Von Heide Newson und Reinhard Boest
Fast drei Wochen regnete es in Brüssel aus Kübeln, am 15. November strahlte dagegen fast den ganzen Tag die Sonne. Vielleicht lag es daran, dass es sich um einen ganz besonderen Tag handelte. Besonders machte ihn, dass der Festtag der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG), der am 15. November gefeiert wird, diesmal mit ihrem 50. Jubiläum zusammenfiel.
Am 23. Oktober 1973 tagte zum ersten Mal der Rat der deutschen Kulturgemeinschaft. In der Folge wurden die Befugnisse der Deutschsprachigen Gemeinschaft über Verfassungsreformen und Verhandlungen mit der Wallonischen Region stetig erweitert. Heute ist die Deutschsprachige Gemeinschaft ein gleichberechtigter Gliedstaat in Belgien und gehört zu einer der bestgeschützten Minderheiten weltweilt. Wenn das kein Grund zum Feiern war. Den Auftakt der Feierlichkeiten in Brüssel bildete bereits ein Konzert am 26. Oktober im Flagey (Belgieninfo berichtete).
Und der Festtag wurde diesmal nicht in der bescheidenen Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft gefeiert, sondern mit etwa 150 Gästen in einem der schönsten und besonders renommierten Opernhäusern Europas, in der Brüsseler Staatsoper „La Monnaie“. “Wow”, sagte ein Gast, der sie noch nicht kannte und den Prachtbau erst einmal besichtigte, während im Foyer, in dem man sich durch eine Ausstellung und Broschüren über 50 Jahre DG ein Bild machen konnte, mehr und mehr Gäste eintrafen.
Ministerpräsident Oliver Paasch, Parlamentspräsident Charles Servaty sowie die Leiterin der DG-Vertreterin Brüssel Eva Johnen begrüßten die zahlreich erschienenen Gäste, darunter der ehemalige belgische Außen- und Finanzminister und jetzige EU-Kommissar Didier Reynders, die Ministerpräsidenten von Flandern und Brüssel, Jan Jambon und Rudi Vervoort, der Vize-Ministerpräsident der Wallonie, Willy Borsus, und der Kabinettchef des Königs, Vincent Houssiau. Alle begaben sich über den prachtvollen roten Teppich in die erste Etage, mit eifrigem Händeschütteln. „Happy birthday, alles Gute, Ostbelgien“, so der Gruß vieler Gäste, die von der Schönheit der Monnaie und dem Anlass hin- und hergerissen waren. Und Oliver Paasch meinte zufrieden, dass dieser Rahmen zu solch einem Geburtstag passe, eine Meinung, der sich Didier Reynders, der spätere Gastredner, sofort anschloss.
Seit Jahren verbindet den jetzigen belgischen EU-Kommissar eine enge Freundschaft mit Ostbelgien. Auch wenn er in seiner ehemaligen Funktion als Außenminister noch so beschäftigt war, fand er immer wieder Zeit, in die Vertretung der DG zu eilen, um am Festtag der Deutschsprachigen Gemeinschaft, der mit dem Tag des Königs zusammenfällt, teilzunehmen. Und wie in den Vorjahren nahm er sich wieder viel Zeit für seine ostbelgischen Freunde und deren Gäste. Locker plauderte er mit ihnen über Gott und die Welt, auch mit Belgieninfo.
Vor einigen Jahren hatte Reynders uns anvertraut, dass er nun Deutsch lerne. Auf die seit Jahren gestellte Frage, ob er mittlerweile Fortschritte in der Sprache Goethes gemacht habe, witzelte er nun in perfektem Englisch, dass er sich bemühe, es aber noch nicht so gut klappe. Am 50. Geburtstag Ostbelgiens teilzunehmen, sei für ihn eine große Ehre und etwas ganz Besonderes. Einen langen und erfolgreichen Weg habe die Deutschsprachige Gemeinschaft in Richtung Autonomie zurückgelegt. Dazu könne man gar nicht genug gratulieren.
Zum Auftakt des von Eva Johnen moderierten Festaktes begeisterte Tenor Serge Bosch aus Kelmis mit Franz Lehars „Freunde das Leben ist lebenswert“.
In seiner launigen Ansprache, wie immer im Wechsel zwischen vier Sprachen, zeichnete Ministerpräsident Oliver Paasch den Weg der DG von der Kulturgemeinschaft zum heutigen Ostbelgien nach. Man verfüge heute über die vollen Zuständigkeiten der Sprachgemeinschaft und achtzig Prozent der regionalen Kompetenzen. Kritik übte er an Defiziten bei der Verwendung der deutschen Sprache, etwa bei der Übersetzung von Gesetzen. Die Kleinheit Ostbelgiens sei zugleich Chance und Herausforderung. Man sei nahe am Bürger, und die Wirtschafts- und Beschäftigungslage könne sich im innerbelgischen Vergleich sehen lassen.
Paasch verwies darauf, dass aus der kleinen DG international bekannte Persönlichkeiten wie der Generalsekretär der OECD, Matthias Cormann, der Jurist Serge Brammertz, aber auch Sportkoryphäen wie Thierry Neuville (Motorsport) oder Kathrin Hendrich (Fußball) stammten. Zur Herausforderung werde die Kleinheit der DG aber bei Krisen. Dann fehlten oft die Mittel, um diese allein zu lösen. Daher sei Zusammenarbeit nötig – und darum sei Ostbelgien immer ein loyaler Partner in Belgien. Dass man keine eigene Universität habe, sei auch ein Vorteil: die Ausbildung in den anderen belgischen Regionen oder im Ausland öffne Horizonte und Chancen. Bei der Anerkennung von Abschlüssen, etwa bei Medizinberufen, bestehe allerdings noch dringender Handlungsbedarf.
Paaschs Warnung vor einer Schwächung der europäischen Zusammenarbeit durch zunehmende populistische Strömungen griff anschließend der Landeshauptmann von Südtirol, Arno Kompatscher, auf. Diese italienische Partnerregion Ostbelgiens hat im vergangenen Jahr ebenfalls das 50jährige Jubiläum ihrer Autonomie begangen. Kompatscher wies darauf hin, dass es Ostbelgien als Mitglied in einem föderalen Staat leichter habe als Südtirol in Italien mit seiner immer noch stark zentralistischen Tradition. Die Autonomie sprachlicher Minderheiten sei keine Selbstverständlichkeit, wie sich für ihn bei einer Debatte dazu in den Vereinten Nationen bestätigt habe. Fast alle Konflikte auf der Welt hätten einen kulturellen oder sprachlichen Hintergrund oder Kontext. Der Schutz von Minderheiten, nicht zuletzt durch Autonomierechte, sei daher auch ein Friedensprojekt. Das Motto der EU “Einheit in Vielfalt” könne man gar nicht hoch genug bewerten, sagte Kompatscher.
Reynders würdigte in seinem kurzen Beitrag die Rolle der DG als Brücke für die Zusammenarbeit Belgiens mit Deutschland, die er auch als Minister in der Föderalregierung zu schätzen gelernt habe. Er erinnerte an die endlosen Finanzverhandlungen zwischen der Föderalregierung und den Regionen. Am Ende, kurz vor Morgengrauen, habe dann immer auch etwas Geld für Ostbelgien gefunden werden müssen, sagte er mit einem Augenzwinkern in Richtung von Karl-Heinz Lambertz, der als Ministerpräsident der DG über viele Jahre an diesen Verhandlungen beteiligt war.
Im Anschluss an die Festansprachen wurde ein kurzer Film über die Befindlichkeiten und das „Wir-Gefühl“ der Ostbelgier gezeigt. 90 Menschen aller Altersklassen sowie mit unterschiedlichem Hintergrund stellten sich die Frage: “Wer sind wir? Wer bist Du? Wer bin ich?” Durch das interessante Filmprojekt führte die ostbelgische Schauspielerin Karen Damen.
Weiter im Festprogramm ging´s dann mit musikalischen Klängen, guten Gesprächen, kulinarischen Köstlichkeiten und viel Flüssigem, ganz nach dem Motto des Lehar-Klassikers „Das Leben ist lebenswert.” Aus dem Kreis der Gäste kamen an diesem Abend nur lobende Worte. “Ein gelungenes Fest, Happy Birthday Ostbelgien“, sagte zum Beispiel der Leiter der Saarlandvertretung, Christoph Roth. Er empfinde es als große Ehre empfand, diesen so besonderen Tag mit den Ostbelgiern feiern zu dürfen.
Am 28. November um 14. Uhr finden die Feierlichkeiten mit dem Kolloquium “50 Jahre Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft” in der Bayerischen EU-Vertretung ihren Abschluss. Anmeldung hier
Etwas mehr Kultur wäre schön. Danke