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Im Geist der europäischen und deutsch-französischen Aussöhnung

Eine eindrucksvolle Gedenkfeier auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Lommel

Von Michael Stabenow

Die Witterung passt zur Jahreszeit und auch zu dem Anlass, aus dem an diesem Sonntag mehrere hundert Menschen auf dem deutschen Soldatenfriedhof im flämischen Lommel versammelt sind. Der Himmel ist grau verhangen. Es ist deutlich kühler als in den vergangenen Tagen. Und immer wieder schweben von den Zweigen der bereits ziemlich gelichteten Eichen einzelne welke Blätter auf die Sitzreihen der Gäste hernieder.

Ihre Träume sind nie Wirklichkeit geworden“

Hinter dem türkisblauen Rednerpult mit fünf weißen Kreuzen – dem Symbol des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge – erstrecken sich endlose Reihen von Gräbern deutscher Soldaten. Die meisten, aber bei weitem nicht alle Kreuze sind mit den Namen der dort bestatteten, oft sehr jung aus dem Leben gerissenen jungen Männer versehen. „Ihre Träume sind nie Wirklichkeit geworden“, sagt Peter Vanderkrieken, der stellvertretende Bürgermeister von Lommel.

Südlich der nahe der Grenze zu den Niederlanden in der Provinz Limburg gelegenen Stadt befinden sich die sterblichen Überreste von mehr als 39.000 deutschen Soldaten – mit Ausnahme von 640 Opfern des Ersten Weltkriegs allesamt im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. „Das sind mehr als Lommel Einwohner hat“, gibt Vanderkrieken, ein jovial wirkender Mittfünfziger mit grauem Vollbart, zu bedenken. Er erinnert daran, dass es derzeit in der Welt gleichzeitig 59 bewaffnete Konflikte gebe – so viele wie noch nie seit 1945. Und dann schiebt Vanderkrieken die Frage nach: „Warum haben wir noch immer nicht aus dieser schrecklichen Geschichte gelernt?“

Lehren aus den Schrecken der Kriege

Die Menschen, die sich an diesem Tag zur alljährlich stattfindenden Gedenkfeier in Lommel versammelt haben, scheinen durchaus zu der Spezies gehören, die Lehren aus den Greueltaten zieht. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stehen und sitzen Deutsche, Belgier und zahlreiche Angehörige anderer Nationalitäten einträchtig auf dem größten deutschen Soldatenfriedhof in Westeuropa nebeneinander. Es ist der Sonntag, an dem im gut 60 Kilometer östlich beginnenden Deutschland traditionell der Volkstrauertag im Gedenken an die Opfer von Krieg, Gewalt und Terrorismus begangen wird.

Der Ablauf der Feierstunde folgt in Lommel auch 2025 zunächst weitgehend dem üblichen Muster. Für den musikalischen Rahmen sorgen neben einer belgischen Militärkapelle in diesem Jahr Sänger der Internationalen Deutschen Schule Brüssel (iDSB) und des ebenfalls in der belgischen Hauptstadt ansässigen Posaunenchors der protestantischen Emmaus-Gemeinde. Aus Deutschland sind Abordnungen des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 im rheinland-pfälzischen Büchel und des Logistikbataillons im brandenburgischen Beelitz nach Lommel gekommen.

Aus Brüssel sind Pfarrerin Katja Baumann und mehrere Mitglieder der deutschsprachigen evangelischen Emmaus-Gemeinde sowie Diakon Michael Kuhn und weitere Mitglieder der katholischen St.Paulus-Gemeinde zur Feierstunde angereist. Während Baumann unter Bezug auf biblische Worte des Propheten Jesaja die Frage „Was ist wahrer Frieden?“ unter anderem mit „zugewandtem Miteinander“ beantwortet, trägt Diakon Kuhn eine Fürbitte vor.

Hier in Lommel ist der Blick in die Zukunft gerichtet.“

Tore May, Volksbund-Vorstandsmitglied, hat nach den Befürchtungen der vergangenen Monate vor einschneidenden Kürzungen der deutschen Mittel für Lommel eine gute Nachricht mitgebracht. Dank weiterer Mittel des deutschen Außenministeriums für die Auslandsarbeit gebe es positive Perspektiven auch in Belgien. „Hier in Lommel ist der Blick in die Zukunft gerichtet: die Erneuerung der Begegnungsstätte wird planmäßig im kommenden Jahr beginnen“, sagt May.

Hochsymbolischer deutsch-französischer Auftritt

Dann folgt der wohl herausragende Teil der Veranstaltung: Der französische Botschafter in Belgien, Xavier Lapeyre de Cabanes, stellt heraus, wie unentbehrlich im Zeitalter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Aussöhnung und Miteinander der europäischen Nachbarn seien. Die am Ende des Zweiten Weltkriegs gewonnene und acht Jahrzehnte später gültige Erkenntnis lautet für den französischen Diplomaten: „Wir waren uns einig in dem Wunsch, dass Europa nicht länger ein Kontinent gewaltsamer Auseinandersetzungen sein sollte, sondern ein Ort der Befriedung der Beziehungen zwischen unseren Völkern und Staaten.“

Zweimal streicht Lapeyre de Cabanes heraus, dass heute der Besuch von Kriegsgräbern von Soldaten verschiedener Nationen „über die patriotische Dankbarkeit“ hinausgehe. „Es spielt also keine Rolle mehr, ob die Sache gut oder schlecht war, ob die Armee besiegt wurde oder siegreich war. Wir ehren nicht mehr das Opfer für das Vaterland. Es gilt nicht mehr das ´Vae victis` der Römer, sondern wir beklagen die Ermordung all dieser Männer durch den Krieg“, führt der französische Botschafter aus.

Erinnerung an Mitterrand und Kohl in Verdun

Gemeinsam legt er anschließend mit seinem deutschen Amtskollegen Martin Kotthaus einen Kranz in der Gedenkstätte nieder. Nun stehen die diplomatischen Vertreter der lange verfeindeten Nachbarländer – hochsymbolisch – nebeneinander. Das weckt bei älteren Zeitgenossen Erinnerungen an jenen Tag, als im September 1984 der damalige französische Präsident François Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sieben Jahrzehnte nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs versöhnlich auf dem Schlachtfeld in Verdun Hand in Hand standen.

Das Geschenk des Friedens muss unentwegt abgesichert werden.“

Kotthaus, schon seit 2018 deutscher Botschafter in Belgien und regelmäßiger Lommel-Besucher, schlägt ebenfalls den Bogen vom Ende des Zweiten Weltkriegs in die Gegenwart. Dass es seit 1945 im Westen des Alten Kontinents keinen Krieg mehr gegeben habe, sei „unfassbarer Segen“. Aber dieser müsse unentwegt in Europa abgesichert werden.

Dieses Geschenk des Friedens erfordert, dass man auch mal nachgibt und nicht nur darauf schaut, was das eigene nationale Interesse, sondern was das Interesse Europas ist“, sagt Kotthaus. Veranstaltungen wie die in Lommel trügen auch dazu bei, den Frieden zu fördern und Gegensätze einvernehmlich zu überwinden. Sie seien „ein Teil des Versuches, sicherzustellen, dass wir die Fehler der Vergangenheit eben nicht wiederholen“, erläutert Kotthaus. Oder, um es mit den auch im November 2025 hochaktuellen Worten des früheren luxemburgischen Premierministers und EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker im Jahr 2005 auszudrücken: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“

 

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