Aktuell, Die Leute

Deutschlands Fußball-Botschafterin in Brüssel

Von Heide Newson

Die Fußball-Europameisterschaft der Männer vom 14. Juni bis 14. Juli in Deutschland nähert sich in Windeseile. Im Vorfeld dieser EM, die unter dem Motto „Heimspiel für Europa” und dem Turnier-Slogan „United by football“ steht, lud die deutsche Botschaft in Brüssel die Fußball-Botschafterin und ehemalige Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb ein. Und die erste Schiedsrichterin im deutschen Profifußball, die Spiele zwischen Männermannschaften pfiff sowie Endspiele der Frauen  bei der  Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen leitete, ist eine würdige deutsche Fußball-Botschafterin, wovon sich alle, die sie in Brüssel trafen, überzeugen konnten.

Mit dem Flieger aus Manchester kommend, trifft die am 24. März 1979 in Bad Lauterberg im Harz geborene „Bibi“, wie sie von vielen genannt wird, am 18. April in Brüssel ein, wo sie von einem Termin zum anderen jagt. Zum Pressegespräch in der deutschen Botschaft wird sie von überwiegend belgischen Sportjournalisten erwartet, die sie wie alte Bekannte begrüßt. „Hi, it is lovely to meet you, thanks for your interest and thanks for having me,“ sagt die attraktive Sportlerin in perfektem Englisch – eine Sprache, auf die wir uns im Kollegenkreis geeinigt hatten. „I am sure, we will kick it off, to say it in football terms“, fügt sie lachend hinzu und sorgt sofort für eine sehr entspannte Atmosphäre. Als Deutschlands Fußballbotschafterin sei sie jetzt viel unterwegs und heute hier in Brüssel.

Nachdem Steinhaus es sich im Sessel bequem gemacht hat, beantwortet sie unsere Einstiegsfrage, wie es überhaupt dazu gekommen sei, dass sie als erste Frau Spiele im deutschen Männer-Fußball leitete. Ihre Augen strahlen, als sie über ihre Kindheit und den Anfang ihrer Karriere spricht. Sie sei in einer sportlichen Familie aufgewachsen. „Mein Vater ist ebenfalls Schiedsrichter, und nahm mich als kleines Kind zu Fußballspielen mit, und das fand ich ganz toll”, erzählt sie. Bibiana war als Kind so begeistert vom Fußball, dass sie mit sechs Jahren beim SV Bad Lauterberg mit dem Fußballtraining begann. “Aber als Spielerin hätte ich es nie weit gebracht“, gesteht sie. Ihr Vater habe ihr dann geraten, doch mal probehalber einen Schiedsrichterkurs mitzumachen. Und was sie zuerst gar nicht geglaubt hatte: sie fing Feuer für die Schiedsrichterei. „Mit 16 Jahren leitete ich bereits ein Spiel”, sagt sie nicht ohne Stolz.

Eine steile Karriere nimmt nunmehr ihren Lauf. Mit 20 Jahren wird sie DFB-Schiedsrichterin, leitet Spiele der Frauen-Bundesliga und steigt bei den Männern in die Oberliga Nord und im Jahr 2001 in die Regionalliga auf. Weitere Karriere-Sprünge sind FIFA-Schiedsrichterin und die Leitung von Länder- und UEFA-Women´s Cup-Spielen.

Dann kommt das Jahr 2008. Als erste Frau pfeift Steinhaus ein DFB-Pokalspiel der Männer an – eine Sensation und ein Skandal zugleich. „Frauen und Fußball“, eine Kombination, die gemäß männlicher Vorurteile gar nicht geht. „Ich musste mir schon viele Vorurteile und Vergleiche mit Männern anhören,“ erinnert sie sich. Aber wie konnte sie sich vor den ganz schlimmen „Shitstorms“ im Internet schützen, die damals die Runde machten? “Indem ich keine sozialen Medien bediente“, sagt Steinhaus und schmunzelt souverän, sehr professionell. Sie habe sich vielmehr nur auf das Spiel, die Spieler und Einhaltung der Regeln konzentriert. Auch habe sie es damals nicht ratsam gefunden, sich über Dinge zu beschweren, die sich die heutige Generation von Schiedsrichterinnen oder Fußballerinnen nicht mehr gefallen lasse.

Ständig steht Steinhaua fortan unter Beobachtung und muss sich in einer Männerdomäne beweisen. Mit ihrem Know-how, exzellenter Kondition, Fairness, Ruhe, Einfühlungsvermögen, Pyschologieverstand setzt sie sich in einem männlichen Haifischbecken durch. Sie beweist, dass sich eine Frau professionell erfolgreich auch als Schiedsrichterin im Männerfußball behaupten kann. Und das macht sie, als sie einem Spieler die rote Karte zeigt, dieser dann völlig austickt und rumschreit, dass Frauen im Männerfußball nichts zu suchen hätten. Die Entgleisung des Kickers führt zu einer Geldstrafe und einer mehrwöchigen Sperre. Auf die Frage, ob sie lieber Frauenspiele als Männerspiele angepfiffen habe, sagt Steinhaus, dass das für sie keinen Unterschied mache. Was sie sich von allen Mannschaften wünsche, sei ein faires Spiel.

Sechsmals wurde Bibiana Steinhaus als Schiedsrichterin des Jahres ausgezeichnet. In höchsten Tönen wird sie als beste Schiedsrichterin der Welt gelobt. Und wer hätte das geglaubt? Neben dieser Aufgabe hat Steinhaus eine Ausbildung bei der niedersächsischen Polizei absolviert. Und bis zu ihrem Ausstieg als Schiedsrichterin wurde sie für nahe alle Europameisterschaften, Weltmeisterschaften sowie den Olympischen Spielen der Frauen zugelassen.

 Es war August 2021, als der DFB bekannt gab, dass Steinhaus den Deutschen Fußball-Bund verlassen werde, um künftig in England bei der Schiedsrichtervereinigung als Women´s Select Group Director zu arbeiten – eine Aufgabe, die ihr ungemein viel Freude bereitet. Verheiratet ist sie mit dem ehemaligen englischen Weltklasse-Schiedsrichter Howard Webb, mit dem sie sich über alles austauschen kann, vor allem darüber, dass der Frauenfußball in England mit den aktuellen Rahmenbedingungen völlig neue Maßstäbe setzt. Als großen Unterschied zwischen Frauen- und Herrenfußball nennt sie das Tempo, die Intensität, die Dynamik, die Physis und die andere Spiel-Mentalität. Dennoch räumt sie gründlich mit dem Vorurteil auf, dass der Frauenfußball im Gegensatz zu dem der Männer technisch weniger ausgereift und nicht so hochwertig sei. „Natürlich gibt es Unterschiede, aber das bedeutet nicht, dass Frauen und Männer im Fußball nicht gleichwertig sind. Sie könnten die gleichen raffinierten Spielzüge und spektakulären Tore schießen“, sagt Steinhaus. Einen bevorzugten Spieler oder Spielerin hat sie nicht. „Ich betrachte das Spiel von einer anderen Warte aus, mich beeindrucken Spieler/innen, die sich an die Regeln halten, fair miteinander umgehen, weder schummeln noch foulen.“ Und auf die Frage, wer die besten Chancen hat, die EM 2024 zu gewinnen, wer ihr Favorit sei, bleibt sie diplomatisch. Während allgemein Frankreich die besten Gewinnchancen eingeräumt werden, legt sie sich auf keine Prognose fest. „Bei so einer Meisterschaft kann es viele Unwägbarkeiten geben,“ meint sie und wird ihrer Rolle als Fußball-Botschafterin gerecht. Und es scheint so, dass Steinhaus in ihrer ehemaligen Funktion als Schiedsrichterin ein faires Spiel und Fußballer/innen, die sich an die Spielregeln halten und Respekt voreinander haben, ohnehin wichtiger sind als das Ergebnis der Europameisterschaft 2024.

IMG 0815
Aperture: 2
Camera: iPhone 14 Plus
Iso: 400
Orientation: 6

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.