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Von Michael Stabenow
Der traditionell im Februar vorgelegte Jahresbericht der belgischen Nationalbank (BNB) gibt regelmäßig Aufschluss über Stärken und nicht zuletzt auch Schwächen der Wirtschaft des Landes. In diesem Jahr fällt die Vorlage in eine Phase des Übergangs zu einer neuen Koalitionsregierung, die das Ruder ein Stück stärker nach rechts richten will, sowie, in Reaktion darauf, einer Welle von Streiks und Demonstrationen.
In dieser Phase bescheinigen die BNB und ihr Gouverneur Pierre Wunsch der seit Monatsbeginn amtierenden Arizona-Koalition zwar, in die richtige Richtung zu gehen. Zweifel bestehen jedoch, ob sich das Ziel erreichen lässt, die Erwerbsquote in wenigen Jahren von zuletzt gut 72 auf 80 Prozent zu steigern sowie die öffentliche jährlche Neuverschuldung auf oder unter die EU-Zielmarke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu drücken.
Besorgt zeigte sich Wunsch bei der Erläuterung des BNB-Jahresberichts darüber, dass sich im Verlauf des vergangenen Jahres die Tragfähigkeit des belgischen Haushalts nicht nachhaltig verbessert habe. So belief sich das Haushaltsloch – die öffentliche Neuverschuldung – auf rund 28 Milliarden Euro oder 4,6 Prozent des BIP. Der gesamte Schuldenstand summierte sich auf 104,4 Prozent und damit deutlich oberhalb der EU-Orientierungsmarke von 60 Prozent des BIP. Nur Frankreich, Italien und Griechenland weisen derzeit noch höhere Werte aus, der Durchschnitt im Euroraum lag Mitte 2024 bei rund 88 Prozent.
Da die Sondereffekte der Covid-Pandemie sowie die als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine vor drei Jahren ausgelöste Energiekrise 2024 nicht mehr von übergeordneter Bedeutung gewesen seien, müsse man von einem „strukturellen Problem“ sprechen, erläuterte Wunsch. Verantwortlich machte er dafür nicht zuletzt, dass das Ausgabenvolumen der öffentlichen Hand um 2 Prozentpunkte auf 55 Prozent des BIP gestiegen sei. Neben einem Zuwachs der Anzahl öffentlicher Bediensteter um gut ein Prozent auf fast 900.000 habe sich auch die Zahl der aufgrund von Krankheit und Invalidität nicht mehr einer Beschäftigung nachgehenden Menschen im Land um 10 Prozent auf mehr als eine halbe Million erhöht.
Zu den Trümpfen der belgischen Wirtschaft zählt die Nationalbank die industrielle Basis sowie die Tatsache, dass belgische Haushalte mit einem durchschnittlichen Vermögen von rund 330.000 Euro in der EU hinter denen Luxemburgs und Maltas an dritter Stelle stehen (siehe https://belgieninfo.net/bald-schluss-mit-dem-leben-wie-gott-in-belgien/). Dennoch fürchtet die BNB, dass die Staatsfinanzen nicht schnell genug saniert werden können. Dies werde den skeptischen Blick der Ratingagenturen, die lange Zeit ein Auge auf Länder wie Griechenland und Portugal geworfen hätten, auf EU-Gründungsmitglieder wie Belgien und Frankreich lenken – mit dem Risiko, dass die Zinsen steigen und der Schuldendienst anschwillt.
Vermisst hat Wunsch in den bisher vorliegenden Plänen der aus der Neu-Flämischen Allianz (N-VA) von Premierminister Bart De Wever, den flämischen Sozialisten (Vooruit) und Christlichen Demokraten (CD&V) sowie den französischsprachigen Liberalen (MR) und der zentristischen Partei „Les Engagés“ zusammengesetzten Arizona-Koalition gesicherte Erkenntnisse zur Verwirklichung ihrer Vorhaben.
Positiv wird die geplante Beschränkung der Zahlung des Arbeitslosengeldes auf zwei Jahre und die angestrebte Entlastung der Pensionskassen gesehen. Es sei aber „nicht sicher“, so BNB-Gouverneur Wunsch, ob sich der belgische Beschäftigungsgrad, wie von der Regierung erhofft, auf 80 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung steigern lasse. Und nicht zuletzt als Konsequenz daraus ließ er die Befürchtung durchscheinen, dass die von der Arizona-Koalition in Aussicht gestellte Entlastung des Staatshaushalts um acht Milliarden Euro zu hoch gegriffen sei. © Belgische Nationalbank
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