Aktuell, Belgischer Alltag

Ein Bekenntnis zu den Brüsseler Verkehrsbetrieben

Von Michael Stabenow

Ich bekenne: Seit Kindesbeinen ich ein eingefleischter Anhänger der Brüsseler Verkehrsbetriebe (STIB/MIVB). Ich könnte Sie jetzt verwirren und stundenlang von den Straßenbahnlinien 25, 35, 40, 41 oder 45 der sechziger Jahre schwärmen. Oder von den Bussen „meiner“ Linie 36, die damals ihre Endstation an der Franziskanerkirche in Woluwe Saint-Pierre hatte.

Die Buslinie 36 gehört zu den wenigen in Brüssel, die niemals abgeschafft oder umbenannt worden sind. Die Busse harrten damals vor der Ende 1966 abgerissenen Hauptpost gegenüber dem Opernhaus „La Monnaie“ in Reih und Glied, bevorzugt mit laufendem Dieselmotor, der Fahrgäste. Und ich war regelmäßig dabei!

Ja, ich war auch dabei, als wir uns 1969 mit zahlreichen anderen Neugierigen in eine Straßenbahn zwängten und kurz hinter der heutigen Metrostation Merode parallel zur Avenue de l´Yser im Untergrund verschwanden. Es war der Beginn des Zeitalters der „Prémétro“ mit den auch heute noch bekannten sechs Bahnhöfen von Schuman bis De Brouckère.

Auch als im September 1976 die „Métro lourd“ ihren Betrieb aufnahm, sorgte ich dafür, dass ich in den Semesterferien in Brüssel sein und bis zur neuen Endstation Beekkant richtige U-Bahnluft schnuppern konnte. Wobei, einen charakteristischen Duft, wie ihn etwa die Berliner U-Bahn- oder Pariser Metroschächte verbreiten, kann ich bis heute in Brüssel nicht ausmachen. Wohl bleibt mir in guter Erinnerung, wie ungemein schnell die orangefarbenen Gefährte der ersten Brüsseler Metrogeneration, deren gleichfarbige Nachkommen auf den Linien 2 und 6 auch heute noch anzutreffen sind, beschleunigen konnten.

Aber all das ist Geschichte, erst recht die der Straßenbahnen, die einst an der Place Rogier zwischen dem legendären „Martini“-Hochhaus und dem Warenhaus „Au Bon Marché“ verkehrten, das später dem Einkaufszentrum „City 2“ weichen musste. Oder soll ich noch von den gelben Bussen der Marke Brossel – mit einem rundum gezogenen blauen Farbstrich – erzählen, die viele Jahre mit nur leicht unterschiedlichen Baureihen und den Kennziffern 8061 bis 8340 das Brüsseler Straßenbild prägten (https://www.bus-planet.com/bus/bus-europe/Belgium-site/MIVB/index-MIVB.html)?

Aber blicken wir nicht nur voller Nostalgie zurück. Auch im Jahr 2025 bin ich regelmäßig STIB/MIVB-Fahrgast. Dass die Linie 25 nicht mehr, wie einst, vom Boulevard du Souverain in Auderghem bis zur Porte de Namur, sondern inzwischen vom Bahnhof Boondael in Ixelles bis zur Place Rogier verkehrt, stört auch mich wenig. Die Erinnerung an die alte Linie 25, die auf der Chaussée de Wavre vor sich hin tuckerte, bleibt. Der Straßenbahnfahrer, hinter dem – ich gebe mal die niederländischsprachige Version wieder – die warnende Aufschrift „Niet met de wattman spreken“ prangte, war nicht der einzige STIB/MIVB-Mann in der Bahn. Hinten saß meistens, etwas erhöht, ein Schaffner, der den Fahrgästen einzeln oder im Zehnerpack Fahrscheine verkaufte.

Die Fahrscheine sind längst zu elektronischen Wesen mutiert. Und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis auch in Brüssel die U-Bahn ohne Fahrer verkehrt. Auf Fahrgäste wird die STIB/MIVB natürlich nicht verzichten können. Und Streiks im öffentlichen Nahverkehr dürften, wenn man sich das Geschehen der vergangenen Monate vor Augen führt, auch weiter zum Brüsseler Alltag gehören.

Wie schön dagegen, dass Anzeigetafeln uns heutzutage zweisprachig – auf Französisch und Niederländisch – darüber informieren, wann die nächste Bahn auf welcher Linie erwartet und wohin sie fahren wird. Als wir neulich an der „Prémétro“-Station Diamant in Schaerbeek unserer nächsten Bahn harrten, mussten wir indes wieder einmal ein wenig stutzen.

Das nächste Exemplar der Linie 25 wurde uns in drei Minuten angekündigt – freilich mit dem Zusatz „Theoretische tijd“. Worin sich Theorie und Praxis bei den Verkehrsbetrieben unterscheiden, mussten und wollten wir nicht abwarten. Wir stiegen zwei Minuten später frohgemut in eine Bahn der Linie 7 ein – und die war pünktlich!

Natürlich freuen wir uns darüber, dass Durchsagen in den Bahnen oft dreisprachig – auf Französisch, Niederländisch und Englisch – durch die Lautsprecher ertönen. Die folgenden Haltestellen werden meist auf Französisch und Niederländisch angesagt. Manchmal kann man es damit auch etwas übertreiben. Zum Beispiel an der Haltestelle „Demolder“ in Schaerbeek, benannt nach dem 1919 verstorbenen französischsprachigen Schriftsteller Eugène Demolder. Sein Name klingt bei der Durchsage zweisprachig, etwa so: „Demoldaire“ (auf Französisch) und „Dömolldör“ (auf Niederländisch). Aber ist Brüssel nicht ohnehin eine Hochburg des Surrealismus?

 

 

 

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