
Premierminister De Wever bricht jetzt sein beharrliches Schweigen – auch auf Deutsch!
Von Michael Stabenow
Bart De Wever überlässt nichts gerne dem Zufall. Akribisch bemüht sich der flämische Nationalist, der am 14. Mai seit 100 Tagen an der Spitze der sogenannten Arizona-Koalition stehen wird, um Außenwirkung. Das war schon so, als der Bewunderer des antiken Roms nach seinem Wahlsieg im Oktober 2012 in Antwerpen mit Anhängern spätabends zum Rathaus zog, das für zwölf Jahre sein Amtssitz als Bürgermeister der Stadt werden sollte.
Ähnlich zelebriert wurde der Erfolg der N-VA bei der Parlamentswahl im Juni 2024. Als sich De Wever den jubelnden Parteifreunden zeigte, stand Sohn Hendrik mit einer Standarte samt römischem Adler an seiner Seite. „Rom hat gewonnen“, rief De Wever damals der jubelnden Menge zu.
Knapp ein Jahr später zeigt sich der 54 Jahre alte Politiker – sicherlich nicht frei von Kalkül – von einer anderen Seite. Er schweigt beharrlich, vermeidet öffentliche Statements, geht Interviews, insbesondere mit Zeitungen, aus dem Weg. Am vergangenen Wochenende entschied sich der Regierungschef dazu, sein Schweigen zu brechen. Fast auf allen Kanälen und in den Printmedien lautete De Wevers Tenor: Man sei auf guten Wege, Belgien in eine bessere Zukunft zu führen – aber die Strecke dorthin werde beschwerlich sein und von allen Opfern verlangen.
Sogar auf Deutsch: in einem Gespräch mit dem belgischen Rundfunk (BRF) legte der Regierungschef demonstrativ seine Zuversicht an den Tag. „Ich glaube wirklich, wenn wir dieses Tempo halten, dass am Ende des Tunnels Licht erkennbar sein wird“, sagte der Premierminister, dieses Mal mit Brille und die Augen regelmäßig auf eine Art Spickzettel gerichtet, in erstaunlich wenig holprig klingendem Deutsch.
Hinter dem Regierungschef waren nicht nur Fahnen in den belgischen und europäischen Farben zu erkennen, sondern auch eine ziemlich imposante Plüschversion eines Löwen, der das Streben nach einem stärkeren – laut N-VA-Statut sogar unabhängigen – Flandern verkörpern soll. Gut möglich, dass das Tier mit einem Augenzwinkern ins Bild gerückt wurde. Hatte nicht neulich das in Brüssel und über die Brüsseler Grenzen hinaus viel beachtete Internetportal „Politico“ dem belgischen Regierungschef, wohl wegen eines seiner sarkastischen Sprüche, bescheinigt, er sei „der lustigste Mann der EU“ – jenem De Wever, den man in der Öffentlichkeit allenfalls grinsen, aber kaum herzhaft lachen sieht?
Zu Späßen war der Regierungschef auch bei den Interviews am Wochenende nicht aufgelegt. Es ging ihm vielmehr darum, die Bilanz der ersten 100 Tage der Arizona-Koalition seiner Partei mit den flämischen Sozialisten (Vooruit) und den Christlichen Demokraten (CD&V) sowie den französischsprachigen Liberalen (MR) und der zentristischen Partei „Les Engagés“ in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen.
Tatsächlich sind die ersten Monate der Amtszeit der Regierung einigermaßen geräuschlos verlaufen. Die umstrittene Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf zwei Jahre, Einschnitte bei den Rentenregelungen, die Verschärfung des Asylrechts oder auch der in der Praxis voraussichtlich noch auf hohe Hürden stoßende Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie – all dies wurde auf den Weg gebracht.
Dass in diesem Jahr zusätzlich vier Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt fließen sollen oder müssen, war nicht geplant. Aber die nach dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Donald Trump verstärkten internationalen Spannungen ließen der Regierung keine andere Wahl, als den Anteil der Verteidigungsausgaben rasch auf zwei Prozent des Bruttoninlandsprodukts (BIP) zu steigern. Traditionell rangiert Belgien bei den Verteidigungsausgaben im Kreis der Nato-Partner ziemlich am unteren Ende der Skala.
Das Ziel, bis 2030 die öffentliche Neuverschuldung Belgiens auf drei Prozent des BIP zu drücken, erscheint vor dem Hintergrund der auch durch die Handelsstreitigkeiten mit Washington verschärften Lage als ausgesprochen ehrgeizig. Aber den Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche Steuern aufbürden, das wollen De Wever und die – meisten – seiner Arizona-Mitstreiter tunlichst vermeiden.
In den kommenden Wochen und Monaten wird sich allerdings zeigen müssen, inwieweit sich die Koalitionäre auf eine Art Solidaritätsbeitrag verständigen können. Er soll zehn Prozent auf die Erträge aus Aktien und sonstigen Wertpapieranlagen betragen, soweit sie 10.000 Euro übersteigen. Aber die Details der Regelung sind weiterhin, nicht zuletzt mit den flämischen Sozialisten, umstritten.
Vooruit-Parteichef Conner Rousseau versucht derzeit eifrig, die Politik der Regierung gegen die andauernde Kritik, vor allem von den Gewerkschaften, zu verteidigen. Seine Devise lautet, dass es dank der Sozialisten gelinge, die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soweit wie möglich zu wahren. Dies gilt insbesondere für die Beibehaltung des Systems der Koppelung der Entwicklung der Löhne und Gehälter an die Preissteigerungsrate.
Auch Rousseau ist es indes nicht gelungen, die Gemüter der Kritiker zu beruhigen. Seit Wochen rollt eine Welle von Streiks und „Aktionstagen“ über das Land. Bei der Bahn gab es gut drei Wochen lang jeden Tag Streiks.
Die Proteste lässt die Regierung an sich abperlen. So erläuterte Yvan De Vadder, renommierter innenpolitische Redakteur des flämischen Fernsehsenders VRT, jetzt: „Die Gewerkschaftsbünde werden zwar zu Beratungen eingeladen. Aber die Parteien wiederholen dann stets die Melodie, wonach sie Verständnis für die Protestaktionen haben, aber dass die Reformen notwendig sind und alles allmählich eingeführt wird.“
De Wever, der nach den ersten einhundert Tagen seiner Amtszeit jetzt offenbar in der Öffentlichkeit wieder gesprächiger sein will, hat es in dem Interview mit dem BRF so formuliert: „Wer sich die Mühe macht, den Berg zu erklimmen, wird oben mit einer schönen Aussicht belohnt. Aber leider sind wir noch nicht am Gipfel. Das Ziel ist noch nicht in Sicht. Der Weg ist noch lang. Es ist logisch, dass das Widerstand mit sich bringt, weil die Früchte unserer Entscheidungen erst nach einigen Jahren sichtbar sein werden. Aber ich glaube, dass, was wir machen, absolut notwendig ist und wir das durchsetzen, durchziehen müssen.”
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