Von Ferdinand Dupuis-Panther
Wie in den Jahren zuvor präsentierte Fritz Schmücker, der künstlerische Leiter des Festivals, in den ersten Januartagen im Theater Münster ein musikalisches Kaleidoskop. Dabei hatte er sich wie stets auf europäischen Jazz beziehungsweise Jazz aus Europa fokussiert. In drei der insgesamt 19 Konzerte wirkten belgische Musiker/innen mit.
Spotlight 1: TYN WYBENGA’S BRAINTEASER ORCHESTRA FT. THÉO CECCALDI (NL/IT/BE/ES/RO/DK/SI)
Rund um den „Kapellmeister“ und Komponisten Tyn Wybenga hatten sich nachstehend genannte Musiker versammelt: Nicolò Ricci (ts), Kika Sprangers (sax), die aus Antwerpen gebürtige Nabou Claerhout (tb), Federico Calcagno (bcl), mit Pablo Rodriguez, Yanna Pelser und George Dumitriu gleich drei Violinisten, Pau Sola (vc), Teis Semey (g), Jort Terwijn (b), Jamie Peet (dr) und schließlich Aleksander Sever (vibes). Als Gast kam der französische Geiger Théo Ceccaldi hinzu.
Der dunkle Klang – dank an die Posaunistin – füllte den Raum, begleitet von stürmischen Beckenwirbeln des Schlagzeugers. Lyrisch aufgelegte Violinen waren neben einem Cello und einem durchdringenden E-Bass zu vernehmen. Becken wurden zum Tickticktick angeschlagen. Harte Riffs ließ der Gitarrist erklingen. Wellen des Saitenklangs ergossen sich von der Bühne in den Zuschauerraum. Kristallen flossen die Klänge des Vibrafonisten dahin. Und wiederholt gab es das tieftönige Gebläse von Nabou Claerhout zu vernehmen.
Gebundenes Orchestrales gab ebenso ein Stelldichein wie Ungebundenes. Raum zur Klangentfaltung einzelner Musiker war stets gegeben, so auch im ersten Stück des Konzerts. Da war es dann am Cellisten Pau Sola, den Bogen über die Saiten gleiten zu lassen.
Auf und ab entwickelten sich die klanglichen Linien im Weiteren, gab es eine Verschmelzung von Bassklarinette und Violinen aufzunehmen. Dialogisches stand also hier und da im Fokus. Nichts von Wehklagen oder Swing – dafür steht die Klarinette gewöhnlich – war der Stimme zu entnehmen. Sehr dynamisch gestaltete Federico Calcagno den ihm zugeschriebenen Klangpart. Fanfarenklang, dank wieder an Nabou Claerhou, mischte sich mit dem Klangreigen der drei Geiger und des Cellisten, die sich im Furioso ergingen. Der tieftönige Posaunenklang bündelte schließlich das bisher Gehörte.
Ein besonderer Ohrenschmaus war das „Gastspiel“ des französischen Geigers Théo Ceccaldi, der zwei Kompositionen für den Konzertabend mit dem Brainteaser Orchestra mitgebracht hatte. Rein optisch erinnerte Ceccaldi ein wenig an den britischen Stargeiger Nigel Kennedy. Beide geben nichts auf Konventionen, auch nicht auf konventionelles Bühnenoutfit oder Föhn-Frisur! Aufmüpfig sind beide, der eine im Jazz, der andere in der Klassik.
Leicht gedämpfte und fragmentiere Gitarrenschraffuren trafen auf ein veritables Saitenzupfen, das in seiner Rhythmik beeindruckte. Doch auch gängiger Bogenstrich war zu hören. Dazu gesellte sich das Spiel auf den Keys, das ein wenig an Synth-Klang erinnerte und an Jazz Rock anknüpfte. Auffallend waren die sich wiederholenden Klangmuster, die vor allem Ceccaldi zu verdanken waren. Das hatte gewiss etwas von Hypnotischem, und auch ein Begriff wie Techno mag an dieser Stelle seine Berechtigung haben. Nach dem Geigen-Pling-Plong-Plang ließ es sich der Gitarrist nicht nehmen, darauf zu antworten. Derartige Wechselspiele zwischen den Musikern brachen immer wieder die Tutti auf, ließen erkennen, dass ein Orchester ein Gebilde aus einzelnen Musikern ist. Und jeder trug mit seiner Klangfarbe zum Ganzen bei.
Ceccaldi unterstrich im Konzertverlauf, dass er das Abseitige bedienen wollte. Da ging es nicht so sehr um melodischen Fluss, sondern um den „Pogo des Klangs“. Es gab während des Abends keine Weichzeichnungen und keine melodischen Verwässerungen. Die Zuhörer tauchten in klangliches Wildwasser ein, dessen Gischt auch die Streicher mitbestimmten.
Spotlight 2: CLAERHOUT / BAAS / GADDUM / PEET (BE/NL)
Der zweite Tag des Festivals wurde mit Konzerten im Kleinen Haus des Theaters Münster eröffnet. Nach dem Quartett um die Posaunistin Nabou Claerhout gab das Chaerin Im Quartet seine musikalische Visitenkarte ab.
Die aus Antwerpen stammende Posaunistin Nabou Claerhout wurde unter anderem in einem Beitrag, der vorab erschienen war, mit folgenden Worten beschrieben: “With her warm trombone sound, not immediately splashing in high eruptions but intelligently building melodic lines, Claerhout evokes a different atmosphere every time.” (NRC)
Den akustischen Konzertauftakt bildete „Greyhair, blue shirt and brown glasses“. Langwellige Klangformen der Posaune trafen Tropfenhaftes, das dank Reinier Baas den Gitarrensaiten entsprang. Ein geerdeter Bass meldete sich zudem zu Wort. Mit Beckenrausch bedachte uns der Drummer Jamie Peet. Dieser schien hier und da das Tempo anzuziehen, die Mitmusiker rhythmisch anzustacheln. Und dann gab es in dem besagten Stück auch gewisse Höhenflüge der Tieftönigkeit, dank an Glen Gaddum.
Den stärksten Höreindruck hinterließ jedoch das Gebläse von Nabou Claerhout. Insbesondere das Solo des Gitarristen Reinier Baas entführte uns eine Welt fließender melodischer Momente, und wir schienen wir Klang-Mäandern zu folgen. Hier und da gab es auch klangliche Wellen-Saltos zu hören und der eine oder andere dachte vielleicht an die beeindruckenden japanischen Holzschnitte mit Meeresmotiven.
Ein wenig an Barden der 1970er Jahre und deren Songs erinnerte das, was war wir im zweiten Stück zu hören bekamen, wobei der Gitarrist die Eröffnung gestaltete. Es schien so, als würde die Posaunistin die lyrischen Zeilen des Songs übernehmen. Über weite Strecken wurde das Quartett zum Trio. Dabei muss ein ausführliches Bass-Solo besonders hervorgehoben werden. Keine Spur gab es von Strenge und Restriktion, die man mit dem Titel „Orthodox“ in Verbindung bringt.
In Ermanglung einer zündenden Titel-Idee für die Komposition blieb es beim nächsten Stück bei „1.0-2.0-3.0“ (Nabou Claerhout). Oh, dachte manch einer im Saal, wo ist denn das Alphorn? Ja, die Posaunistin schuf zeitweilige eine Klangeinfärbung, die uns an Alphorn-Konzerte in den Alpen erinnerte. Zugleich fühlte man sich zu Musik in einer gotischen Kathedrale mit starkem Nachhall mitgenommen. Und an klassische Brassmusik, jenseits von Barockmusik, musste man außerdem denken, wenn man den Linien lauschte, die Claerhout intonierte.
Nein, zappaesk war es nicht, was wir bei dem Song „F*cker“ (Nabou Claerhout) als Höreindruck vermittelt bekamen. Ein besonderer Hörgenuss war unter anderem das Spiel des Gitarristen, der uns auch glauben machte, er spiele auf einer Mandoline italienische Weisen. Doch all das wurde klanglich durch die Posaunistin durchbrochen. Sie schmetterte eine „Posaunen-Arie“, so konnte man meinen.
Spotlight 3: CHAERIN IM QUARTET (KR/NL/BE/DK)
Über die koreanische, in Amsterdam lebende Pianistin Chaerin Im und ihre Mitmusiker, der niederländische Gitarrist Siebren Smink, der belgische, zurzeit in Amsterdam beheimatete E-Bassist Matteo Mazzú und der aus Dänemark gebürtige Drummer Ludvig Søndergaard las man im Vorwege „They blend and layer sounds inspired by everything they like from indie pop and free-improv to electronic music.” (North Sea Jazz)
Ohne die Pianistin, die unpässlich war, nahm uns ein Trio auf eine Klangreise mit, die sehr stark von dem Spiel mit Pedalen und Reglern für elektronische Modulationen bestimmt war. Dabei bildete der E-Bassist keine Ausnahme. Bisweilen meinte man, man höre sphärische Klänge und gesampelte Klangmotive. Ob nun der Gitarrist oder der E-Bassist spielten, immer waren elektronische Erweiterungen und Mutationen mit im Spiel. Trance-Versuche trafen auf Basslinien und weiches Schlagwerkspiel. Und dann mitten in den Klangprozess hinein trat Diven gleich die Pianistin in Erscheinung, die am Synth ebenso wie am Flügel zu hören war.
Im Verlauf des Konzerts tauchte der Gedanke an ein Reloading 2.0 von Kompositionen des Alan Parsons Project und Mike Oldfield auf. Doch „Tubular Bells“ war gestern. So waren die Erwartungen an das Quartett nicht andere? Ja, Pop war die vorgestellte Musik, ob Indie-Pop lassen wir mal offen. Die Kompositionen schienen von A bis Z durchgetaktet. Da fehlte wilde klangliche Gestik und das Verlassen eingeschlagener Bahnen. Eine andere Klangfarbe gab es dann, als für die beiden letzten Stücke der mit Verve aufspielende Tenorsaxofonist Nicolo Ricci zu hören war.
© text und photos ferdinand dupuis-panther
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