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Belgien greift zu „Schmerzmitteln“ gegen den Energiepreisanstieg

Von Michael Stabenow

Belgiens Autofahrer, aber nicht nur sie, können ein wenig aufatmen. Die belgische Regierung hat jetzt ein weiteres Maßnahmenpaket geschnürt, das die Folgen der drastisch gestiegenen Energiekosten ein wenig abfedern soll. Dazu zählen insbesondere die Senkung der Mineralölsteuer auf Benzin und Diesel sowie eine von 21 auf 6 Prozent verringerte Mehrwertsteuer auf Gas. Das von Energieministerin Tinne Van der Straeten als „Schmerzmittel“ bezeichnete Paket ergänzt die Anfang Februar getroffenen Beschlüsse, die insbesondere die Senkung der Mehrwertsteuer auf Elektrizität auf 6 Prozent sowie einen Heizkostenzuschuss von jeweils 100 Euro für die Haushalte betrafen (Belgien federt Anstieg der Energiepreise etwas ab – Belgieninfo).

Auch in Belgien setzen die Energiemärkte, die unter dem Eindruck der russischen Invasion der Ukraine äußerst labil sind, die politischen Entscheidungsträger unter Zugzwang. Vor allem die auf Rekordniveau gestiegenen Treibstoffpreise ließen einen Eingriff der Vivaldi-Koalition unvermeidlich erscheinen. So wird jetzt die Mineralölsteuer auf Diesel und Benzin vorübergehend um 17,5 Cent je Liter gesenkt. Bei einer Tankfüllung von 60 Litern werde dies zu Einsparungen von 10,50 Euro führen, erläuterte Finanzminister Vincent Van Peteghem.

Der Minister kündigte an, dass die Regierung vor der Sommerpause das sogenannte Klick-System zur Anwendung bringen werde, wonach die Mineralölsteuern generell bei Preisschwankungen angepasst werden können. Als Schwelle für die Auslösung des Mechanismus nannte er 1,70 Euro je Liter. Nach dem jüngsten Rückgang der Rohölpreise auf rund 100 Euro je Fass war der Höchstpreis, der bei Diesel zuletzt auf fast 2,30 Euro je Liter gestiegen war, um 20 Cent gesenkt worden.

Der verringerte Mehrwertsteuersatz für Gas und Strom soll zunächst bis Ende September gelten. Für einen Durchschnittshaushalt, der derzeit monatlich 350 Euro für Heizkosten aufbringen muss (statt gut 100 Euro vor Jahresfrist), läuft dies auf eine Ersparnis von jeweils 36 Euro hinaus. Wer weiter Heizöl benutzt, was vor allem in Wallonien der Fall ist, kann mit einer Entlastung von 200 Euro rechnen. Bereits Anfang Februar hatte die „Vivaldi“-Koalition einen Heizkostenzuschuss von 100 Euro je Haushalt bewilligt. Ebenfalls bis Ende September verlängert wird der „Sozialtarif“ für rund eine Million Haushalte. Dieser soll nach Angaben der Regierung auf Einsparungen von jeweils 2230 Euro hinauslaufen. Die Grünen von Energieministerin Van der Straeten sollen sich gegen weiterreichende Senkungen der Mineralölsteuer gewehrt haben; die Ticketpreise für die Eisenbahn, die eigentlich im Juni ein weiteres Mal steigen sollten, bleiben vorerst eingefroren. Offenbar sträubten sich die Liberalen von Premierminister Alexander De Croo gegen eine Senkung der Bahntarife.

Der Regierungschef bezifferte die Kosten für das jetzt beschlossene Maßnahmenpaket auf 1,3 Milliarden Euro – 300 Millionen Euro mehr, als der Staat durch die gestiegenen Energiepreise an Einkünften aus Steuern und Abgaben verbuchen kann. Insgesamt werde der Staat in diesem Jahr drei Milliarden Euro als Reaktion auf den Energiepreisanstieg und den Ukraine-Krieg an Mehrkosten auf sich nehmen.

Ausgeklammert wurde jetzt die umstrittene Frage der Verlängerung der Laufzeiten für die Atommeiler Doel 4 (bei Antwerpen) und Tihange 3 (westlich von Lüttich). Darüber soll auf einer weiteren Sitzung der Regierungsspitze am Freitag entschieden werden. Im Gespräch ist nun wegen der absehbaren Folgen des Ukraine-Kriegs für die Energieversorgung eine Verlängerung der Laufzeiten um zehn Jahre. Die Kernkraftgegner, allen voran die Grünen, wollen ihre Zustimmung an klare Zusagen für die stärkere Förderung erneuerbarer Energien knüpfen.

De Croo verwies darauf, dass die derzeitige „irrationale“ Preisentwicklung der Energiemärkte europäischer Antworten bedürfe. Von einer Versorgungsknappheit könne derzeit keine Rede sein. Der Premierminister erinnerte an seine auf dem jüngsten EU-Gipfeltreffen in Versailles vorgetragenen und wohlwollend aufgenommenen Überlegungen zur Begrenzung der Gaspreise (Unterstützung in der EU für belgischen Vorschlag zur Begrenzung der Gaspreise – Belgieninfo), zu denen die Europäische Kommission in Kürze Vorschläge unterbreiten werde.

De Croo nannte in diesem Zusammenhang drei Ziele: die Beschneidung übermäßiger Einkünfte von Energiekonzernen,  europäische „Gruppeneinkäufe“ von Energieprodukten nach dem Muster der Beschaffung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus sowie eine Obergrenze für Großhandelspreise. Er sei zwar ein Befürworter der Marktwirtschaft, sagte De Croo. Wenn der Markt jedoch „völlig losgelöst von der Realität“ sei, müsse man eingreifen.

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