Von Reinhard Boest
Das Palais Stoclet an der Avenue Tervuren in der Brüsseler Gemeinde Woluwé-Saint-Pierre ist seit über hundert Jahren ein Blickfang für Einwohner und Besucher der Stadt. Und das, obwohl das Gebäude der Straße seine Rückseite zuwendet: es heißt, dass sein Bauherr damit seine Abneigung gegen König Leopold ausdrücken wollte, der die Avenue als Verbindung zu seinem Schloss in Tervuren anlegen ließ.
Viele würden wohl gern einmal einen Blick in das Gebäude oder den Garten werfen. Aber obwohl das Palais ein klassifiziertes Denkmal und schon seit 2002 nicht mehr bewohnt ist, ist es für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Alle Bemühungen der für den Denkmalschutz zuständigen Region Brüssel-Hauptstadt, daran etwas zu ändern, sind bisher am Widerstand der Eigentümer – der Erben des Erbauers – gescheitert. Jetzt gibt es eine kleine Hoffnung, wie das niederländischsprachige Stadtmagazin “BRUZZ” zu berichten weiß.
Das Palais ließ sich der belgische Eisenbahn-Unternehmer und Bankier Adolphe Stoclet (1871 – 1949) zwischen 1906 und 1911 vom Wiener Architekten Josef Hoffmann erbauen, einem der berühmtesten Vertreter des Wiener Jugendstils (auch Wiener Secession genannt). Es entstand ein Gesamtkunstwerk, denn Hoffmann gestaltete nicht nur das Äußere und die Gartenanlage, sondern auch die gesamte Innenausstattung und engagierte dafür die bedeutendsten Künstler der Zeit, darunter Gustav Klimt und Fernand Khnopff. Margaretha Mazura hat für Belgieninfo im Jahr 2009 die spannende Geschichte dieses Meisterwerks der Architektur aufgeschrieben, zu dem Zeitpunkt, als es in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde (https://belgieninfo.net/der-pompoese-herr-stoclet-als-bauherr/).
Schon seit 1976 steht das Gebäude in Belgien unter Denkmalschutz, der aber zunächst nicht die Innenausstattung des Gesamtkunstwerks umfasste, also etwa Mobiliar, Lampen, Dekorationen, Kunstwerke oder das Geschirr. Deren Klassifizierung wurde erst 2013 durch eine Entscheidung des Kassationshofes – eines der obersten belgischen Gerichte – nach einem fast siebenjährigen Rechtsstreit wirksam, den die Stoclet-Erben gegen die Brüsseler Denkmalschutzbehörde angestrengt hatten.
In diesem Jahr ist der Streit in eine neue Runde gegangen. Brüssel, das sich selbst als Welthauptstadt des Jugendstils sieht, feiert 2023 das “Jahr des Jugendstils” – 130 Jahre nach der Fertigstellung des “Hotel Tassel” durch Victor Horta, das als architektonisches Gründungswerk dieser Kunstrichtung in Brüssel gilt. Zu dem umfangreichen Programm gehört – neben einer Horta-Ausstellung im BOZAR – auch eine Ausstellung zu Ehren von Josef Hoffmann im Königlichen Kunst- und Geschichtsmuseum im Cinquantenaire, die in Zusammenarbeit mit dem Wiener Museum für Angewandte Kunst gestaltet wurde.
In dieser Ausstellung sollte natürlich eines von Hoffmanns Hauptwerken nicht fehlen: das Palais Stoclet. Es steht wohl wie kaum ein anderes für das Motto der Ausstellung: “Unter dem Charme der Schönheit”. Dafür hatten die Brüsseler Denkmalschutzbehörde und die Freie Universität Brüssel (ULB) eine 3D-Simulation des Palais erstellt. Vor der Eröffnung der Ausstellung Anfang Oktober beantragten die Stoclet-Erben ein gerichtliches Verbot, diese in der Ausstellung zu zeigen. Sie sehen selbst in einem digitalen Rundgang eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte. Kurz vor dem vom Gericht anberaumten Verhandlungstermin konnte jetzt die für den Denkmalschutz zuständige Brüsseler Staatssekretärin Ans Persoons eine Einigung mit den Klägern verkünden. Ab dem 1. Dezember und bis zum Ende der Ausstellung am 14. April 2024 können Besucher der Ausstelllung also ein Modell des Palais Stoclet bewundern.
Persoons begrüßte die Einigung, sieht sie aber nur als einen weiteren Schritt in dem Bemühen, das Palais als “kollektives Kulturerbe” zumindest einige Male im Jahr für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Das lehnen die Eigentümer weiter ab, die der Region sogar eine “kriegerische Rhetorik” vorwerfen. Die Fronten bleiben verhärtet, und so wird das Palais Stoclet wohl erst einmal weiter ein Mythos bleiben…
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