
Von Michael Heinzel
In einer Biographie zeichnet Alain Kniebs, der heutige Direktor des Belgischen Rundfunks (BRF), den Werdegang einer führenden ostbelgischen Radiojournalistin nach
Da hat Alain Kniebs dem deutschsprachigen Belgischen Rundfunk (BRF) ein schönes Geschenk zu dessen 80. Geburtstag gemacht – und auch ein wenig sich selbst. Kniebs ist nämlich seit 2021 BRF-Direktor. Sein Buch des BRF-Direktors über die Hörfunkpionierin Irene Janetzky ist weit mehr als die Biographie einer Frau, die aus dem Hintergrund die gesellschaftliche und politische Entwicklung ihres Landes mitgestaltet hat. Mit viel Fingerspitzengefühl, aber beharrlich hat sie ihr Ziel verfolgt, den deutschsprachigen Ostbelgiern nach zwei Kriegen und Assimilierungsversuchen ihre Integration ins Königreich und ihre Akzeptanz als integraler Teil Belgiens zu erleichtern.
So kann man heute schon sagen, dass doch was dran ist an dem Bonmot „Die letzten Belgier sprechen Deutsch.“ Der Zufriedenheitsgrad dieser Minderheit, die nicht einmal ein Prozent der belgischen Gesamtbevölkerung ausmacht, erreicht schon skandinavische Größenordnungen. Daran hat Irene Janetzky ihren Anteil! Auf 125 Seiten zeichnet der Autor Kniebs die Stationen ihrer Lebensgeschichte und ihre Verdienste um die Entwicklung des deutschsprachigen Rundfunks in Belgien nach.
Irene kam 1920 als Sechsjährige in die cantons rédimés, als in den gerade erst „erlösten“ Kantonen Eupen-Malmedy, die Deutschland aufgrund des Versailler Vertrages an Belgien abtreten musste, General Baltia mit eiserner Hand die „wiedergefundenen Brüder“ auf ihre 1926 erfolgende Aufnahme ins belgische Königreich vorbereitete. Deutsche waren jetzt hier eigentlich unerwünscht, aber Irenes Stiefvater Bernhard Willems, der spätere Nestor der ostbelgischen Historiographie, stammte aus Elsenborn und kehrte nun mit seiner deutschen Frau und Adoptivtochter nach Jahren im preußischen Schuldienst zurück in seine alte Heimat. Wie er es trotzdem geschafft hat, dass 1926 nicht nur er, sondern auch seine deutsche Frau und seine Tochter die belgische Staatsbürgerschaft zuerkannt bekamen, bleibt offen. Irene bekommt eine sorgfältige Ausbildung im In- und Ausland, so dass sie bereits mit Anfang 20 fünf Sprachen spricht.
Nach dem nächsten Krieg, in dem die Ostbelgier wieder ins „Großdeutsche Reich“ zurückannektiert. Ihre Jungen wurden entweder als deutsche Soldaten in die Wehrmacht oder zur zivilen Zwangsarbeit verpflichtet. Es folgten nun erst einmal die „dunklen Jahre“ der Säuberungen, die die Ostbelgier besonders hart trafen, weil ihnen hier eine kollektive Kollaboration mit dem Feind vorgeworfen wurde, hatten sie doch das „Führer-Geschenk“ der Re-Annexion „heim ins Reich“ ungefragt angenommen.
Umso überraschender erscheint in dieser Phase die Entscheidung der damaligen nationalen belgischen Rundfunkanstalt INR, bereits zum 1.10.1945, also gerade einmal fünf Monate nach Kriegsende, mit einem deutschsprachigen Radioprogramm für die Ostkantone auf Sendung zu gehen. Aber man hatte aus den Fehlern von General Baltia gelernt; die Assimilation und Integration der Ostler sollten jetzt gelingen.
Ostbelgien ist klein; hier kennt vielleicht nicht gerade jeder jeden, aber immer kennt man einen, den der andere auch kennt. So erreichte Irene Janetzky das Angebot, die Stimme für die Deutschsprachigen im INR zu werden. Sie ist gerade frisch geschieden und alleinerziehende Mutter zweier Söhne – zu der Zeit durften Frauen weder wählen noch Verträge abschließen. In der Redaktion war sie die einzige Frau. Über fast 20 Jahre bleibt es bei dieser one-woman-show mit einer Sendezeit von 30 Minuten montags bis samstags auf dem schwachen Mittelwellensender Verviers, der schon nach 50 Kilometern im Venn kaum noch zu empfangen ist.
Trotzdem ist die Resonanz bei den Hörern gewaltig, und das trägt Irene. Bis auf die Technik ist sie für alles alleine zuständig. Und wenn sie mal ausfällt, muss eine Freelance-Kraft als Vertretung her. Aber sie ist hochmotiviert und erspürt, welch wichtigen Beitrag sie zur Integration Ostbelgiens leistet. Neun Jahre später folgt ihr persönlicher Durchbruch, als sie am 24. Juni 1954 für das belgische Fernsehen die erste Eurovisionssendung moderiert und dabei die Zuschauer aus sieben Ländern elegant in ihren jeweiligen Landessprachen durch die Sendung führt.
Das prädestiniert sie auch für Reportagen von wichtigen internationalen Ereignissen; so zeigt das Titelbild Irene Janetzky im Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des belgisch-deutschen Staatsvertrages im September 1956 in Brüssel. „Als Journalistin, Gesprächspartnerin und Brückenbauerin steht sie dort, wo sich Geschichte formt“, so beschreibt sie der Autor Alain Kniebs. Auch die einstige Rundfunkleitung wusste um die diplomatischen Fähigkeiten ihrer „schönen Lady“. Irenes mittlerweile erweitertes, deutschsprachiges Programm gehört in Ostbelgien in den 1960ern zu den Wegbereitern der Kulturautonomie, als sie weitere Mitarbeiter einstellen darf, die sich – ebenfalls mit sehr viel Fingerspitzengefühl – an die Aufarbeitung der damals noch unbewältigten Vergangenheit wagen.
Das Land hat so manche Metamorphose durchgemacht. Die wichtigsten Stationen beschreibt Kniebs vor dem Hintergrund der Biographie in kurzen, zusammenfassenden Einschüben. Für den belgischen Leser mag das vielleicht entbehrlich sein, nicht aber für Leser aus Deutschland, die relativ unberührt von den Entwicklungen in Belgien sind. Am wichtigsten erscheint die Darstellung der Entwicklung des belgischen Rundfunks selbst vom zentral aus Brüssel gesteuerten Sprachrohr hin zu autonomen Medienanstalten ihrer autonomen Regionen. Besonders deutlich wird das an der Deutschsprachigen Gemeinschaft oder Ostbelgien, wie sie sich inzwischen gerne nennt.
Alain Kniebs: Irene Janetzky – Ein Leben im Zeichen des Belgischen Rundfunks
Grenz-Echo-Verlag (GEV), Eupen 2025, 125 Seiten, 14 Euro. ISBN 978-3-86712-210-8
Michael Heinzel hat mehrere Bücher über das deutsch-belgische Grenzgebiet und seine wechselvolle Geschichte verfasst. Der Autor lebt in Bonn.







Beiträge und Meinungen