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Mietspiegel, Indexierung, Energieausweis – Worauf Wohnungsmieter in Brüssel achten müssen

Von Reinhard Boest

Wie in anderen Großstädten, ob in Deutschland, Frankreich oder Belgien, ist es nicht einfach, als Mieter in Brüssel eine Wohnung zu finden – schon gar nicht zu einem günstigen Preis. Sozialwohnungen sind ohnehin in ganz Belgien knapp; Ende 2023 standen in Flandern 176.000 Bewerber auf der Warteliste, in der Wallonie 40.000 und in der Region Brüssel-Hauptstadt 52.850, wie das französischsprachige Fernsehen RTBF berichtete. Es gibt seit langem eine Debatte darüber, wie man das entsprechende Angebot erhöhen kann, auch durch strengere Kriterien für die Belegung und eine Begrenzung der Laufzeit. Das Thema wird auch bei den anstehenden Wahlen eine Rolle spielen.

Hier soll es aber um «normale» Mieter gehen, also solche, die auf dem freien Markt eine Wohnung suchen oder gemietet haben. Wer die Verhältnisse in Deutschland kennt, wird feststellen, dass Mieter dort – wenn sie denn einen Mietvertrag abgeschlossen haben – im Allgemeinen eine stärkere Position gegenüber dem Vermieter haben als in Belgien, etwa das Recht auf Mietminderung bei Mängeln. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass in Belgien Mieter eine Minderheit sind: im Jahr 2022 lebten 72,5 Prozent der Einwohner in selbstgenutztem Eigentum, nur 27,5 Prozent zur Miete. In Deutschland ist dieses Verhältnis 42 zu 58 Prozent; in Europa hat nur die Schweiz eine noch geringere Eigentumsquote. Außerdem sind – außerhalb des sozialen oder gemeindlichen Wohnungbaus – große Wohnungsgesellschaften in Belgien die Ausnahme. Die meisten Wohnungen auch in großen Wohnanlagen werden von privaten Eigentümern vermietet, denen einzelne Wohnungen gehören. Mieter in einer solchen Anlage haben es also nicht mit einem einzigen Eigentümer zu tun, sondern mit vielen oder vielleicht einer Immobilienagentur als Verwalter («Syndic»).

Nun sind Mieter in Belgien nicht ganz rechtlos. Die Regionen, die auf Grund der sechsten Staatsreform seit 2018 auch für das Mietvertragsrecht zuständig sind (für andere Bereiche des Wohnungswesens schon vorher), haben eine Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht, die die Rechte der Mieter (und die Information der Wohnungssuchenden) stärken sollen. Auch Maßnahmen, die auf die – dringend erforderliche – energetische Verbesserung des Wohnungsbestands hinwirken sollen, wirken sich auf Mietverhältnisse aus. Vor Überraschungen ist man aber nicht gefeit, denn auch hier weichen Gesetzeslage und Wirklichkeit, wie häufiger im Belgischen Alltag, zuweilen voneinander ab.

In Wohnungsanzeigen muss ein Vermieter (oder sein Beauftragter, also oft ein Makler) eine Reihe von Angaben machen. Dazu gehören verpflichtend unter anderem eine Identifizierung (also Lage, Anschrift, aber nicht etwa die Wohnfläche oder Zahl der Zimmer), die Höhe der Miete, die Nebenkosten einschließlich der Berechnungsmethode, der Energieausweis (certificat PEB) und die Art der Verwaltung des Gebäudes. Bei Details der Beschreibung ist der Anbieter sehr frei, daher sind hier bei Angaben etwa zur Wohnfläche oder der Ausstattung der Phantasie nur sehr weite Grenzen gesetzt. All diese Angaben sind anschließend auch Teil des Mietvertrags – und dort natürlich bindend. Allen seit 2018 abgeschlossenen Mietverträge muss ein “erläuternder Anhang” beigefügt sein, dessen Inhalt die Regierung detailliert festgelegt hat. Der Anhang soll Mieter und Vermieter über die wesentlichen Anforderungen an Verträge und das Mietobjekt informieren, etwa über die Sicherheit und hygienische Anforderungen, Ausstattung, obligatorische und fakultative Vertragsklauseln, Formfragen, Registrierung, Dauer, Kündigung, Nebenkosten, Indexierung oder Reparaturen.

Seit Dezember 2021 sieht das Brüsseler Wohnungsgesetz vor, dass im Mietvertrag – aber nicht in der Werbung vorher – auch die Referenzmiete für die Wohnung nach einem von « Bruxelles Logement » erstellten und im Internet abrufbaren Mietspiegel enthalten sein muss (Artikel 218). Diesen Mietspiegel, der regelmäßig angepasst wird (für Brüssel zuletzt im Januar 2024) gibt es seit 2018. Von Anfang an war aber klar, dass das neue Werkzeug den Vermietern nicht wehtun sollte. Das Gesetz sagt ausdrücklich (Artikel 225), dass sich die Vertragsparteien an den Referenzmieten orientieren können, « ohne dass dies eine zusätzliche Verpflichtung für den Eigentümer darstelle ». Der praktische Nutzen ist in der Tat fraglich; ein Blick in konkrete Angebote auf dem Markt zeigt nämlich, dass kaum eine Wohnung zu dem im Mietspiegel ausgewiesenen Referenzpreis zu bekommen ist. Die Vermieter scheinen den Mietspiegel also weitgehend zu ignorieren, und man fragt sich, auf welcher Basis er überhaupt zustande kommt und warum die Behörden an ihm festhalten.

Allerdings spielt die Referenzmiete noch an einer anderen Stelle des Wohnungsgesetzes eine Rolle: eine Miete gilt nämlich außer bei Vorliegen besonderer Gründe als mißbräuchlich, wenn sie um 20 Prozent über der Referenzmiete liegt (Artikel 224/1). Welche Folgen ein solcher Mißbrauch im konkreten Fall hat, ist allerdings wiederum offen. Die Gesetzesnovelle vom Oktober 2021 enthielt dazu einen weiteren Artikel (Artikel 224/2) mit einem ausdrücklichen Verbot und detaillierten Bestimmungen über eine Revision der überhöhten Miete – mit dem Vorbehalt, dass das Inkrafttreten dieses Artikels eines gesonderten Beschlusses der Brüsseler Regionalregierung bedarf. Dieser steht bis heute aus, ebenso wie die Einsetzung einer aus Vertretern von Vermietern und Mietern besetzten “Paritätischen Kommission Miete”, die zur Beilegung von Streitigkeiten angerufen werden kann. Diese soll nunmehr im September 2024 ihre Arbeit aufnehmen. Es darf vermutet werden, dass ein Partner der Koalitionsregierung weiter seine schützende Hand über die Interessen der Vermieter hält.

Eine weitere Besonderheit des belgischen Mietrechts ist die automatische Indexierung, also die « Anpassung der Miete an die Lebenshaltungskosten », wie das Gesetz es beschreibt (Artikel 224/2). Von der Indexierung der Gehälter in Belgien – die allerdings immer einmal wieder in Frage gestellt wird und die es für “Expats” in der Regel ohnehin nicht gibt – sollen also auch die Vermieter profitieren. Die Indexierung ist bei schriftlichen Mietverträgen, die offiziell beim Gericht registriert sind, von Gesetzes wegen vorgesehen, wenn sie im Vertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird. Dass die Miete indexiert ist, muss daher etwa bei Mietangeboten nicht ausdrücklich erwähnt werden. Die Anpassung erfolgt nach dem jährlich vom Belgischen Statistikamt (Statbel) veröffentlichten Index für Gesundheitsleistungen und muss vom Vermieter jeweils schriftlich eingefordert werden. Außerdem muss ein gültiges PEB-Zertifikat vorliegen. Die Anpassung darf dann bis zu drei Monate rückwirkend erfolgen.

Als in den Jahren 2022/23 die Preise für Energie und damit die Inflation wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine besonders stark stiegen, hat die Brüsseler Regierung (wie auch die anderen Regionen) die Indexierung etwas abgebremst, allerdings nur fûr Wohnungen, deren Energiebilanz besonders schlecht ist. Anknüpfungspunkt dafür ist der Energieausweis (Certificat PEB), über den schon seit 2011 jede Wohnung in Brüssel verfügen muss, die verkauft oder vermietet wird. Die Klassifizierung nach Emissionen und Energieverbrauch reicht in Brüssel von A bis G (die Wallonie und Flandern haben abweichende Einteilungen). Der Durchschnitt liegt bei D. Im Oktober 2022 wurde festgelegt, dass bei den in den folgenden zwölf Monaten anstehenden Indexierungen nur für die mit A bis D bewerteten Wohnungen die volle Anpassung zulässig ist ; für E wurde sie auf 50 Prozent begrenzt, für F und G ganz ausgeschlossen. Seit Oktober 2023 sind Indexierungen wieder in voller Höhe zugelassen. In der Koalition hatten sich Sozialisten und Grüne für eine Fortsetzung dieser “Indexierungsbremse” eingesetzt. Damit sollte auch die Klimaanpassungsstrategie unterstützt werden, wonach Gebäude mit der geringsten Energieeffizienz beschleunigt energetisch saniert werden sollen. Bis 2050 sollen alle Gebäude in Brüssel mindestens dem Standard PEB C entsprechen (siehe https://belgieninfo.net/nicht-nur-wohnungen-und-autos-wie-bruessel-bis-2050-klimaneutral-werden-will/). Letzlich war die Verlängerung in der Koalition nicht konsensfähig; mit einer komplizierten Regelung soll aber verhindert werden, dass der hohe Index von 2022/23 nachträglich doch noch vollständig aufgeschlagen werden kann. Auf jeden Fall muss der Vermieter ein gültiges PEB-Zertifikat vorlegen, wenn er die Miete anpassen will.

Die Verlässlichkeit des Zertifizierungssystems wirft allerdings Fragen auf. Zwar sind die Zertifizierer an ein Protokoll gebunden, in dem die Kriterien festgelegt sind, nach der die Bescheinigung erteilt wird. Da aber jeder Wohnungseigentümer einen zugelassenen Zertifizierer selbst frei wählen kann, ist es normal, dass Wohnungen in einem und demselben Mehrfamilienhaus von verschiedenen Experten bewertet werden. Nicht normal ist es dagegen, wenn dabei gleiche Wohnungen unterschiedlich klassifiziert werden. Wie man oben sieht, kann das für den Mieter erhebliche, auch finanzielle Folgen haben. Die Klassifizierung ist transparent, denn alle zertifizierten Wohnungen sind in einem von der Brüsseler Umweltverwaltung (Bruxelles Environnement) veröffentlichten Register einsehbar. Es ist aber fraglich, ob diese initiativ wird, wenn solche Unstimmigkeiten auffallen. Die Mieter kann sich zwar – natütlich auf eigene Kosten – eine zweite Meinung bei einem anderen Experten einholen. Das « offizielle » Zertifikat, das im Register erscheint, ist aber das vom Vermieter veranlasste.

Auf jeden Fall : die Mieterrechte in Belgien sind ausbaufähig…

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