Aktuell, Wirtschaft

Belgien und NRW wollen bei Wasserstoff noch enger zusammenarbeiten

Von Reinhard Boest

Die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Brüssel konnte am vergangenen Donnerstag mit einem belgisch-deutschen Event aufwarten. Weil der eigene Saal wegen Bauarbeiten nicht nutzbar ist, war man in den renovierten früheren Saal des Goethe-Instituts umgezogen, der heute Teil der Vertretung Baden-Württembergs ist (Grün-Schwarz hilft Schwarz-Grün, könnte man angesichts der poltischen Konstellationen in den beiden Ländern sagen).

Wie in der vergangenen Woche für die Region Brüssel-Hauptstadt ging es auch hier um die grüne Energie-Transformation, allerdings für die Industrie, im europäischen Rahmen und hier vor allem um die Nutzung von Wasserstoff. Damit die europäische Industrie auch in Zukunft konkurrenzfähig ist, braucht man entsprechende Infrastrukturen und Kooperationen in Europa. Der Zusammenarbeit zwischen Belgien und Deutschland kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Das wurde bereits bei einem Treffen zwischen Premierminister Alexander De Croo und Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Februar in Zeebrugge deutlich (siehe “Belgien und Deutschland im energiepolitischen Schulterschluss” – Belgieninfo). Belgien ist heute durch die Lieferungen von Flüssiggas über den Terminal Zeebrugge der drittgrößte Gaslieferant Deutschlands und hat dazu beigetragen, dass dort und auch in anderen europäischen Ländern der Ausfall des russischen Erdgases nach dem Überfall auf die Ukraine kompensiert werden konnte.

Schon in Zeebrugge hatte De Croo die künftige Nutzung der bestehenden Gaspipelines für den Transport von (vorzugsweise) grünem Wasserstoff als eine der zentralen Zielsetzungen der belgischen Energiepolitik der nächsten Jahre bezeichnet. Daran knüpfte die Belgien/NRW-Veranstaltung an und stellte den Zusammenhang mit dem – derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindlichen – europäischen Regelungsrahmen her.

Mona Neubaur, NRW-Ministerin für Wirtschaft, Energie und Klima, sowie Tinne Van der Straaten, belgische Energieministerin, beide von den Grünen, unterzeichneten zu Beginn der Veranstaltung feierlich eine Vereinbarung, mit der die Zusammenarbeit zwischen beiden Partnern in diesem Bereich konkret vorangebracht werden soll. Van der Straaten konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass dies zwar zwischen den “Chefs” (De Croo und Scholz) in den vergangenen Wochen schon zweimal ein Thema war, “but it needs a woman to get it done”.

Beide Ministerinnen unterstrichen in ihren Eingangsstatements, wie wichtig und dringend es sei, zur Einhaltung der vereinbarten Klimaziele den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren. Demokratische Staaten müssten beweisen, dass sie in der Lage seien, die notwendigen Entscheidungen zu treffen , sich dabei an die eigenen Werte zu halten und die Menschen mitzunehmen. Fehler der Vergangenheit, vor allem der nicht rechtzeitige Ausbau der erneuerbaren Energien und die zu starke Abhängigkeit von Russland, rächten sich jetzt. Die große Herausforderung für NRW sah Neubaur darin, trotz der Energiewende die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, damit das Land einer der größten Industriestandorte in Europa bleibt. Dazu sei die Nutzung von Wasserstoff elementar, zusammen mit Partnern und dabei von allem Belgien. Über die Transformation herrsche zwar in der Koalition in NRW Konsens, aber es fehle an vielem, was für die Umsetzung notwendig sei, nicht zuletzt an Fachkräften in Industrie und Handwerk, aber auch in den Verwaltungen für rasche Genehmigungsverfahren. Den Unternehmen falle es erkennbar schwer, gerade jetzt die notwendigen Investitionsentscheidungen zu treffen. Dazu trage vor allem die Volatilität der Energiepreise bei, aber auch anhaltende Versuche, die Abkehr von fossiler Energie doch wieder in Frage zu stellen. Ihr Ziel sei es, mit “grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben”.

Van der Straaten betonte die belgischen Anstrengungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Offshore-Windenergie (“Powerhouse Nordsee”, siehe “Die Nordsee soll zum „grünen Kraftwerk Europas“ werden” – Belgieninfo). Den Strom an Land zu bringen, sei zwar schwierig (auch durch Widerstände in Flandern gegen Stromleitungen – was sie aber nicht erwähnte), aber man werde sie lösen (müssen). Auch bei der Produktion und dem Transport von Wasserstoff sei Belgien auf gutem Weg, nicht zuletzt durch den Import von “grünem” Wasserstoff, der mit belgischer Hilfe in Oman produziert werde (“export of Oman’s sun”).

Das anschließende Podiumsgespräch, das von Belgieninfo-Mitarbeiterin Sandra Parthie moderiert wurde, gab Gelegenheit, das Thema auch aus der Sicht der Europäischen Kommission, des Stahlunternehmens Thyssen und der norwegischen Bellona Stiftung, die sich für die Dekarbonisierung der Industrie einsetzt, zu beleuchten.

Generaldirektorin Kerstin Jorna wies darauf hin, dass gerade EU-weit 24 Millionen Unternehmen Entscheidungen darüber treffen müssten, was ihr künftiges Geschäftsmodell sein solle. Dabei komme der Energie eine zentrale Rolle zu. Die Anpassung des EU-Regelungsrahmens sei in Arbeit, um die Rolle von Wasserstoff als Energieträger zu fördern. Dabei gehe es um Erzeugung und Transport, aber auch um die notwendigen Fachkenntnisse, die Finanzierung und die Entwicklung eines funktionierenden Marktes. Im Gespräch wurde deutlich, dass es vor allem bei der finanziellen Förderung und den Genehmigungsverfahren Hindernisse gibt, weil die Abstimmung zwischen den Ebenen (EU, Bund, Land, Kommunen) zu wünschen übrig lässt. Die angestrebte “Autobahn zu Genehmigung und Finanzierung” ist wohl bisher noch eher ein Feldweg.

Für Bernhard Osburg, Vorstandsvorsitzender von ThyssenKrupp Stahl Europa, ist der Umstieg auf Wasserstoff eine “disruptive Entwicklung”; es gehe um einen grundsätzlichen Wandel des Geschäftsmodells, für den man einen weiten Weg brauche. Angesichts des unsicheren Rahmens (Preise, Mengen, Märkte) sei eine Investition von 2,5 Milliarden Euro in einen mit Wasserstoff betriebenen Hochofen ein großes Wagnis. So sei der Bedarf an Wasserstoff für diesen Hochofen (einer von fünf) mit 140.000 Tonnen so groß wie dzerzeit die gesamte europäische Produktion. Mit der Nutzung von Wasserstoff koppele man sich von globalen Energiemärkten ab, wie es sie für Kohle und Gas gebe. Osburg forderte nachdrücklich Unterstützung beim Strompreis, jedenfalls zur Überbrückung, bevor man mit Stahl, der mit Wasserstoff hergestellt wird, auf dem Weltmarkt wieder konkurrenzfähig sei.

Auch Jonas Helseth, Leiter der Brüsseler Vertretung des Bellona-Stiftung, warnte vor zu großem Optimismus. Derzeit beobachte er einen Wasserstoff-Hype. Die Produktion sei bei weitem nicht so hoch wie der projektierte Bedarf. Es sei daher zunächst einmal wichtig, Prioritäten für den Einsatz von Wasserstoff zu definieren. Zur Dekarbonisierung der Industrie brauche man außerdem die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS), und zwar schnell.

 

Abschließend formulierten die Teilnehmer ihre Erwartungen an die belgische Präsidentschaft im Rat der EU, die im ersten Halbjahr 2024 ansteht – wenn auch die Wahlen in Belgien und zum Europäischen Parlament stattfinden. Van der Straaten und Neubaur setzen vor allem auf weitere Fortschritte bei den erneuerbaren Energien, Jorna auf das Thema “Wettbewerbsfähigkeit” und Osburg – neben “renewables: all in” – auf Maßnahmen zur Begrenzung des Strompreises für energieintensive Industrien.

Im Anschluss hatten die zahlreichen Teilnehmer Gelegenheit, bei Spezialitäten aus Belgien und NRW das Thema weiter zu diskutieren.

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