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Brüsseler EU-Viertel im Wandel

© Europäische Kommission

Europäische Kommission sieht sich als Vorreiter bei der Modernisierung von Bürogebäuden und Arbeitsplätzen

Von Hajo Friedrich

Nicht nur der Brüsseler Jubelpark/Cinquantenaire soll in den kommenden Jahren – wie berichtet – eine Frischzellenkur erhalten (Frischzellenkur „Cinquantenaire 2030“ – Belgieninfo). Im angrenzenden EU-Viertel hat mit einzelnen Bauprojekten bereits ein grundlegender Transformationsprozess begonnen. Dieser reicht über die Renovierung oder meist den Neubau von Gebäuden hinaus. Besonders im Trend liegen sogenannte High performing buildings wie sie etwa in der Rue Montoyer 15 oder der Rue de Loi 107 und 51 bewundert werden können.

Aber nicht nur die Hülle und die Gestaltung der Gebäude sollen den neuesten Ansprüchen gerecht werden. Damit verbunden ist auch ein grundlegender Wandel der Arbeitsorganisation. Mittels architektonischer Neuerungen soll vermieden werden, dass Bürokomplexe meist bloß aus langen Fluren bestehen, in denen sich ein kleines Büro an das andere reiht. Und die immer häufiger leer stehen, weil sich die Beschäftigten auf Dienstreisen oder im Home-Office befinden.

Einen lebhaften Eindruck von dem, was die Europäische Kommission als einer der größten Immobilienbesitzer und -mieter im EU-Viertel plant, vermittelte Marc Becquet am 19. Oktober bei einer Veranstaltung der hessischen Landesvertretung in Brüssel. Das Thema der Veranstaltung: „Der Wandel des EU-Viertels und die Rolle der Europäischen Kommission“. Der Belgier Becquet leitet seit mehr als drei Jahren das Amt für Gebäude, Anlagen und Logistik Brüssel (OIB) der Kommission.

Marc Becquet © Hessische Landesvertretung in Brüssel / Eric Berghen

Game-Changer“ Covid

So plane die Kommission ihren Bürobestand erheblich zu verkleinern sowie mehr Großraumbüros („Coworking Spaces“) zu schaffen, berichtete Becquet. In der Privatwirtschaft ist dies in vielen Großstädten schon längst der Fall – oder in einigen Fällen – mangels Rendite – schon wieder passé. Covid und die damit verbundenen Lockdown-Regelungen seien jedoch ein großer „Game-changer“ gewesen, um die Büro- und Arbeitswelt vollkommen neu zu gestalten.

Berufstätigkeit am Schreibtisch in den heimischen vier Wänden galt bis vor kurzem noch als unmöglich, wenn nicht gar verpönt. Inzwischen sei Telearbeit von zuhause aus (Homeoffice) aus vielerlei Gründen zu einem anerkannten, festen Bestandteil der Arbeit der Kommissionsbediensteten geworden, berichtete Becquet.

Raus aus dem EU-Behördenghetto

Niemand werde dazu verpflichtet, aber beim Personal, so der OIB-Direktor, bestehe ein großes Interesse daran, von zuhause aus zu arbeiten. Seit dem Ende der Covid-Krise sei unter den meisten Beschäftigten keine „große Welle“ zu beobachten, die Möglichkeit zum Home-Office wieder aufzugeben. Falls die Tätigkeit nichts anderes erfordere, so werde von den Bediensteten gegenwärtig eine Präsenz in der offiziellen Dienststelle von mindestens zwei Tagen pro Woche erwartet, sagte Bequet.

Die Kommission will jedoch auch verhindern, dass sich die Büroviertel zu sehr leeren. „Wir wollen das Erscheinungsbild ändern und mehr Menschen in das EU-Viertel zurückbringen“, erläuterte Becquet. Er verwies auf neue und mehr Angebote – etwa Geschäfte oder Ausstellungen – in den bislang nur Büros vorbehaltenen Gebäuden.

Adieu, eigener Schreibtisch – tschüss, eigenes Büro

Nicht zuletzt auch im Interesse der europäischen Steuerzahler müsse sich die neue Arbeitsorganisation auch in der Gebäudenutzung zeigen, sagte Becquet. So gibt es in der Behörde Überlegungen, innerhalb der EU-Gebäude für – statistisch gesprochen – jeweils zehn Beschäftigte nur noch etwa sieben Arbeitsplätze – sprich: Schreibtische – vorzuhalten. Nach Kommissionsplanungen dürfte damit für viele ihrer Mitarbeiter auch bald die Zeit vorbei sein, über einen eigenen Schreibtisch oder gar ein eigenes Büro zu verfügen. „Wir bekommen öffentliches Geld – da kann man nicht zwei bis drei Tage zuhause arbeiten und dann noch ein eigenes Büro verlangen“, sagte Becquet.

Platz für vertieftes Nachdenken

Ein von der Kommission gern verwendetes Schlagwort lautet „Dynamic Collaborative Spaces“. Dahinter kann sich mal „offenes Büro“ verbergen, das lediglich aus einem Großraumbüro mit benachbarten Konferenz- und Pausenräumen besteht. Oder aus „multifunktionalen Büros“, die zusätzlich etwa auch noch sogenannte Räume für verschärftes Nachdenken („Deep Concentration Areas“) enthalten sollen. Hinzukommt das Modell der „hybriden Büros“, die über noch mehr Funktionsräume (zum Beispiel Studios, Think Tank-Örtlichkeiten oder auch sogenannte Showrooms) verfügen sowie virtuellen Kontakt mit der Außenwelt umfassen – etwa zu den Homeoffices, Kunden, der Öffentlichkeit oder zu anderen Co-Working-Plätzen.

Paradigmenwechsel im Immobilienportfolio

Die EU-Behörde hat im vergangenen Jahr auch im Lichte der Erfahrung mit der Pandemie eine neue Immobilienpolitik beschlossen. Diese sieht vor, dass manche Bürogebäude nicht länger genutzt werden sollen, wenn die Mietverträge auslaufen. Becquet deutete an, dass die gesamte Bürofläche für die Kommissionsbeamten bis 2030 um rund 200.000 Quadratmeter (von 780.000 auf 580.000 Quadratmeter) und die Zahl der Gebäude um die Hälfte schrumpfen solle. Ziel sei, die in Brüssel tätige Belegschaft in dann nur noch rund 20 Gebäudekomplexen unterzubringen.

Drohender Preisverfall für Brüsseler Büroimmobilien?

Im Gegensatz zu anderen Behörden oder gar Privatpersonen strebt die Kommission nun an, weniger Immobilien zu besitzen und mehr anzumieten. „Wir wollen unser gegenwärtiges Verhältnis – zwei Drittel Eigentum und ein Drittel Anmietung – umdrehen“, sagte OIB-Direktor Becquet auf der Diskussionsveranstaltung in der hessischen Landesvertretung. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass die Verkäufe möglichst bald über die Bühne gehen sollten, da die Brüsseler Preise für Bürogebäude über kurz oder lang erheblich fallen dürften.

Projekt „Berlaymont Piazza“

Solange die Sicherheit der Beschäftigten garantiert sei, habe die Behörde auch kein Problem damit, wenn Gebäudeteile auch für andere Zwecke genutzt würden, erläuterte der OIB-Direktor. Geplant sei zudem, um dem Gebot nach mehr Bürgernähe nachzukommen, in einigen Gebäuden zum Beispiel Eingangsbereiche oder Erdgeschosse neu zu gestalten.

So soll künftig im Hauptsitz der Behörde an der Place Schuman eine „Berlaymont Piazza“ erblühen. Dabei sollen gemäß den Grundsätzen des von der Kommission verfolgten Projekts „New European Bauhaus“ vorwiegend umweltfreundliche, natürliche Materialien verwendet werden. Ferner sollen, wenn möglich, die Innenhöfe sowie die Dächer der Kommissionsgebäude begrünt werden. Angesichts von nur 25 bis 30 Prozent der Kommissionsbeschäftigten, die mit dem Auto zum Dienst kommen, wolle die Behörde verstärkt in „Öko-Mobilität“, etwa Leihfahrräder, investieren.

Target 2030 – an agile Institution“

Hier sei ein kleine Anmerkung erlaubt: all die Bau- und Umbauprojekte, die sie quasi in Eigenregie verwirklichen kann, nutzt die Kommission – zumindest rhetorisch – auch dazu, die wohlbekannten Mantras ihrer Politik zu vermitteln. Alles soll umweltfreundlicher (auf Euro-Englisch „greener, „re-use, repair, recycle“), smarter, digitaler sein. Und dann sollen bei der Gelegenheit auch gleich mal wieder die Dienststellen neu strukturiert werden – mal in Pole (etwa „Health & Food Pole“), mal in „Cluster“. All diese sollen sich künftig räumlich vorwiegend in der Achse der Rue de la Loi – in „Prospection Areas“ – befinden.

Baustart für neues Konferenzzentrum

Konkret losgehen soll es im kommenden Jahr immerhin mit dem Bau des längst fälligen neuen Konferenzzentrums der Kommission. Das alte „ Centre Albert Borschette“ in der Rue Froissart sei, gelinde gesagt, mehr als in die Jahre gekommen, so Becquet. Vom neuen Zentrum, das möglichst 2027 bezugsfertig sein soll, ist bereits heute die riesige Baugrube zwischen der Rue de la Loi und der Rue Jacques de Lalaing in Augenschein zu nehmen. Sie liegt, genauer gesagt, zwischen dem „letzten Schrei“ des urbanen Wohnens und Arbeitens in Brüssel – dem 20-stöckigen Bau „TheOne Residence Brussels“ – und der Brüsseler Zentrale der ARD-Sender, der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks.

Neues Konferenzzentrum © Europäische Kommission

Phänomen Stadt

Das von Marc Becquet geleitete OIB-Amt untersteht dem für die Kommissionsverwaltung und den EU-Haushalt zuständigen Kommissar Johannes Hahn. „Wir müssen was tun“, habe der Österreicher gesagt, berichtete Becquet. Hahn verfolge die städtebaulichen Projekte im und am Rande des EU-Viertels mit viel Herzblut. Das Thema Städtebau beschäftigt den Kommissar schon seit den Studienzeiten. So lautet der Titel seiner Doktorarbeit “Die Perspektiven der Philosophie heute: dargestellt am Phänomen Stadt“.

Mehr Fotos von der Veranstaltung (© Hessische Landesvertretung in Brüssel / Eric Berghen): https://photos.app.goo.gl/fJTEEoaRQFBvHQM17

Präsentation Marc Becquet: https://belgieninfo.net/wp-content/uploads/2023/11/20231016_mb_hessen_20231019_oibre.pdf

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