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Schnellkurs Brüssel-Belgien-Europa – Manuel Schmitz macht‘s möglich

Von Hajo Friedrich

Ob Lektüre im stillen Kämmerlein oder, besser noch, bei einer persönlichen Führung per pedes – der Stadtführer, Büchermacher und Politikwissenschaftler Manuel Schmitz bietet für alle Semester monumentale Einblicke in die Brüsseler Stadtlandschaft und gleichzeitig in die belgische und europäische Geschichte.

 Brüssel will entdeckt werden, aber für mich war es Liebe auf den ersten Blick“, sagt Manuel Schmitz, der seit 2004 mit seiner Familie in Brüssel lebt. Seit 2016 bietet er Führungen durch seine Wahlheimat an. Kürzlich erschien sein erstes Buch Monumental – Macht und Architektur in Brüssel“

Der reich bebilderte Band beschreibt auf 320 Seiten nicht nur 17 markante Bauwerke „der Reichen und Einflussreichen“, sondern führt in 19 Essays auch tief in die dazugehörige Geschichte ein. Den Auftakt bilden der Brüsseler „Schmuckkasten“, das Rathaus und die Zunfthäuser an der Grand-Place.

Machdemonstrationen

Der flämische Name „Grote Markt“ zeige, dass dieser seit dem 11. Jahrhundert bestehende Siedlungskern zunächst ein Marktplatz, doch auch immer auch ein Platz für Machtdemonstrationen gewesen sei, schreibt Schmitz. Noch heute biete das Ensemble dem geschulten Auge viele „Machtbotschaften“.

Auch den fast vollständig aus dem Stadtbild verschwundenen Stadtmauern widmet Schmitz Aufmerksamkeit. Nach dem Vorbild von Paris wurden auf ihren Resten Prachtstraßen gebaut und wohl nach dem flämischen Wort für Bollwerk – bulwark – als Boulevards bezeichnet.

Bruxellisation“ – Synonym für „Verhässlichung“

Im Vergleich zu vielen anderen Städten Europas hatte Brüssel in den beiden Weltkriegen „Glück im Unglück“. „Brüssel wurde nie zu einer Ruinenlandschaft“, schreibt Schmitz. Das habe die Brüsseler Gemeinden nicht davon abgehalten, nach dem Krieg auch viele hässliche Gebäude und Straßenfluchten zu errichten.

Kein Wunder, dass sich europaweit irgendwann der abwertende Begriff der „Bruxellisation“ eingebürgert hatte. Doch selbst für die radikalste Form des Modernismus, den „Brutalismus“, gebe es Fans, befindet der erfahrene Stadtführer. Anschauungsmaterial bietet bis heute etwa die Gegend um den Nordbahnhof, wo mit der Bürokraten-Stadt „Cité Administrative“ eine Art europäisches Manhattan entstehen sollte.

Nicht zu kurz kommt bei Schmitz auch die belgische Kolonialgeschichte – zwischen 1885 und 1908 beutete König Leopold II. den Kongo-Freistaat mit Zwang und Gewalt quasi als Privatkolonie aus. Mit Ausnahme des sogenannten Afrika-Museums in Tervuren – ursprünglich gebaut für die Kolonialausstellung von 1897 – gibt es heute in Brüssel nur noch wenige Gebäude, die mit dieser dunklen Periode der belgischen Geschichte in direkter Verbindung stehen.

Dazu zählt zuvorderst das vom damaligen Stararchitekten Victor Horta entworfene Haus für Edmond van Eetvelde, der den Kongo für den König verwaltete. Das 1895 errichtete „Hotel van Eetvelde“ liegt am Rande des EU-Viertels im Quartier des Squares, in der Avenue Palmerston und ist – wenn Zutritt möglich – fester Bestandteil der Stadttouren von Manuel Schmitz. Noch heute werde es in den Architekturklassen weltweit als innovatives Meisterwerk diskutiert, heißt es in seinem Buch.

Auch das weltbekannte Atomium verfügt über eine indirekte Verbindung mit dem Kongo. Das Land, Ende der fünfziger Jahre noch eine belgische Kolonie, verfügte über beträchtliche Uranvorkommen. Mindestens 72 Prozent des Urans für die Bomben von Hiroshima und Nagasaki seien aus dem Kongo gekommen, schreibt Schmitz.   

Kathedralen der Macht

Und so geht es weiter. Eine Geschichte nach der anderen reiht sich an – auch bei Schmitz‘ Beschreibung der „Trutzburg Gottes“, der Kathedrale nahe dem Zentralbahnhof. Sie steht unter dem Patronat von gleich zwei Heiligen: dem heiligen Michael und der heiligen Gudula. Auch hier zeige sich, dass sich in diesem, eigentlich der Macht der Kirche dienenden Ort vor allem die Spitzen der Gesellschaft verewigten.      

Dauerbrenner Sprachenstreit

Den bis heute anhaltenden „Zungenkampf“ im Lande fangen wir langsam an zu verstehen, wenn uns Manuel Schmitz durch die Volksvertretungen führt: die Parlamente der Regionen und Sprachgemeinschaften und das föderale Parlament des seit 1830 bestehenden Königreichs Belgien. Selbst für den promovierten Politikwissenschaftler, der bis vor einigen Jahren an den Universitäten in Trier und Löwen unterrichtete, ist Belgiens Staatsaufbau so kompliziert, „dass sein föderales Parlament einem Labyrinth nachgebaut sein müsste“. 

Von den gegenwärtig rund 1,2 Millionen Bewohnern Brüssels hat die Mehrheit einen Migrationshintergrund und dürfte den Sprachenstreit „mit einer gewissen Distanz“ betrachten, so Schmitz. Zumal das Verständnis für Kommunikation in nicht perfekt beherrschter Fremdsprache in Brüssel so ausgeprägt sein dürfte wie sonst nirgendwo auf der Erde.

Dies gilt wohl auch für die EU-Institutionen: Europaparlament, Ministerrat und die Europäische Kommission mit ihrer Zentrale, dem Berlaymont. Letzteres zeige in seiner klaren Formensprache „ikonische“ Qualitäten und sei ungewöhnlich genug, um nicht langweilig zu wirken. „Vielleicht ist es mit seinen Schwächen und Stärken ein gutes Symbol für den europäischen Integrationsprozess“, schreibt Schmitz.

Windkanal EU-Volksvertretung

Auch über die Namensgebungspolitik der EU könnte er ein eigenes Kapitel schreiben, sagt der Politikwissenschaftler. Vor dem Haupteingang des Europaparlaments – nahe der Place du Luxembourg – soll ein Platz, der mal Esplanade Solidarnosc, mal Agora Simone Veil genannt wird, zu Begegnung und Verweilen einladen. So sagen es die Architekten und Parlamentsoberen. Doch tatsächlich hätten die Erbauer mit der Anlage der Gebäude „einen Windkanal gebaut“. Kurz: als „Bedeutungsträger einer europäischen demokratischen Identität“ taugten die Parlamentsgebäude nicht, bilanziert Schmitz.

Überhaupt, der architektonische Charme und kulturelle Reichtum der Stadt beruhe eher auf viele kleinere Strukturen: etwa außergewöhnliche Bahnhöfe, Kulturhäuser, Fabrikgebäude, Schulen, Restaurants und Messehallen. Diesen Bauwerken, aber auch interessanten Wohn- und Appartementhäusern will sich Schmitz in künftigen Büchern widmen. Zurzeit schreibe er an zwei weiteren Büchern: Sommer-Streifzüge durch Brüssel und Brüssel – Porträt einer europäischen Stadt, berichtet Schmitz. 

Wen der Autor mit seiner angenehm lockeren Art des Erzählens auf den Geschmack gebracht und damit den Wunsch nach mehr Infos und Hintergründen geweckt hat, dem sei der eindrucksvolle Anhang seines Buches empfohlen. Dort bieten manche der 650 Fußnoten und hunderte Literaturhinweise viele überraschende Wege zur weiteren Entdeckung des Faszinosums Brüssel/ Belgien.

Fazit: nach der Lektüre gehen wir mit einem erheblich geschärften Blick durch die Brüsseler Straßen und Viertel. Selbst für langjährige Bewohner der Stadt oder regelmäßige Besucher enthält der Band einen großen Fundus an unbekannten oder vergessenen Informationen und Anekdoten über Land und Leute.

Führungen durch Brüssel

Bei seinen „Führungen zu Fuß“ arbeite er auch auf Englisch, „spreche Französisch mit Akzent und ohne Skrupel und verstehe jeden Flamen, außer er spricht den Dialekt Westflanderns“. An manchen Tagen fühle er sich als Belgier, sagt Schmitz Belgieninfo. Auf die Frage, was ihn umtreibe, wie er sich sehe, antwortet er: Ich bin Flaneur und Erkunder, Erklärer und Geschichtenerzähler, Autor und Verlagschef – eben ein Ein-Mensch-Kulturbetrieb“.

Und da er offenbar nie genug von Brüssel bekommt, hat er sich außerdem in den Kopf gesetzt, durch jede Straße der Stadt zu laufen. „Auf etwa 300 Spaziergängen bin ich mittlerweile um die 1400 Kilometer durch die Stadt gestreift“, sagt Schmitz.

Drei interessante Termine bietet Schmitz im kommenden Monat an: am 10. September lautet das Tour-Motto „Reicher Süden: Auf der Sonnenseite des Lebens“, am 20. September „Brüssel: Kapitale Belgiens“ sowie am 30. September„Fokus Grand Place: Kleine Details, große Geschichten“. Erwachsene zahlen 16, Kinder 14 Euro. Bitte vorher unter folgender E-Mailadresse anmelden: schmitzmanuel2@gmail.com.

Der sympathische Stadtführer braucht selbstverständlich auch Einnahmen, um im teuren Brüssel zu überleben. „Ich konnte keinen größeren Verlag für mein Buch gewinnen, also habe ich selbst einen Verlag gegründet: den Endlich Verlag“, sagt Schmitz. Obwohl er schon so lange als Stadtführer arbeite, habe er sich nie wirklich um das Marketing gekümmert. „Ich hatte immer genug Arbeit, aber jetzt muss ich mich selbst vermarkten“, erläutert Schmitz.

Auf seiner Internetseite www.bruxel.site informiert Schmitz über sein umfangreiches Tourenangebot und die nächsten Termine. Hinzu kommt eine neue Seite: www.manuelschmitz.be

Außerdem ist er auf Instagram (https://www.instagram.com/manuelschmitzbxl/) und auf Facebook vertreten (https://www.facebook.com/manuel.schmitz.3517). „Das muss leider sein, gibt mir aber auch die Möglichkeit, über meine verschiedenen Projekte zu informieren“, sagt Schmitz Belgieninfo.

Fotos von Catherine Minala

Das Buch „Monumental – Macht und Struktur in Brüssel“ von Manuel Schmitz hat 320 Seiten und kann für 29,80 Euro über die Internetseite des Autors bestellt werden:  https://www.manuelschmitz.be/ 

 Oder über eine der folgenden Brüsseler Buchhandlungen:

 Gutenberg Buchhandlung in Kraainem https://gutenbergbuchhandlung.be/

Librebook in Ixelles https://librebook.eu/fr/un-lieu-dechanges-et-de-rencontres/

 CIVA Bookshop in Ixelles https://civa.brussels/en/bookshop

(Die Buchhandlung des zu entdeckenden Brüsseler Architekturarchivs – Einkaufsparadies für Architekturfans)

Passa Porta in der Innenstadt https://www.passaporta.be/nl/book-shop

 

 

 

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