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Außenministerin Hadja Lahbib: eine umstrittene Personalentscheidung

© MR Mouvement Reformateur

Von Michael Stabenow

Sie ist im Südteil Belgiens seit Jahren ein vertrautes Gesicht. In Flandern war Hadja Lahbib hingegen bisher fast unbekannt. Das wird sich nun ändern. Die 52 Jahre alte, in Boussu (Provinz Hainaut) geborene algerischstämmige Journalistin, die jahrelang die Hauptnachrichten im französischsprachigen Fernsehsender RTBF moderiert hat, wurde zur allgemeinen Überraschung auf Vorschlag von Parteichef der frankophonen Liberalen (MR), Georges-Louis Bouchez, durch Staatsoberhaupt König Philippe als neue Außenministerin des Königreichs vereidigt. Sie folgt Sophie Wilmès, die mit Rücksicht auf ihren schwer erkrankten Ehemann auf ihr Amt verzichtet.

Obwohl wenig Zweifel an den journalistischen Fähigkeiten Lahbibs bestehen, hat ihre überraschende Berufung auch in den Reihen der Liberalen für manches Stirnrunzeln gesorgt. Lahbib, die sich im Laufe der Jahre auf außenpolitische Themen spezialisiert und eine Zeitlang ein belgisches Kulturmagazin auf dem Sender Arte moderiert hat, ist kein Parteimitglied.

Auch wenn Lahbib von sich sagt, sie sei „weder rechts noch links, aber fundamental frei“, galt sie bisher – anders als der MR – als links der politischen Mitte stehend. Da in Belgien Parteivorsitzende weitgehend oder vollständig freie Hand bei der Besetzung von Regierungsämtern haben, konnte der für manche Eigenwilligkeit bekannte MR-Chef eigenständig entscheiden.

Lahbib, so ein sichtlich zufriedener Bouchez, sei seine „erste und einzige Wahl“ für das Amt gewesen. Sie habe als Journalistin an vielen internationalen Schauplätzen mehr Erfahrungen gesammelt als manch Amtsvorgänger zum Zeitpunkt des Amtsantritts. „Ihre Ernennung ist gut für das Land und für die Partei“, sagte der MR-Parteivorsitzende.

MR-Fraktionschef Benoît Piedboeuf sprach gegenüber der Zeitung „Le Soir“ von einer „Überraschung“, fand aber umgehend lobende Worte für die Berufung von Lahbib: „Sie steht vor wichtigen Verantwortlichkeiten, sie verfügt über das intellektuelle Niveau. Jemand von außerhalb der Partei, na und? Wenn es um Leute mit Qualität geht – welche Besorgnis?“.

Einen namentlich nicht genannter MR-Abgeordneter zitierte „Le Soir“ hingegen zur Ernennung Lahbibs mit den Worten: „Sie ist alles bis auf eine Liberale, und es geht um eine Berufung von außen, die über die internen Kompetenzen hinwegsieht.“ Tatsächlich war zuletzt vor allem die häufig mit internationalen Fragen befasste Brüsseler MR-Parlamentarierin Alexia Bertrand als Nachfolgerin von Wilmès gehandelt worden.

Ein anderer, ebenfalls von „Le Soir“ nicht namentlich genannter MR-Politiker warf Bouchez „Spektakelpolitik” vor. Tatsächlich dürfte Bouchez sich von Lahbibs Ernennung zur Außenministerin nicht zuletzt bei der 2024 anstehenden Parlamentswahl Stimmen von Wählern mit Migrationshintergrund erhoffen, die bisher mehrheitlich insbesondere Sozialdemokraten und Grünen zuneigen.

In einem Kommentar wies die niederländischsprachige Zeitung „De Standaard“ auf eine mögliche Kehrseite der Personalentscheidung für die französischsprachigen Liberalen hin: „Sie ist nicht von der Art, die aufkommende Blutarmut an der Basis aufzulösen.“ Bouchez hat sich indes dafür entschieden, eines der wichtigsten Ämter einer Frau anzuvertrauen, die zwar als ehrgeizig, eloquent und hochintelligent gilt, jedoch über keinerlei Erfahrung in Partei- oder Regierungsämtern verfügt.

Zuletzt war Lahbib, die mit ihrer Familie im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek lebt, gemeinsam mit Jan Goossens, dem ehemaligen Leiter des Königlichen Flämischen Theaters (KVS) für die Bewerbung Brüssels zur europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2030 zuständig. Nun erwarte Lahbib, wie „De Standaard“ schrieb, ein „Kulturschock“. Als Außenministerin seien von ihr Verhandlungsgeschick und ein eng gewobenes Netz von Kontakten gefordert – etwas, worüber Lahbib nicht verfüge: „Als Chefin der Diplomatie genießt die neue Ministerin für Auswärtige Angelegenheiten – ein Topressort – kaum Autorität.“

 

One Comment

  1. Quisthoudt Godelieve

    Unvorstellbar, dass die neue Ministerin kaum die Sprache der Mehrheit der Bürger spricht. Wie gut kennt sie Flandern und die Flamen?

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