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Liebesgruß und Beethovens Fünfte zum Valentinstag im NOVUM

NOVUM – die Auferstehung des Théâtre Saint Michel in Brüssel

Von Reinhard Boest

Ein klassisches Konzert des Brussels Philharmonic Orchestra am Valentinstag macht darauf aufmerksam: Einer der größten Brüsseler Theatersäle erwacht aus einem jahrelangen Dornröschenschlaf.

Der weiträumige Komplex des Collège Saint-Michel am Square Montgomery in Etterbeek ist nicht zu übersehen. Seit 1905 befindet sich die 1604 vom Jesuitenorden im Brüsseler Zentrum gegründete katholische Schule an diesem Standort; sie gehört heute zu den größten Sekundarschulen Brüssels. Renommierte Absolventen aus der jüngeren Vergangenheit sind etwa König Philippe und sein Bruder, Prinz Laurent, sowie der Fußball-Nationalspieler Amadou Onana.

Kaum jemand wird aber vermuten, dass sich hinter den Mauern auch ein sehenswerter Theatersaal mit einer langen Geschichte verbirgt. Von außen erinnert das Gebäude in einer Seitenstraße des Boulevard Saint Michel eher an eine alte Fabrik oder einen Speicher. Ein altmodisches Schild an der Fassade weist auf “Salle St. Michel” hin, und der Eingang liegt hinter einem verschlossenen Gittertor. Ein paar Stufen führen in das Foyer, und dahinter kommt man in das Theater. Erbaut wurde es vom Brüsseler Architekten Frans Hemelsoet (1875-1947) im Stil des Art Nouveau, und die Einweihung erfolgte 1932. Anfangs bot der Saal 1.800 Sitzplätze im Parkett und auf zwei Balkonen und diente als Aula und Festsaal der vom Jesuitenorden getragenen Schule.

Ab 1993 wurde der Saal unter verschiedenen Leitungen als Theater betrieben und bot ein breites Spektrum an, von Produktionen belgischer Regisseure über Gastspiele namhafter Pariser Inszenierungen bis zu klassischen und Jazz-Konzerten. Auch die Neubrandenburger Philharmonie und die Deutsche Tanzkompanie aus Neustrelitz waren hier regelmäßig zu Gast.

© NOVUM – Archives du Collège Saint Michel

Aber der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam, und nach einer Zeit des Niedergangs war Ende 2018 endgültig Schluss. Die baulichen Mängel und vor allem die technischen Defizite erzwangen eine Schließung. Es dauerte über fünf Jahre, bis durch Finanzmittel des Jesuitenordens und viel Eigeninitiative aus dem Kreis der Alumni der Schule der Saal soweit hergerichtet worden war, dass er zu Beginn des Schuljahrs 2024/25 wieder in Betrieb gehen konnte, vor allem für alle Art schulischer Veranstaltungen. Aus Sicherheitsgründen stehen aber nur noch 1.100 Plätze zur Verfügung, und der zweite Balkon mit seinen sehr steilen Sitzreihen wird nicht mehr genutzt. Aber das typische Jugendstil-Ambiente und das nostalgische Flair der Ausstattung mit seinen roten Samtcordsesseln sind erhalten geblieben.

Auch die – begrenzte – Vermietung an externe Veranstalter wird von jungen Alumi auf ehrenamtlicher Basis organisiert. Dafür erhielt der Saal einen neuen Namen: NOVUM – den man am Gebäude allerdings nirgends findet. Die Location scheint aber durchaus attraktiv zu sein; kurz vor Weihnachten gab es etwa Kabarett zu sehen, auch für Theatergruppen steht er zur Verfügung. Vor allem schließt sich in Brüssel eine Marktlücke zwischen den kleinen Theatern und kommunalen Kulturzentren und den großen Sälen wie dem Bozar, dem Cirque Royal oder Forest National.

Seit der Schließung des Konservatoriums für die seit Jahrzehnten überfällige Grundrenovierung scheint im NOVUM auch das Brussels Philharmonic Orchestra eine neue Heimat gefunden zu haben. Es ist eigentlich eine Rückkehr zu den Wurzeln, denn gegründet wurde das Orchester 2002 im Theater Saint Michel von dessen damaligen Direktor, dem sardischen Komponisten und Pianisten Antonio Vilardi, dem Professor am Brüsseler Konservatorium Roger Bausier und der Hornistin Clare Roberts. Daran erinnerte in seiner launigen Begrüßung auch der Intendant des Orchesters, Hugues Van Renterghem: “Wir sind zurück zu Hause.”

Der Saal war für diese “Premiere” mit über 500 Besuchern gut gefüllt. Ein Publikum von (ganz) jung bis alt, begeisterungsfähig und – wie das Orchester – sehr international. Das Orchester ist ein von Freiwilligen getragenes Projekt, das vor allem jungen Absolventen der belgischen Musikkonservatorien aus aller Welt die Möglichkeit geben soll, sich mehrmals im Jahr zusammen vor einem größeren Publikum zu präsentieren. Geleitet wird es von dem belgisch-chilenischen Dirigenten David Navarro-Turres, auch er ein Absolvent des Brüsseler Konservatoriums.

Passender als mit Edward Elgars “Liebesgruß” kann man ein Konzert zum Valentinstag kaum einleiten. Mit diesem 1888 ursprünglich für Violine und Klavier komponierten kleinen Stück warb Elgar um die Schriftstellerin Caroline Alice Roberts, die ein Jahr später seine Ehefrau wurde. Der deutsche Titel war mit Bedacht gewählt, da Roberts (auch) fließend Deutsch sprach. Aber erst unter dem französischen Namen “Salut d’Amour” wurde Stück weltweit bekannt. Und die innige Melodie ist genauso bewegend, wenn sie nicht nur von zwei Solisten, sondern von einem großen Orchester gespielt wird.

Robert Schumanns Cello-Konzert ist nicht so bekannt wie sein Klavierkonzert oder das Cellokonzert von Anton Dvorak, aber als typisches Werk der deutschen Romantik ein dankbares Werk für jeden Solisten. Der junge katalanische Cellist Roger Morelló Ros, der seine Ausbildung in Spanien und in Köln erhalten hat, bezauberte das Publikum durch sein ausdrucksstarkes und virtuoses Spiel – und kam nach anhaltendem Beifall nicht um eine Zugabe herum: ein Solostück aus seiner katalanischen Heimat (Suite für Violoncello von Gaspar Cassadó).

Den Abschluss nach der Pause, während derer die kleine Bar im Foyer regelrecht umlagert war, bildete Beethovens fünfte Sinfonie. Zu dieser zweifellos temparamentvollsten unter seinen Orchesterwerken mit ihrem markanten Auftakt muss man eigentlich nichts sagen. Das begeisternde Spiel des Orchesters riss den Saal mit – so sehr, dass einige schon nach dem ersten Satz applaudierten, was der Dirigent mit diskreten, aber nachdrücklichen Gesten zu unterdrücken versuchte. Am Ende war dann der Beifall lang anhaltend und verdient. Eine Zugabe gab es trotzdem nicht, denn wie es heißt, kann es nach Beethovens Fünfter keine Steigerung mehr geben.

Vier weitere Konzerte bis Ende 2025 sind schon programmiert: im April, Juni, September und Oktober – alle im “NOVUM”. Als nächstes steht am 5. April das Requiem von Guiseppe Verdi auf dem Programm.

Version française

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© NOVUM - Archives du Collège Saint Michel

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