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Was wird aus dem Brüsseler Audi-Werk?

Audi-Werk Brüssel, Belgium / Foto: © AUDI AG

Von Thomas A. Friedrich

Steht das Brüsseler Autowerk vor dem Aus oder besteht Hoffnung auf eine Umstrukturierung? In der kommenden Woche könnte eine Vorentscheidung fallen. Dann treffen sich Betriebsleitung und Arbeitnehmervertreter. Entschieden ist bereits, die Produktion des Audi Q8 e-tron nach Mexico zu verlegen.

Für das Werk im Brüsseler Stadtteil Forest hat die Audi-Unternehmensleitung nach übereinstimmenden Angaben von Vertretern der christlichen Gewerkschaft CSC und der sozialistischen Gewerkschaft FGTB im Juli das endgültige Aus auf den Weg gebracht. Es gebe ein Szenario, demzufolge die Mitarbeiterzahl von derzeit noch rund 3000 bis Mitte 2025 auf etwa 300 schrumpfen soll.

Die kalte Dusche kam bereits im Februar dieses Jahres. Da gab Audi bekannt, dass der Nachfolger des Modells Q8 e-tron nicht wie geplant in Brüssel, sondern in Mexiko produziert werden solle. Der Q8 e-tron ist zurzeit das einzige Modell, das in Brüssel gebaut wird. Ursprünglich sollte das bis Ende 2026 so weitergehen. „Jetzt ist die Rede davon, schon ein Jahr früher diese Produktion einzustellen“, zitierte die belgische Nachrichtenagentur Belga Gewerkschafter aus dem Audi-Werk in Forest.

Wird das Ende der Ära des Automobilbaues in Belgien eingeläutet?

Im Brüsseler Autoworld-Museum findet sich das erste auf belgischem Boden produzierte Auto. Es ist das Luxusautomobil des Herstellers Minerva, das um das Jahr 1900 erstmals gebaut wurde. Bald könnte der Audi Q8 e-tron, der derzeit in Brüssel gefertigt wird, ebenso im Museum landen. Denn das Brüsseler Werk, wo das Premium-Elektroauto des VW-Konzerns vom Band rollt, ist mit Abwicklungsplänen konfrontiert. Der Q8 e-tron soll künftig in Mexiko zusammengeschraubt werden.

Ein radikaler Personalabbau schockt die Belegschaft in Forest

Nach Gewerkschaftsangaben gibt es bereits konkrete Pläne für die Abwicklung des Standorts Brüssel. Demnach soll die Produktion in drei Phasen heruntergefahren werden. Bis Ende Oktober dieses Jahres sollen bereits gut 1500 Mitarbeitende im Brüsseler Audi-Werk entlassen werden. Eine zweite Entlassungswelle würde ab Mai kommenden Jahres weitere gut 1100 Mitarbeiter betreffen. Dann blieben nur noch etwa 300 Arbeiter und Angestellte übrig.

Audi spricht offiziell von einer „Umstrukturierung des Standorts“

Sollten auch die verbliebenen Mitarbeiter mangels neuer Aufträge keine Beschäftigung haben, würden sie bis Ende 2025 ebenfalls entlassen. Darüber hinaus wären weitere 1000 Arbeitsplätze bei belgischen Zulieferbetrieben durch die geplante Umstrukturierung gefährdet. Audi kommuniziert angesichts steigender Ängste der Belegschaft derweil, dass „noch keine finale Entscheidung gefallen“ sei.

Nach einer außerordentlichen Betriebsratssitzung sickerten erste solide Informationen über die Vorgehensweise des Ingolstädter Autobauers durch. Demnach stellt ein drastischer Abwicklungsplan eine durchaus realistische Option dar.

In einer Audi Ad-hoc-Pressemitteilung benannte die Volkswagen-Tochter am 10. Juli eine Schließung des Brüsseler Audi-Werks als eine mögliche Option: „Der Aufsichtsrat der Audi AG beschließt die Unterstützung eines Informations- und Konsultationsprozesses am Standort Brüssel. In diesem Prozess erarbeitet der Vorstand von Audi Brussels gemeinsam mit den zuständigen Sozialpartnern Lösungen für eine Umstrukturierung des Standorts. Am Ende dieses Prozesses kann unter anderem auch die Einstellung des Betriebs erfolgen.“

Ronny Liedts (CSC): „Wir hätten nie gedacht, dass es so heftig kommen würde”

Im März erfolgte bereits ein erster Personalschnitt. Audi hatte die Verträge von 371 Zeitarbeitern nicht mehr verlängert. Die Stammbelegschaft von rund 3000 Mitarbeitern wurde in den Folgewochen mehrfach gebeten, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Es gebe Ersatzteilprobleme und daher zu wenig Arbeit. Die Einberufung einer außerordentlichen Mitarbeiterversammlung erbrachte für die Belegschaft traurige Kunde. „Wir hätten nie gedacht, dass es so heftig kommen würde. Wir haben nicht erwartet, dass es sogar ein Szenario dafür gibt, das ganze Werk zu schließen. Aber das liegt tatsächlich jetzt auch auf dem Tisch“, fasste Ronny Liedts von der christlichen Gewerkschaft CSC gegenüber dem flämischen TV-Sender VRT die Botschaft zusammen.

Gewerkschafter halten Ende des Automobilbaus in Brüssel für gekommen

Noch verbreiten die Werkchefs vor Ort gegenüber Arbeitnehmervertretern Hoffnung. Die Werkleitung von Audi-Brüssel spricht davon, nach Alternativen suchen zu wollen, um Automobilbau-Aktivitäten weiterzuführen. Konkrete Signale dafür gibt es aber weder aus der Konzernzentrale in Wolfsburg noch aus der belgischen Politik. Maurizio Sabatino von der christlichen Gewerkschaft macht sich keine Illusionen mehr. „Zum heutigen Zeitpunkt glaube ich, dass es das Audi-Werk Brüssel nicht mehr geben wird“, sagte er dem französischsprachigen Fernsehsender RTBF. Ihre letzte Hoffnung, eine Werkschließung doch noch abwenden zu können, gründen die Gewerkschafter auf das 1997 von der belgischen Föderalregierung verabschiedete Standortsicherungsgesetz.

Alle Hoffnungen zur Standortrettung ruhen jetzt auf dem „Renault-Gesetz“

In den 1990er-Jahren hatte der französische Autohersteller Renault sein belgisches Montagewerk in Vilvoorde bei Brüssel von heute auf morgen geschlossen. Belegschaft und Politik erfuhren von der Werkschließung damals quasi aus den Medien. Danach formulierte die belgische Bundesregierung das sogenannte „Renault-Gesetz“, wonach ein in Belgien ansässiges Unternehmen, das im Zuge von Umstrukturierungen oder Werkschließungen Arbeitsplätze abbauen will, vor der Bekanntmachung der jeweiligen Schritte die Arbeitnehmerseite informieren muss. Einen nachhaltigen Schutz der bedrohten Arbeitsplätze gewährt der „Informations- und Konsultationsprozess“ freilich nicht.

Seit 1948 baute VW Autos in Brüssel

Die Geschichte der Automobilproduktion am Standort Brüssel begann mit Citroën. Bereits 1926 errichtete André Citroën in Stadtteil Forest seine erste außerfranzösische Autofabrik, die bis zum Zweiten Weltkrieg rund 30.000 Wagen herstellte. Trotz einer Bombardierung 1944 wurde der Betrieb nach dem Krieg schnell wieder aufgenommen. Citroën expandierte und erreichte 1972 eine Rekordproduktion von über 73.000 Wagen pro Jahr.

Bereits 1948 ließ auch Volkswagen in Brüssel Autos bauen. Die Nähe zum Südbahnhof und den Gleisanlagen begünstige die Ansiedlung. 1987 übernahm Volkswagen die ehemaligen Citroën-Gebäude. Hier wurde mit dem Bau von Audi-Modellen begonnen und seit 2020 werden der Audi Q8 e-tron und dessen Sportback-Version hier produziert.

Belgien blickt damit auf eine stolze Automobilgeschichte zurück. Einst verließen jährlich eine Million Fahrzeuge die Produktionsstätten im Königreich. Seit einigen Jahrzehnten sind die traditionsreichen Automobilbauer in Belgien jedoch auf dem Rückzug. Vor gut einem Vierteljahrhundert schockte die unerwartete Schließung des einst florierenden Renault-Werks in Vilvoorde das Land. Auf die Ankündigung der völlig unerwarteten Schließung am 27. Februar 1997 folgte ein monatelanger Arbeitskampf, der aber das Unvermeidbare nicht abwenden konnte: Mehr als 3.000 Menschen verloren ihren Job.

Renault, Opel, Ford und nun Audi?

Der Niedergang der Autoproduktion in Belgien nahm seinen Lauf. Im Dezember 2010 stellte Opel in Antwerpen die Produktion ein. Vier Jahre später, Ende 2014, machte Ford den Standort in Genk in der Provinz Limburg dicht – trotz des damals schon geltenden Renault-Gesetzes. Und jetzt steht das Audi-Aus in Forest zum Greifen nah. Käme es dazu, bliebe in Belgien nur noch das Volvo-Werk in Gent, wo zuletzt – 2023 – rund 230.000 Fahrzeuge hergestellt wurden.

Für den 22. August ist die nächste außerordentliche Betriebsratssitzung bei Audi Brüssel geplant, Dann soll Phase 1 des Informations- und Kommunikationsprozesses gemäß dem Standortsicherungsgesetz (Renault-Gesetz) eingeleitet werden. Zukunft ungewiss.

 

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