsgerichtshof hat jetzt die Argumentation bestätigt, die schon der vorläufigen Aussetzung der Entscheidung zugrunde lag und sich vor allem auf den Gesundheitsschutz stützte. Ein rückwirkendes Verbot zum 1. Januar 2025 hat das Gericht nicht ausgesprochen (also gibt es auch keine rückwirkenden Bußgelder), aber zum 1. Januar 2026 soll endgültig Schluss sein.

LEZ verbessern die Luftqualität

Dass die LEZ die Luftqualität tatsächlich verbessern, zeigen die im Oktober von der Brüsseler Umweltverwaltung veröffentlichten Zahlen. So sind zwischen 2018 und Ende 2024 die Stickoxydemissionen um 55 Prozent zurückgegangen. Die Belastung durch Feinstaub ist um 33 Prozent gesunken, die durch Rußpartikel (Black Carbon) um 62 Prozent. Das ist vor allem auf einen Umstieg bei der Motorisierung zurückzuführen. Der Anteil der Dieselfahrzeuge fiel in diesem Zeitraum drastisch von 62 auf 23 Prozent. Benziner stellten Anfang 2025 69 Prozent (gegenüber 37 Prozent im Jahr 2018). Zu dieser Umkehrung hat darüber hinaus wahrscheinlich auch die Angleichung der Mineralölsteuersätze für Benzin und Diesel beigetragen. Der Anteil reiner Elektrofahrzeuge ist mit 8 Prozent immer noch sehr gering, wobei es sich fast ausschließlich um Geschäftsfahrzeuge handelt.

Wie die Zeitung “Le Soir” berichtet, werden von der Maßnahme etwa 8 Prozent der in Brüssel zugelassenen Fahrzeuge betroffen sein. Das sind etwa 33.000 Autos. Man ist sich bewusst, dass es eigentlich Hilfen geben muss, um den weniger begüterten Autofahrern den Umstieg zu erleichtern. Aber dazu bräuchte man eine handlungsfähige Regierung, die darüber entscheidet, und einen Haushalt, aus dem das bezahlt wird. Auf beides wartet man bekanntlich in Brüssel seit nunmehr über 550 Tagen.

In ganz Belgien fallen übrigens noch rund 400.000 Fahrzeuge in die von der Einschränkung betroffenen Abgasklassen. Viele davon kommen aus den anderen belgischen Regionen auch nach Brüssel.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Vorkehrungen wurden bereits nach der vorläufigen Entscheidung im September auf den Weg gebracht. Ab 1. Januar 2026 gelten in Brüssel die strengeren Regeln. Allerdings gibt es für die Erhebung des für Verstöße vorgesehenen Bußgelds eine Schonfrist bis ins Frühjahr. “Abgassünder” erhalten zunächst eine schriftliche Abmahnung; erst drei Monate später wird ein Bußgeld in Höhe von 350 Euro fällig. Mit einem Tagespass für 35 Euro darf man auch künftig in die Stadt, allerdings an höchstens 24 Tagen pro Jahr. Darüber hinaus gibt es einen Katalog von Ausnahmeregelungen, etwa für Personen mit Behinderung oder für über 30 Jahre alte Oldtimer.

Die Einfahrt in die LEZ wird von Kameras überwacht, die die Kennzeichen erfassen. Bei Fahrzeugen mit belgischen und niederländischen Kennzeichen wird automatisch erkannt, ob sie die Anforderungen erfüllen. Autos mit ausländischen Kennzeichen müssen registriert werden.

Flandern lässt sich vom Verfassungsgericht nicht beeindrucken

Die flämische Regierung hat dagegen Ende November die dort für Anfang 2026 vorgesehene Verschärfung der Regeln verschoben. In den beiden Umweltzonen in Flandern – Antwerpen und Gent – dürfen also Fahrzeuge der Klasse Euro 5 (Diesel) und Euro 2 (Benziner) vorerst weiter fahren. Auch Autos niedrigerer Klassen haben mit Tagespässen weiter Zugang zu den LEZ. In Antwerpen kostet eine Tageskarte ab kommendem Jahr 45 Euro; sie darf höchstens an 12 Tagen im Jahr in Anspruch genommen werden. In Gent beträgt der Preis 35 Euro, ebenfalls für maximal 12 Tage im Jahr. Für bestimmte Fahrzeugkategorien (etwa Marktfahrzeuge) kann in beiden Städten auch eine – gebührenpflichtige – Ausnahmegenehmigung beantragt werden.

Die flämische Regierung hat eine Überprüfung der Luftqualität für den Zeitraum der kommenden zwei Jahre angekündigt. Auf deren Grundlage soll dann erneut über die LEZ entschieden werden, wobei anscheinend auch weitere Lockerungen nicht ausgeschlossen sein sollen.

Wie in Brüssel hatte auch hier der belgische Staatsrat von einer Verschiebung der Verschärfung abgeraten und dafür vor allem auf die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit verwiesen. Die Regierung ist dem nicht gefolgt. Während das Thema – wie der flämische Fernsehsender VRT berichtet – in Antwerpen kaum eine Rolle spielt, gibt es darüber in Gent eine heftige Debatte. Der Koalitionsvertrag der (neuen) Rathauskoalition aus Liberalen, Sozialisten und Grünen sieht eine Evaluierung der Genter LEZ vor, auch eine Abschaffung soll nicht ausgeschlossen sein. Die im flämischen regionalen Parlament oppositionellen Grünen kritisieren das scharf, und es könnte das gleiche Szenario eintreten wie in Brüssel: dass Gegner vor dem Verfassungsgericht klagen.

Keine LEZ in der Wallonie

In der Wallonie gibt es keine Niedrigemissionszonen. Zwar beschloss das regionale Parlament im Jahr 2019 im Rahmen seiner Klimagesetzgebung ein schrittweises einzuführendes Verbot besonders umweltschädlicher Autos im gesamten Gebiet der Region, also nicht nur in Städten. Im Anschluss wurden mehrere Studien erstellt, insbesondere für die Städte Eupen und Namur – mit “gemischten Ergebnissen”. Im April 2024 wurde die Regelung schließlich wieder abgeschafft, ohne dass es zur Einführung von LEZ gekommen war. Im Regierungsabkommen der seit Mitte 2024 amtierenden Koalition von Liberalen (MR) und Zentristen (“Les Engagés”) ist vorgesehen, zur Verbesserung der Luftqualität in städtischen Gebieten auf andere Lösungen als LEZ zu setzen. Welche das sind, wird nicht gesagt.

Gibt es einen Ausweg aus der belgischen Unordnung?

Die unterschiedlichen Regelungen in den belgischen Regionen stellen die Fahrer älterer Fahrzeuge vor große Herausforderungen. Das gilt an ihrem jeweiligen Wohnort (wenn er in einer LEZ liegt), aber vor allem dann, wenn sie zwischen den Regionen pendeln. Zwar kann sich das Problem im Verlauf der Zeit erledigen, wenn immer mehr dieser Fahrzeuge aus dem Verkehr ausscheiden. Aber wie lange das dauert, ist nicht absehbar. Und man weiß auch nicht, wie sich die geltenden Regelungen durch politische Entscheidungen oder Gerichtsurteile in Zukunft ändern werden. Das Ziel einer Verbesserung der Luftqualität bleibt als europäische Vorgabe bestehen – es sei denn, dass auch hier wie beim Verbrennerverbot der Rückwärtsgang eingelegt wird.

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