Staatsanwalt nennt Umstände des Unglücks, das den 11 Jahre alten Fabian auf einem E-Roller das Leben kostete/ Anklage gegen Polizisten/ Todesfahrt mit 40 Stundenkilometern?
Von Michael Stabenow
Seit Tagen schlägt der Tod eines 11 Jahre alten Jungen bei einer Verfolgungsjagd durch ein Polizeiauto in einem Brüsseler Park hohe Wellen in Belgien. Tag für Tag haben sich trauernde Menschen nahe der Unglücksstelle im Gedenken an den aus der Republik Moldau stammenden Fabian versammelt. Er war am Montag vergangener Woche im Parc Elisabeth in der Gemeinde Ganshoren mit einem E-Roller unterwegs, von zwei Polizisten verfolgt, von deren Fahrzeug erfasst sowie schließlich trotz umgehend eingeleiteter Wiederbelebungsversuche verstorben.
Tagelang war gerätselt worden über den Hergang des Unglücks. Untersuchungen durch die für die Überwachung der belgischen Polizei zuständige Dienststelle („Comité P“) wurden eingeleitet und Zeugen vernommen. Am Mittwoch teilte der Brüsseler Staatsanwalt Julien Moinil schließlich mit, dass der Fahrer des Polizeifahrzeugs, ein offenbar 26 Jahre alter Mann, festgenommen worden sei und der böswilligen Behinderung des Verkehrs mit unbeabsichtigter Todesfolge beschuldigt werde.
Der junge Polizist, dem – wohl nur theoretisch – eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren droht, wurde festgenommen und zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichtet. Dagegen gibt es offenbar keine weiterreichenden Ermittlungen gegen die bei der Verfolgungsjagd neben ihm sitzende Kollegin.
Nach dem jetzt bekannt gewordenen Stand der Ermittlungen soll die Verfolgung des Jungen in der Parkanlage im Gegensatz zu den in solchen Fällen bestehenden Verpflichtungen ohne eingeschaltetes Blaulicht und Sirenenton aufgenommen worden sein. Ein von den Ermittlungsbehörden zu Rate gezogener Sachverständiger soll die Geschwindigkeit des Polizeifahrzeugs auf 40 Stundenkilometer geschätzt haben.
Staatsanwalt Moinil erklärte, die genauen Umstände des tödlichen Unfalls seien noch zu klären. Man gehe davon aus, dass es nicht die Absicht des Fahrers gewesen sei, Fabian tödlich zu verletzen. Der Staatsanwalt verwies aber auch auf „bestimmte erste Zeugenaussagen“ sowie den Befund eines Rechtsmediziners, wonach Fabian unter die Reifen des Fahrzeugs geraten sei.
Der aus Moldau stammende Junge ist am Montag in seinem Heimatland beigesetzt worden. An diesem Donnerstag will sich Staatsanwalt Moinil mit Familienangehörigen treffen. Der Zwischenfall im Parc Elisabeth hat weit über die Grenzen Brüssels hinaus Aufsehen erweckt. Nicht nur die an der Verfolgungsjagd beteiligten Polizisten sehen sich vielfach dem Vorwurf ausgesetzt, oft rücksichts- und schonungslos ihren Aufgaben nachzugehen.
Vertreter von Polizeigewerkschaften kritisierten hingegen, dass ihr Kollege, der erst seit zwei Jahre im Dienst sei, festgenommen worden sei und jetzt eine Fußfessel tragen müsse. Es sei deswegen auch damit zu rechnen, dass in den Reihen ihrer Kollegen angesichts des aktuellen Falls Zweifel aufkämen hinsichtlich des bei der Ausübung ihres Berufs gewählten Vorgehens.
Auch Staatsanwalt Moinil betonte, die Polizei verdiene es, in ihrer Arbeit unterstützt zu werden. Es sei im Fall des Opfers Fabian weder um einen Fall von Diebstahl, um eine Gewalttat oder um Rauschgiftkriminalität gegangen. Letzter ist ein an verschiedenen Orten Brüssels weitverbreitetes Phänomen, wie auch am Mittwoch eine spektakuläre Polizeirazzia unter Beteiligung von 800 Ordnungshütern in dem für Drogenhandel berüchtigten Viertel Peterbos im Stadtteil Anderlecht gezeigt hat. Dabei kam es offenbar zu einer Reihe von Festnahmen.
Zum Verhalten des bei dem polizeilichen Vorgehen ums Leben gekommenen Fabian sagte der Staatanwalt: „Der Junge hatte sich bis auf die Tatsache, dass er sich auf diesem Roller befand, nichts anderes vorzuwerfen.“ Die Benutzung der, wie in vielen Städten, verbreiteten E-Scooter ist in Belgien Jugendlichen unter 16 Jahren grundsätzlich untersagt. Wie häufig diese Altersgrenze in der Praxis missachtet wird, ist unbekannt.
Im Brüsseler Stadtbild sieht man zudem regelmäßig zwei Personen (meist ohne Helm) auf E-Rollern – eine ebenfalls verbotene, aber offenkundig nicht durchgehend geahndete Praxis. In Brüssel gibt es immer wieder Berichte über Unfälle mit E-Scootern. Zuletzt hatte vor Monatsfrist ein Zusammenstoß mit einem Polizeifahrzeug in der Brüsseler Innenstadt ein Todesopfer gefordert.
Unter Hinweis auf Dutzende von Unfällen mit Scootern will Staatsanwaltschaft Moinil, wie er am Mittwoch ebenfalls ankündigte der Frage nachgehen, inwieweit es mit dem bei dem Unglück im Parc Elisabeth genutzten E-Scooter möglich ist, schneller als die gesetzlich erlaubte Geschwindigkeit zu fahren. Aus polizeilichen Protokollen ergebe sich, dass E-Scooter unterwegs seien, die Geschwindigkeiten von bis 90 Stundenkilometern erreichen könnten.
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