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Mehrheit im Brüsseler Parlament will stärker gegen missbräuchliche Mieten vorgehen

Oder ein neuer Querschuss gegen die völlig blockierte Suche nach einer neuen Brüsseler Regionalregierung?

Von Reinhard Boest

Der 31. Januar soll eigentlich das Datum sein, an dem Belgien – fast acht Monate nach den Wahlen – endlich wieder eine föderale Regierung bekommen soll. Das ist jedenfalls bisher das Ziel des mit der Regierungsbildung beauftragten Vorsitzenden der flämischen Nationalisten (N-VA), Bart De Wever. Der Inhalt des aktuellen Kompromisspapiers, das jetzt durch die Zeitung “Le Soir” und andere belgische Meiden bekanntgeworden ist, lässt daran allerdings wieder zweifeln. Denn einige darin enthaltenen Vorschläge in den Bereichen Haushalt, Steuern, Pensionen oder Beschäftigung dürften für die verschiedenen Partner der angestrebten “Arizona-Koalition” schwer zu verkraften sein.

Gleichzeitig droht am 31. Januar ein weiterer Stolperstein für die nach wie vor vollständig blockierte Suche nach einer neuen Regierung für die Region Brüssel-Hauptstadt. An diesem Tag steht nämlich eine Abstimmung auf der Tagesordnung des am 9. Juni neu gewählten Brüsseler Parlaments, das die eigentlich vorgesehenen Partner einer künftigen Regionalregierung weiter voneinander entfernen könnte.

Dabei geht es nicht um die bisher die Debatte beherrschende Sprachenfrage, sondern um die Wohnungspolitik. Sozialisten und Grüne haben einen Antrag eingebracht, den in der vergangenen Legislaturperiode eingeführten Mietspiegel für Brüssel verbindlich zu machen. Das bedeutet auch, dass bei Überschreitung der Referenzmiete um mehr als 20 Prozent im konkreten Fall eine missbräuchliche Miete unterstellt wird , Das hätte zur Folge, dass der Mieter bei Gericht eine Reduzierung verlangen könnte. Bisher ist der Mietspiegel unverbindlich, und ein Missbrauch muss vom Mieter im Einzelfall nachgewiesen werden.

Der Mietspiegel wird ergänzt durch eine „Paritätische Wohnungsmieten-Kommission“, die im vergangenen November ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie soll eine niedrigschwellige Alternative zu einem Gerichtsverfahren anbieten, wenn Mieter ihre Miete als zu hoch ansehen, und auch auf eine gütliche Einigung hinwirken. Die mit Vertretern von Mietern und Vermietern besetzte Kommission ist in den ersten Wochen mit drei Fällen befasst worden, über die sie jeweils einstimmig entschieden hat: in einem Fall wurde eine Miete als missbräuchlich angesehen, in den beiden anderen Fällen nicht.

Die jetzt zur Abstimmung stehende Verschärfung der Regelung gegen missbräuchliche Mieten war schon im geltenden Brüsseler Mietgesetz (Code Bruxellois de Logement) in Artikel 224/1 angelegt; das Inkrafttreten war allerdings von einem weiteren Beschluss abhängig gemacht worden. Grund dafür war der Widerstand der damaligen liberalen Koalitionspartner (DéFi und OpenVLD), die darin – wie der oppositionelle MR – nicht nur einen Eingriff in die Vertragsfreiheit sahen, sondern auch die Repräsentativität des Mietspiegels anzweifelten.

Die Relevanz des Themas lässt sich schon daran ablesen, dass in Brüssel im Unterschied zu den anderen Regionen Belgiens der Anteil der Mieter mit 60 Prozent deutlich höher liegt. Außerdem herrscht seit Jahren ein eklatanter Mangel an Sozialwohnungen und an bezahlbarem Wohnraum überhaupt. Allein durch die gesetzlich vorgesehene Indexierung sind die Mieten innerhalb der vergangenen 25 Jahre um 75 Prozent gestiegen. Die tatsächliche Steigerung liegt aber sicher deutlich höher, da Mietverträge in der Regel zeitlich befristet sind und bei jeder Neuvermietung der Mietpreis frei festgelegt werden kann. Für den Wirtschafts- und Sozialrat der Region hat das Phänomen der missbräuchlichen Mieten inzwischen „beunruhigende Züge“ angenommen.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hatten vor allem die linkspopulistische PTB/PVDA und die – stark auf muslimische Wähler zielende – Liste Fouad Ahidar zu einem wichtigen Wahlkampfthema gemacht; beide erzielten am 9. Juni erhebliche Stimmengewinne. Zusammen mit den Abgeordneten der Sozialisten (PS und Vooruit) und der Grünen (Ecolo und Groen) gibt es eine Mehrheit im Parlament für diese Maßnahme (48 von 89 Mitgliedern), die bei der Abstimmung am 31. Januar zum Tragen kommen könnte.

Die Liberalen des MR, aber auch die Zentristen von Les Engagés, laufen Sturm gegen dieses Vorhaben. Sie machen nicht nur – wie im damaligen Gesetzgebungsverfahren – inhaltliche Einwände geltend, wie etwa, dass der Mietspiegel, auf den sich die Feststellung einer missbräuchlichen Miete stützt, eine unzureichende tatsächliche Grundlage habe. Man solle erst die Wirkungen der seit 1. Januar 2025 geltenden neuen Regeln für die Registrierung von Mietverträgen abwarten. Dafür sind jetzt die Regionen und nicht mehr das föderale Finanzministerium zuständig.

Vor allem sehen MR und Les Engagés in der PS-Initiative einen – weiteren- „Querschuss“ gegen die blockierten Verhandlungen über eine neue Regierung in Brüssel. Für die bisher als Seniorpartner regierenden Sozialisten ist offenbar die Versuchung groß, lieber die im Parlament bestehende linke Mehrheit zu nutzen als sich in der Rolle des Juniorpartners in eine Koalition mit dem MR zu begeben.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich im Parlament seit der Wahl wechselnde Mehrheiten bilden. Die Verschiebung der Umweltzone (LEZ) im September 2024 erfolgte mit den Stimmen von MR und PS gegen die Grünen. In der vergangenen Woche setzten Sozialisten, Grüne und Les Engagés gegen MR und N-VA unter anderem das Verbot der Terrassenheizungen für die Gastronomie durch, wenn auch mit einem Jahr Aufschub. Die flämischen Grünen haben einen erneuten Anlauf angekündigt, das rituelle Schlachten ohne Betäubung zu verbieten – ein Vorhaben, mit dem die Sozialisten ein Problem haben. Das Thema war unter anderem Anlass für den Parteiausschluss von Faoud Ahidar aus der Partei Vooruit und für die Gründung seiner eigenen Liste.

Eine „Beruhigung“ dürfte ohne die Bildung einer Koalition, in der für die vielen gegensätzlichen Positionen Kompromisse gefunden werden, kaum möglich sein. Der Leitartikler in „Le Soir“ stellt zu Recht fest und steht mit dieser Auffassung sicher nicht alleine da, dass sich die politisch Verantwortlichen endlich zusammenraufen müssten, um die wirklich drängenden Probleme Brüssels zu lösen – allem voran die dramatische finanzielle Schieflage.

 

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