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Bonner Kammerchor lässt Konzertbesucher in „La Cambre“ ins Mittelalter eintauchen

NRW-Vertretung lädt zum Herbstfestival mit Gloria Polyphonia Belgicae ein

Von Thomas A. Friedrich und Heide Newson (Text u. Fotos)

Auf dem Weg in die Abtei laufen wir die mächtigen Treppen hinab durch die im 18. Jahrhundert nach französischem Vorbild angelegten Terrassengärten. Auf dem regennassen Pflaster im Hof knirschen die Kiesel unter den Schuhsohlen. Schnellen Schrittes erreichen wir das Seitenportal. Als gerade der NRW-Aufsteller vor dem Sturmtief „Joshua“ in Sicherheit gebracht wird. Mehr als 300 Besucher des Abends haben sich bereits vom Empfangsteam in alphabetischer Reihenfolge registrieren lassen.

Als wir das imposante Kirchenschiff mit einer Tiefe von gut 50 Meter und 11 Meter Breite unter dem scheinbar himmelhohen Holzdach betreten, finden wir nur noch in der letzten Reihe Platz. Doch im Laufe des Konzertabends wird uns bewusst, dass wir vom Raum-Klang-Erlebnis keinen besseren Sitz hätten finden können.

Kaum haben wir die Beine ausgestreckt, brandet Applaus auf, als die 30 Choristen durch den Mittelgang in Prozessions-Reihen in Richtung Apsis schreiten.

Rainer Steffens: „Eine ganz besondere Ehre an außergewöhnlichem Ort“

Der Leiter der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen, Rainer  Steffens, erwartet dort bereits zur Begrüßung. „Es ist eine ganz besondere Ehre, Sie an diesem ungewöhnlichen Ort mit einem ungewöhnlichen Konzert begrüßen zu dürfen. Wir setzen damit die Tradition der Landesvertretung in Brüssel mit einem vorweihnachtlichen Abend fort mit dem Abschlusskonzert der Konzertreihe „Duc in altum“ mit dem Bonner Kammerchor unter Leitung von Georg Hage“, sagt Steffens.

Einen besonderen Dank richtet er an Margarethe Ray vom Verein Amis de La Cambre und an das aktive Chor-Mitglied in Brüssel, Petra Manderscheid, die dieses belgisch – nordrhein-westfälische Kulturprojekt entscheidend befördert haben. Das Konzert bildet den Abschluss einer Belgien-Tournee des Ensembles, und die Abtei ist auch wegen ihres ausgezeichneten Rufs für die Ausrichtung hochwertiger Kulturveranstaltungen ausgewählt worden.

Georg Hage: „Franco-flämische Vokal-Polyphonie tritt den Siegeszug um die Welt an“

Wir hören heute Abend Werke aus der Zeit der Renaissance der franco-flämischen Vokal-Polyphonie. Diese Musik ist von hier aus in ganz Europa und der Welt eingegangen und hat alle Komponisten und Komponistinnen der folgenden Epochen geprägt“, sagt der im westfälischen Halle geborene 46jährige Kirchenmusiker und Hochschullehrer Georg Hage zur Einführung in den Abend.

Er ist Kantor an der Aachener evangelischen Anna-Kirche, künstlerischer Leiter der Aachener Bachtage und Dirigent zahlreicher Ensembles der Metropolregion Rheinland wie des Aachener Bachvereins, des Bonner Kammerchors und der Kölner Kantorei. Als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes absolvierte er in Freiburg, Trossingen und Wien die Studiengänge Kirchenmusik, Musik für das Lehramt an Gymnasien, Orgel, Lied- und Konzertgesang sowie Dirigieren.

Chorabend spannt Bogen kompositorischen Schaffens von der Renaissance bis zur Moderne

Als Dirigent des Abends bringt er mit seinem Bonner Kammerchor Werke der belgischen Komponisten Josquin Desprez (1450-1521), Orlando di Lasso (1532-1594), Jacobus Vaet (1529-1567) sowie des in der Neuzeit in Hemiksem an der Schelde geborenen Jules Van Nuffel (1883-1953) und dem Lütticher Komponisten César Franck (1822-1890) zu Gehör.

Aus dem Repertoire der Gegenwart trägt der renommierte international berühmte Klangkörper aus Bonn mit seinem vierstimmigen Chor mit Sopran, Alt, Tenor und Bässen als gemischter Chor die wenig bekannte Komposition „Magnificat“ der beiden aus in Mechelen stammenden Komponisten Vic Nees (1936-2013) und Raymond Schroyens (1933-2021) vor.

Drei deutsche Komponisten, die Musikgeschichte schrieben

Natürlich dürfen an diesem Abend in La Cambre auch Werke deutscher Komponisten nicht fehlen. So schlagen die Herzen des kulturbeflissenen Publikums beim Liedvortrag „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ (MWV B45) von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) höher, dem Hamburger Ausnahme-Komponisten, Pianisten und Organisten und einem der bedeutendsten Musiker der Romantik. Er setzte als Dirigent Maßstäbe, die das Dirigieren bis heute prägen. So war der jüdischstämmige Mendelssohn einer der ersten, die mit dem Taktstock dirigierten und systematisch Proben absolvierten.

Unser lieben Frauen Traum” (huit chants sacrés op.138) des deutschen Komponisten, Organisten und Dirigenten Max Reger (1873-1916) geht auf ein geistliches Volkslied zurück, das vor 1602 entstand. Es handelt von Unserer Lieben Frau Maria, der Mutter Jesu und der Geburt ihres Sohnes. Es wird traditionell meist als Adventslied gesungen und spannt passend den Bogen zur Einstimmung auf die bevorstehende Weihnachtszeit.

Bevor Rainer Steffens die Gäste zum „verre d`amitié“ einlädt und in die stürmische Herbstnacht verabschiedet, darf an diesem Abend ein Komponist natürlich nicht fehlen. Mit der „Hymne an die Nacht“ (Sonate für Klavier Nr. 23 op. 57), arrangiert für vierstimmige Chöre durch Ignaz Heim, zollt der Bonner Kammerchor dem berühmtesten Sohn seiner Stadt seinen Tribut: Ludwig van Beethoven.

Kunstverständiges Publikum trägt zum Erfolg des Abends bei

Während des gesamten mehr als einstündigem Chorprogramms kann man in der Abteikirche eine Stecknadel fallen hören. Kein Hüsteln, Räuspern oder Stühlerücken stört das Publikum während der elf konzertanen Darbietungen. Klar, dass sich das Publikum nach frenetischem Beifall nicht ohne eine Zugabe zufriedengibt. Ebenso wohltuend, dass das kunstverständige Publikum kein einziges Mal zwischen den einzelnen Gesangsdarbietungen die Hände zum unterbrechenden Applaus ansetzt.

Gesang und bildende Kunst unter einem Kirchenschiff

In den weitläufigen Wandelgängen entlang des Kirchenschiffs und der historischen Zisterzienserabtei aus dem 13. Jahrhundert können die Besucher des Konzertabends mit einem Glas in der Hand auch die Ausstellungs-Exponate der Künstlerinnen Stella Solar und Caroline Chariot-Dayez bewundern. Denn „La Cambre” gehört nicht nur zu den kulturhistorisch bedeutendsten Kloster im Großraum Brüssel, sondern steht auch für das herausragende Wirken der Kunsthochschule in Brüssel, die ebenfalls in den Gebäuden der ehemaligen Abtei untergebracht ist. 

Belgischer-deutscher Abend mit besonderer Note

Rainer Steffens zeigt sich im Gespräch nach dem Konzert besonders erfreut, dass es mit dieser Veranstaltung in La Cambre gelungen sei, eine große Anzahl von belgischen Besucherinnen und Besuchern zu gewinnen. „Unsere belgischen Freunde haben diesen Abend zu einem wahrhaft belgisch-deutschen Kulturevent gemacht”, erläutert der Leiter der NRW-Vertretung.

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