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Von Michael Stabenow
Seit 1975 bin ich mehr oder weniger stolzer Besitzer eines belgischen Führerscheins, damals als weißer, später als rosafarbener Lappen und seit einiger Zeit im handlichen Scheckkartenformat erhältlich. Fünf Jahrzehnte sind vergangen, bis ich kurz nach Neujahr bei einer Alkoholkontrolle in Wavre erstmals blasen musste.
Geht es nach den Vorsätzen der neuen Arizona-Koalition, dann wird mir – und nicht nur mir – dies in Zukunft häufiger widerfahren können. Zudem soll es im Königreich der Flamen und Wallonen künftig eine Art Punkteführerschein geben – nur dass er, wir sind schließlich in Belgien, nicht so genannt werden soll.
Nur eine Handvoll der 27 EU-Länder, darunter Schweden und Finnland, hat bisher den Punkteführerschein noch nicht eingeführt. In Belgien sieht das sogenannte Gesetz über die Straßenverkehrspolizei zwar schon seit 1990 eine entsprechende Regelung vor. Aus der guten Absicht war jedoch bisher trotz einer Reihe von Anläufen nichts geworden (Punkte-Führerschein in Belgien: Ein neuer Anlauf? – Belgieninfo).
Vor allem im Süden des Landes gibt es Vorbehalte gegen den Punkteführerschein. Gegenüber der Zeitung „La Libre Belgique“ hatte David Clarinval, für die französischsprachigen Liberalen (MR) stellvertretender Premierminister in der zwischen Oktober 2020 und Anfang Februar regierenden Vivaldi-Koalition, vor einigen Jahren festgestellt, mit seiner Partei sei das „nicht zu machen“.
Gemacht werden soll es nun doch – und zwar mit MR-Mann Clarinval, der auch in der nunmehr amtierenden Arizona-Koalition einer der Vizeregierungschefs ist, aber im Sinne des legendären „compromis à la belge“ ohne die Bezeichnung „Punkteführerschein“. Zumindest in der gut 200 Seiten langen Koalitionsvereinbarung sucht man den in Brüssel und Wallonien vielfach als Reizwort empfundenen Begriff vergeblich.
Unabhängig von der Bezeichnung ist es das erklärte Ziel, die Zahl der Verkehrstoten von zuletzt 483 im Jahr 2023 (VIAS | 7% minder verkeersdoden in 2023 in ons land) auf 320 im Jahr 2030 zu verringern. Welche Fortschritte auch in Belgien durch strengere Sicherheitsauflagen, bessere Bauweise der Fahrzeuge sowie strengere Verkehrsvorschriften und –kontrollen in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht wurden, zeigt ein Blick auf die offizielle Statistik. Anfang der siebziger Jahre kamen auf den Straßen des Landes mehr als 3000 und im Jahr 2000 immer noch rund 1500 Menschen ums Leben.
Wie in den meisten anderen Ländern soll es auch in Belgien darum gehen, potentielle „Wiederholungstäter“ im Straßenverkehr zu einer verantwortungsvollen Fahrweise zu bringen. Der Vergangenheit angehören soll die Belgien die Praxis, eine unbegrenzte Anzahl von Verstößen im Straßenverkehr begehen und deren Folgen nur am Geldbeutel von Verkehrssündern spüren zu lassen. Wer am Lenkrad weiterhin Tempolimits, rote Ampeln oder Stoppschilder ignorieren und dafür auch empfindliche Bußen in Kauf nehmen will, muss künftig insbesondere darauf achten, dass er es innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nicht zu bunt treibt.
Wer gerne übermäßig aufs Gaspedal drückt und seinen Führerschein nicht loswerden möchte, sollte zum Beispiel folgendes wissen: Nicht mehr als achtmal innerhalb von drei Jahren darf er sich dabei ertappen lassen, in geschlossenem Ortschaften 20 Stundenkilometer zu schnell zu fahren. Auf Landstraßen außerorts liegt die Grenze bei 30, auf Autobahnen bei 40 Stundenkilometern – anderenfalls endet die Fahrt der Raser automatisch vor einen Verkehrsrichter, der über die Folgen entscheidet.
Wer sich einen besonders schweren Verstoß gegen die Verkehrsordnung wie die Missachtung einer roten Ampel hat zuschulden kommen lassen, muss den Gang zum Richter antreten, wenn er bereits fünfmal als Temposünder in die Maschen der Verkehrspolizei geraten ist. Ein Gerichtsverfahren wird automatisch auch dann fällig, wenn man innerhalb von drei Jahren zweimal dabei erwischt wird, zu tief ins Glas geschaut zu haben und nachweislich bei einer Kontrolle einen Alkoholgehalt von mindestens 0,8 Promille im Blut aufweist. Für die Nutzung von Handys im Verkehr, ein zuletzt schon konsequenter geahndetes Ärgernis, soll es künftig nach drei Verstößen vor Gericht gehen.
Wie das neue System in Belgien, wenn es dann tatsächlich verwirklicht werden sollte, im Einzelnen aussehen wird, dürfte sich erst mit der Zeit zeigen. In jedem Fall soll es mehr Geschwindigkeits-, Alkohol- und Rauschgiftkontrollen auf Belgiens Straßen geben. Schon in jüngster Zeit geht die Polizei deutlich konsequenter gegen Autofahrer vor, die im Straßenverkehr den Griff zum Handy nicht lassen wollen.
Besonders besorgniserregend ist zudem, dass nach Angaben des Instituts VIAS 35 Prozent der Verkehrstoten – mehr als ein Drittel – auf Radfahrer und Fußgänger entfallen sind. In Flandern, wo traditionell mehr Menschen in die Pedalen treten als im (meist hügeligeren) Südteil des Landes, kamen 2023 insgesamt 84 und damit 11 Radfahrer mehr als im Jahr zuvor ums Leben.
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