Belgien, Politik

Schwierige Haushaltsverhandlungen auch in der Region Brüssel

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Von Reinhard Boest

Einen Tag nach der Föderalregierung (Belgieninfo berichtete) hat am 12. Oktober der Ministerpräsident der Region Brüssel-Hauptstadt Rudi Vervoort den Haushaltsentwurf seiner Regierung für 2023 vorgestellt. Auch hier ging es vor dem Hintergrund der außergewöhnlich schwierigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen um einen Ausgleich zwischen langfristigen Einsparzielen und aktuellem Handlungsbedarf. Und wie auf der föderalen Ebene war es schwierig, zwischen diesen Zielen einen Kompromiss unter den Partnern der Koalition zu finden (PS, Ecolo/Groen, OpenVLD und DéFi).

Am Ende konnte jeder eine “Trophäe” mitnehmen. Obwohl der Haushalt Einsparungen von 150 Millionen vorsieht (darunter – wohl eher symbolisch – eine Reduzierung der Bezüge der Regierungsmitglieder um 8 Prozent) und auch um 200 Millionen Euro höhere Einnahmen etwa aus Steuern und Zuweisungen des Föderalstaates verzeichnen kann, weist er bei einem Volumen von rund 7 Milliarden Euro ein Defizit von 400 Millionen Euro aus. An dem Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts (abgesehen von “strategischen” Investitionen) im Jahr 2024 soll aber festgehalten werden.

Welche Maßnahmen sind vorgesehen?

Die umfangreichen zusätzlichen Hilfen, die der Entwurf vorsieht, dienen vor allem zum Ausgleich der enorm steigenden Energiekosten für Bürger, Unternehmen und Kommunen. Sie sollen die auf der föderalen Ebene vorgesehenen Maßnahmen (insbesondere Ausweitung des Sozialtarifs, Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie) ergänzen. Zugleich sollen die Abhängigkeit von (fossiler) Energie reduziert und die Energieeinsparung vor allem im Gebäudebereich vorangebracht werden.

200 Millionen Euro sollen die Brüsseler Gemeinden und die örtlichen Sozialhilfezentren (CPAS) zusätzlich erhalten, um die bedürftigsten Familien zu unterstützen, aber auch um die wegen der Indexierung steigenden Gehälter ihrer Bediensteten zu bezahlen. 120 Millionen Euro zusätzlich sollen für kleine und mittlere Unternehmen bereitgestellt werden, auch um die Abhängigkeit von stark schwankenden Energiepreisen zu reduzieren. Der sogenannte nichtkommerzielle Sektor (insbesondere Vereinigungen ohne Erwerbszweck sowie Kultureinrichtungen) soll mit 26 Millionen Euro unterstützt werden, Einzelheiten dazu müssen noch ausgearbeitet werden. 18 Millionen Euro zusätzlich sollen in das Programm “Renolution” fließen, mit dem Maßnahmen zum nachhaltigen Stadtumbau gefördert werden, insbesondere die Gebäudesanierung. 2023 stehen dafür mithin über 100 Millionen Euro zur Verfügung.

Im sozialen Bereich werden die Mittel für die Dienstleistungsschecks auf 250 Millonen Euro erhöht. Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung, unter anderem für Arbeitssuchende, sollen stärker gefördert werden.

Keine Preiserhöhung bei der STIB

Trotz der erheblichen Kostensteigerung für Energie soll das regionale Nahverkehrsunternehmen STIB die Fahrpreise im nächsten Jahr stabil halten. Damit wird der Anreiz höher, angesichts absehbar weiter steigender Benzinpreise statt des Autos die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Für Senioren über 65 Jahre wird es das Jahresabonnement fast gratis geben: es soll künftig statt 60 nur noch 12 Euro kosten, wie es jetzt schon für Schüler der Fall ist.

Der Haushaltsentwurf wird jetzt im Parlament der Region Brüssel Hauptstadt diskutiert. Eine Beschlussfassung soll bis Ende November erfolgen.

Indexierung der Wohnungsmieten abhängig vom energetischen Status

Nicht unmittelbar mit dem Haushalt zusammen hängt die Entscheidung der Brüsseler Regierung, die Indexierung der Wohnungsmieten (ein wenig) zu begrenzen. Für diese Frage sind in Belgien die Regionen zuständig. Auch hier geht es um die Auswirkung der Energiepreise. Die in Belgien übliche Indexierung zu jedem Jahrestag eines Mietvertrags dürfte angesichts der aktuell hohen Inflationsraten diesmal ziemlich heftig ausfallen, zusätzlich zu den gestiegenen Kosten für die Heizung. Der sogenannte Gesundheitsindex, an den dafür in der Regel angeknüpft wird, ist in den letzten 12 Monaten um weit über zehn Prozentpunkte gestiegen (abhängig vom Basisjahr). Sozialisten und Grüne in der Brüsseler Regionalregierung wollten daher generell den Indexsprung auf 2 Prozent begrenzen; damit waren aber die liberalen Koalitionspartner (Open-Vld, DéFi) nicht einverstanden.

Nun gibt es eine Abstufung nach dem energetischen Status der Wohnung, der seit 2011 bei Vermietung (und Verkauf) durch ein PEB-Zertifikat (performance énergétique du bâtiment) nachgewiesen werden muss. Für Wohnraum (Wohnungen und Einzelhäuser) der Klassen A bis D ist eine volle Indexierung möglich, für Klasse E ist sie auf 50 Prozent beschränkt. Für Wohnraum der Klassen F und G mit dem schlechtesten energetischen Status ist keine Indexierung zulässig. Zu den Klassen A bis C gehören in Brüssel nur etwa 16 Prozent der Wohnungen und Häuser, je knapp 20 Prozent zu den Klassen D und E sowie rund 45 Prozent zu F und G (Zahlen für 2020 siehe hier). Voraussetzung ist in allen Fällen, dass der Mietvertrag beim Gericht registriert ist und ein PEB-Zertifikat vorliegt. Ob und welches Zertifikat für eine Wohnung oder ein Haus ausgestellt wurde, kann in einem von “Environnement Bruxelles” geführten Register online abgefragt werden.

Die Verordnung ist am 9. Oktober vom Brüsseler Parlament verabschiedet worden; Zustimmung kam auch aus der Opposition von N-VA und PTB/PVDA, nur die französischsprachigen Liberalen (MR) stimmten dagegen.

Auch in der Wallonie und in Flandern sind Anfang Oktober entsprechende Regelungen getroffen worden, allerdings mit einigen Abweichungen: In Flandern darf für die Klassen A bis C voll indexiert werden, für D zu 50 Prozent und für E und F gar nicht. In der Wallonie sieht die Abstufung so aus: A bis C volle Indexierung, D 75 Prozent, E 50 Prozent und F keine Indexierung (Klasse G gibt es in Flandern und der Wallonie nicht). Die Indexierungsbegrenzung gilt vorerst für ein Jahr.

Pressemitteilung Ministerpräsident Vervoort (französisch)

 

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