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Nicht nur Klappern, auch Hämmern gehört zum politischen Handwerk

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Zum Auftakt des belgischen EU-Ratsvorsitzes

Von Michael Stabenow

Klappern gehört zum Handwerk – man kann dabei sogar auch mal einen Hammer zur Hilfe nehmen. Gesagt, getan zum offiziellen Auftakt der belgischen EU-Ratspräsidentschaft im Brüsseler Egmont-Palast. „Haut das Logo“, schien die Devise zu lauten, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der belgische Premierminister Alexander De Croo auf ein überdimensionales Präsidentschaftslogo aus Schokolade einschlugen – mit Erfolg und einer anschließenden kleinen Kostprobe.

Der kulinarischen folgte am Abend dann die musikalische Galavorstellung bei einem Konzert mit Auftritten belgischer Künstler im Bozar-Kulturtempel. Nicht unerwähnt bleiben sollte in Zeiten des Klimawandels, dass es sich zuvor die EU-Kommissare nicht hatten nehmen lassen, gemeinsam in einem europäisch blau-gold lackierten Elektrobus am Egmont-Palast vorzufahren.

Hoffnung auf die Nation der spurtstarken Sprinter

Das war´s dann aber auch an diesem Tag mit der Symbolik – oder fast. Denn von der Leyen, die einen Teil ihrer Kindheit in Brüssel verbracht hat, besann sich bei der anschließenden Pressekonferenz mit De Croo einer weiteren belgischen Tugend – des Radsports. Man befinde sich, kurz vor der Wahl zum Europäischen Parlament, bei vielen Dossiers der Europapolitik auf der Zielgeraden. Was sei da besser, als jetzt die Geschicke des Ratsvorsitzes Vertretern einer Nation spurtstarker Sprinter anzuvertrauen?

Beim Zusammentreffen der Kommissare mit der belgischen Regierung stand, wie stets zu Beginn eines EU-Ratsvorsitzes eines Mitgliedslands, offiziell die politische Abstimmung für die kommenden sechs Monate auf der Tagesordnung. Auch jetzt galt es in Brüssel, diesen Eindruck zu vermitteln. Genau genommen stehen freilich die Prioritäten des unter dem Motto „Schützen, Stärken, Vorausschauen“ stehenden Ratsvorsitzes (Präsidentschaftsprogramm (europa.eu)) schon seit längerem fest.

Was unter spanischem Ratsvorsitz gelungen ist

Tatsächlich wurden unter spanischem Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte 2023 einige dicke europapolitische Brocken aus dem Weg geräumt. Dazu gehören die Grundsatzeinigung über die seit Jahren blockierte Reform der EU-Asylpolitik und ein überarbeitetes Regelwerk für den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Wirtschafts- und Währungsunion. Auch die durch kurzzeitiges Verlassen des Sitzungsraums durch den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán beim jüngsten EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im Dezember ermöglichte einstimmige Entscheidung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie Moldau zählt zur jüngsten Erfolgsbilanz.

50 Milliarden Euro an Hilfe für Kiew?

Das Thema Ukraine dürfte jedoch nicht nur wegen des andauernden russischen Angriffskriegs die EU-Partner mehr beschäftigen, als es ihnen lieb sein kann. Anfang Februar soll es gelingen, auf einem EU-Sondergipfeltreffen Orbán dazu zu bewegen, die von ihm blockierte europäische Hilfe von 50 Milliarden Euro zugunsten von Kiew freizugeben.

De Croo gab sich nach dem Treffen mit den Kommissaren zuversichtlich, dass dies gelingen werde. Er erinnerte daran, dass es vor EU-Spitzentreffens immer wieder so etwas wie „Brussels doubts“ („Brüsseler Zweifel“) gebe, die sich dann in Wohlgefallen auflösten. Vielleicht setzt De Croo auch auf die innenpolitisch immer wieder erfolgreich erprobte Kunst des „compromis à la belge“.

Zu den heiklen Themen während des belgischen Ratsvorsitzes gehören zum Beispiel die Überprüfung der mehrjährigen EU-Haushaltsplanung für die Jahre 2021 bis 2027 und auch ehrgeizigere klimapolitische Ziele. Auch dem „Sozialen Europa“, einem Herzensanliegen des kurz vor Jahresende im Alter von 98 Jahren verstorbenen früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors, will De Croo neuen Schwung verleihen.

Bevor wir größer werden, müssen wir besser werden“

Hinzu kommt eine Frage, die Europa regelmäßig seit drei Jahrzehnten beschäftigt und die es bisher meist mehr schlecht als recht beantwortet hat: Wie kann eine um neue Mitglieder erweiterte Gemeinschaft ihre Aufgaben besser lösen? De Croos Antwort lautet auf den ersten Blick einleuchtend: „Bevor wir größer werden, müssen wir besser werden.“ Die Erfahrung vergangener Erweiterungsrunden lehrt indes, dass letztlich der politische Druck zur Aufnahme neuer Mitglieder größer ist als die Bereitschaft zur Verbesserung von Entscheidungsverfahren – nicht zuletzt durch eine weitere Einschränkung der Vetomöglichkeiten im Kreis der EU—Partner.

Zweckoptimismus ist eine Eigenschaft, die auch in der Innenpolitik zu den herausstechenden Charakterzügen De Croos zählt. Für den 48 Jahre alten flämischen Liberalen, der seit Oktober 2020 in Brüssel die sieben Parteien umfassende „Vivaldi“-Koalition leitet, fällt der Ratsvorsitz mit der Zeit des belgischen Wahlkampfs zusammen. Da seine Partei Open VLD in jüngsten Umfragen in der Wählergunst in Flandern auf gerade einmal sieben Prozent kommt und damit auf die siebte Stelle abgerutscht ist, steht De Croo in der Heimat vor einer Herkulesaufgabe.

Färbt der Glanz des EU-Ratsvorsitzes auf die Innenpolitik ab?

Dennoch reist der Premierminister kurz nach Beginn des belgischen Ratsvorsitzes nach China. Dahinter dürfte auch das Kalkül stehen, dass De Croo Auftritte auf der großen internationalen Bühne auf die Innenpolitik abfärben könnten. Dass ihm Ambitionen auf ein EU-Spitzenamt nachgesagt werden, nervt De Croo. Der flämischen Zeitung „De Standaard“ sagte er jetzt: „Journalisten hängen manchmal ein Bild auf, das mich fundamental stört. Politiker sollen demnach nur an der eigenen Karriere interessiert sein. Bei der übergroßen Mehrheit meiner Kollegen ist das nicht der Fall.“

Auf den Einwand von „De Standaard“, seine Aussichten, Premierminister in Belgien zu bleiben, seien doch klein, antwortete De Croo mit der für ihn üblichen kräftigen Prise Zweckoptimismus: „Die Chancen sind größer, dass es nicht so kommt, als die, dass es so kommt. Aber sie bestehen.“ Klappern, nicht nur Hämmern gehört für De Croo gewiss zum Handwerk.

Mehr Fotos: https://audiovisual.ec.europa.eu/en/reportage/P-062718

 

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