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Wie eine Familienfeier – 30 Jahre Europanetzwerk Deutsch

Von Reinhard Boest

30 Jahre Europanetzwerk Deutsch! Ein rundes Jubiläum für diese gemeinsame Initiative des Goethe-Instituts und des Auswärtigen Amts, mit der Beamte der europäischen Institutionen und in den EU-Mitgliedstaaten dafür gewonnen werden sollen, die Sprache Goethes zu erlernen. Nicht ohne Erfolg – seit Beginn haben rund 3000 „Eurokraten“ das Programm absolviert.

Allen Grund also, diesen Geburtstag würdig zu begehen. Der Saal der Baden-Württembergischen Landesvertretung (vor dem großen Umbau noch der eigene Saal des Goethe-Instituts) war gut gefüllt. Auch viele Alumnae und Alumni waren gekommen, manche sogar von weit her angereist. Besonderen Beifall gab es für Margit Pfänder, die das Programm am Goethe-Institut Brüssel über 25 Jahre bis 2020 aufgebaut und geleitet hat. Ihre Aufgabe haben jetzt Katrin Schmidt und Isabel Stüker übernommen.

Am Anfang standen Jacques Delors und Klaus Kinkel

Auch wenn es vordergründig um die deutsche Sprache ging, drehte sich der Abend doch letztlich um die Bedeutung der Sprache ganz allgemein. Die Leiterin und EU-Beauftragte des Goethe-Instituts, Elke Kaschl Mohni, erinnerte an die Gründung des Stipendienprogramms, an der Jacques Delors, von 1985 bis 1995 Präsident der Europäischen Kommission, und der damalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel entscheidenden Anteil hatten. Es habe Menschen aus verschiedenen Ländern zusammengeführt, und die Kontakte bestünden oft bis heute. So sei es auch ein Beitrag zu einem in Vielfalt geeinten Europa, „das gleichzeitig eine Herzensangelegenheit ist“. Gerade in den Grenzregionen sei dies erlebbar, weshalb ihr Dank auch der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens galt, die mit einem Deutschkurs in Eupen zu einem gelungenen Start des Programms beigetragen habe. So war es auch kein Zufall, dass die Moderation des abendlichen Podiums und das abschließende kulturelle Highlight von Ostbelgiern bestritten wurden: dem BRF-Direktor Alain Kniebs und der „Spoken Words“-Künstlerin Jessy James LaFleur – beide keine Unbekannten bei Veranstaltungen in Brüssel.

Auch der deutsche Botschafter Martin Kotthaus erinnerte an die Anfangszeit des Programms, 1994 noch unter dem Namen “DeutschLand – Sprachkurse in Deutschland”. Der Fall der Mauer lag erst fünf Jahre zurück, die Europäische Union zählte nur 12 Mitgliedstaaten. Damals hätten, so Kotthaus, viele an das „Ende der Geschichte“ geglaubt – heute wisse man, was für ein großer Irrtum das gewesen sei. In einer immer unübersichtlicher und unberechenbarer werdenden Welt – gerade dokumentiert durch das Wahlergebnis in den USA – müsse sich Europa auf seine Stärken besinnen. „Wir sind die weltweit am besten vernetzte Region, diese Beziehungen müssen wir bündeln“, sagte Kotthaus.

Der deutsche Botschafter betonte, die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Energie, Migration oder Sicherheit ließen sich nicht national lösen. Denn die EU-Staaten verbinde mehr, als sie trenne. Für das Verständnis untereinander spiele die Sprache eine ganz wichtige Rolle, erläuterte Kotthaus. Jeder spreche natürlich am liebsten und am besten in seiner Muttersprache; auch ein Ostbelgier bekomme seinen Strafzettel lieber auf Deutsch. Einen Zugang zu Mentalität und Kultur der anderen finde man aber nur über Kenntnisse von deren Sprache. Das könne er aus eigenen Erfahrungen bestätigen, nicht erst als Diplomat, sondern schon in seiner Jugend als Sohn eines Bauingenieurs, der in vielen Ländern in der ganzen Welt gearbeitet habe. Auch mit synchronisierten Batman-Filmen könne man in Brasilien Portugiesisch lernen, sagte Kotthaus schmunzelnd.

Das Europanetzwerk Deutsch, so der Botschafter, habe dazu beigetragen, dass in den EU-Institutionen mehr Deutsch gesprochen werde. Viel wichtiger sei aber, dass dadurch bei den Programmteilnehmern das Verständnis für Deutschland und auch für seine Anliegen in der EU gewachsen sei. Das Angebot sei angenommen worden und habe Erfolg gehabt.

Muss man noch Sprachen lernen, wo es doch KI gibt?

Die Rolle der Sprache – nicht nur der deutschen – für das gegenseitige Verständnis zog sich dann auch wie ein roter Faden durch das anschließende spannende Podiumsgespräch mit zwei Teilnehmern des Programms, einem Sprachwissenschaftler und einem ehemaligen Diplomaten.

Moderator Alain Kniebs begann mit der provozierenden Frage, ob man angesichts der immer perfekteren Übersetzungsprogramme überhaupt noch Fremdsprachen lernen müsse. Dem widersprach Heiko Marten vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim ganz entschieden: menschliche Kontakte ließen sich nie durch künstliche Intelligenz ersetzen. Nur über die Sprache bekomme man den Zugang zur Kultur und erreiche das Herz seines Gegenüber. Das gelte sogar für geschäftliche Kontakte, was der ehemalige Botschafter Heinrich Kreft speziell aus seinen Erfahrungen in Japan unterstrich; dort müsse man vor allem zwischen den Zeilen lesen können.

Englisch als lingua franca sei zwar zum weltweiten Standard geworden – aber wer spreche schon wirklich gut Englisch, fragte Kreft. Das gelte selbst für Diplomaten, bei denen der Spracherwerb Teil des lebenslangen Lernens sei. Immerhin sei zu beobachten, dass das Auswärtige Amt bei der Einstellungspraxis zunehmend auf “geborene” Mehrsprachler setze. Wenn es “ernst werde”, also etwa bei Rechtstexten, sei oft trotzdem der Rückgriff auf Dolmetscher unerlässlich – was den Gesprächspartnern auch etwas mehr Zeit zum Überlegen gebe, wie Kreft augenzwinkernd bemerkte.

Auf die Frage, ob Deutsch als Fremdsprache eine angemessene Rolle spiele, meinte Marten, dass es mit Englisch nicht mithalten könne. Anfang der neunziger Jahre habe Deutsch in Mittel- und Osteuropa noch Gewicht gehabt, sei dann aber schnell – auch durch entsprechendes Engagement etwa des British Council – verdrängt worden. Jetzt gelte es, Deutsch als “Ergänzungssprache” neben der eigenen Muttersprache und Englisch zu fördern. Insgesamt gebe es bei der Sprachenpolitik in Deutschland  Nachholbedarf; das gelte auch für das Erlernen der Sprachen der Nachbarländer, insbesondere Niederländisch, Polnisch oder Tschechisch.

Von Richard Wagner und “Himmel un Ääd”

Die beiden Teilnehmer am Programm Europanetzwerk Deutsch berichteten auf dem Podium von ihren sehr positiven persönlichen Erfahrungen. Nicht nur hätten sie die Sprache gelernt, sondern darüber hinaus neue und dauerhafte Kontakte geknüpft. Das unterstrich die Italienerin Francesca Siniscalchi, stellvertretende Abteilungsleiterin in der Europäischen Kommission. Wenn sie Alumni aus anderen Ländern treffe, spreche man automatisch Deutsch. Als besonders prägend habe sie Aufenthalte im Rahmen der EU-Kurse “vor Ort” in Deutschland empfunden; so habe sie etwa einen ganz anderen Zugang zu Richard Wagner nach einem Besuch in Dresden und in der Semperoper. Gespräche an der Technischen Hochschule Chemnitz hätten den Blick auf Ostdeutschland relativiert, der oft stark von Pegida oder Rechtsextremismus geprägt sei.

Jorg Kristijan Petrovič, slowenisches Mitglied des Europäischen Rechnungshofs, gab eine einfache Erklärung, warum er – wie viele Menschen aus kleinen Ländern auch – Fremdsprachen gelernt hat: “wer spricht schon Slowenisch?” Er selbst ist seit 20 Jahren dabei und erinnert sich an die Anfänge, vor allem einen Besuch beim Rechnungshof von Nordrhein-Westfalen. Ein für eine Stunde angesetzter Gesprächstermin mit einem deutschen Kollegen habe am Ende fast den ganzen Tag gedauert – und er habe dabei einen deutschen Schlüsselbegriff gelernt: die “Schuldenbremse”.

Das habe offenbar so viel Eindruck gemacht, dass dieses Instrument inzwischen auch Eingang in die slowenische Verfassung gefunden hat. Petrovič meinte augenzwinkernd, dass damals dieser Termin für ein griechisches Netzwerkmitglied vielleicht sinnvoller gewesen wäre. Und ein weiteres – kulinarisches – rheinisches Kulturgut hätte er ohne die deutsche Sprache nie kennengelernt: “Himmel un Ääd”…

Zugvogel im Flug über das Europa der 24 Sprachen

Den Abschluss des Geburtstagsprogramms bildete ein kurzer Auftritt der “Sprachkünstlerin” Jessy James LaFleur aus Kelmis, die schon im vergangenen Jahr im Rahmen der Woche für Deutsch in der Botschaft in Brüssel für Aufsehen gesorgt hatte (siehe https://belgieninfo.net/woche-fuer-deutsch-zwei-liebeserklaerungen-an-ostbelgien/). Leider war sie nur per Video dabei, da sie wegen einer heftigen Erkältung nicht selbst nach Brüssel kommen konnte. Ihr war es aber wichtig, persönlich dem Europanetzwerk Deutsch rzu diesem runden Geburtstag zu gratulieren.

Als “Zugvogel im Flug über das Europa der 24 Sprachen” fühle sie sich dem Gedanken des Europanetzwerks Deutsch eng verbunden. Sprache schaffe Identität, baue aber auch Brücken. “Jede Sprache erschließt eine neue Kultur”, sagte sie und bestätigte die im Laufe des Abends vermittelten Erkenntnisse. Man müsse in einer zunehmend segmentierten Welt mehr anstatt weniger miteinander reden. Auch und gerade in Europa, einem Baum mit vielen (Sprach-)Ästen.

Der Abend klang mit einem Empfang aus, bei dem viele Gäste ein Wiedersehen mit anderen Alumni feiern konnten. Das Europanetzwerk Deutsch erscheint wie eine Familie, die durch die Sprache verbunden ist. Ein schöner Erfolg, dem man eine lange Zukunft wünschen möchte. Gerade in einem Europa, wo politische Kräfte an Gewicht gewinnen, die Sprache und Kultur eher für Abgrenzung als für Zusammenhalt instrumentalisieren.

English version: https://belgieninfo.net/wp-content/uploads/2024/11/Netzwerk-Deutsch-EN.pdf

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