Von Heide Newson
Eine der schillerndsten Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts reißt die Gäste in der Berliner Landesvertretung von ihren Stühlen, und der Applaus und der Jubel finden kein Ende. Die Rede ist von Marlene Dietrich, die als Diva, Schauspielerin und Chanson-Sängerin in Hollywood geliebt, in Deutschland dagegen wegen ihrer Flucht in die USA während des Zweiten Weltkriegs von vielen Kritikern gehasst wurde. In der Berliner Landesvertretung wurde sie von allen geliebt.
Nein, nicht unbedingt die Marlene Dietrich, die in den 30er und 40er Jahren als Frau im Hosenanzug, Frack und Zylinder, sinnlich geschminkt mit ihrem geheimnisvollen Charme der Unnahbaren die Leinwand eroberte, sondern Alina Lieske, die das Leben der im Jahr in Paris 1992 verstorbenen Stilikone perfekt präsentierte. Lieske leitet seit 2022 das „Theater im Palais Berlin“, steht aber auch selbst auf der Bühne. Unter dem Motto „Die Dietrich – eine Schöpfungsgeschichte“ bringt sie den Zuschauern eine faszinierende Persönlichkeit nahe, deren Haltung gerade im „Hier und Jetzt“ wegweisend sein könnte.
Das Stück von Paul Kaiser zeichnet das Phänomen Dietrich nach und zeigt die Beziehung zwischen Ikone und Mensch. Und diese Beziehung wurde von Alina Lieske mit viel Feingefühl, Gespür, Talent, Emotionen, sowie einer faszinierenden Stimme herausgearbeitet. Die Dietrich – Frau und Künstlerin – ist Triebkraft für das Stück, Ausgangspunkt und roter Faden. Sie ist anwesend auf der Bühne, unabhängig von ihrer Zeit, mehr mit ihrer Kraft als ihrer Lebensgeschichte.
„Hass hat die Welt verändert, die Welt hätte auf die Dietrich hören sollen,“ legte Alina Lieske los. „Sie wollen es mir nicht verzeihen, sie nennen mich eine Verräterin ,“ fuhr sie in Anspielung von Marlene Dietrichs Ausreise in die USA und die amerikanische Staatsbürgerschaft fort, die sie im Jahr 1947 annahm. Und es hätte bestimmt nicht schaden können, wenn die Deutschen der scharfen Gegnerin des Naziregimes mehr Gehör geschenkt hätten. Denn neben ihrer erfolgreichen Hollywoodkarriere war sei vor allem für ihr antifaschistisches Engagement während des Zweiten Weltkrieges bekannt. „Aber damals wollten sie nur Beine, Beine sehen, die Leute waren verrückt danach,“ tönt es in den Raum.
Alina Lieske, alias Marlene Dietrich, spricht über das strenge Regiment ihrer Mutter, über ihre reglementierte, standesgemäße Erziehung in einer preußischen Offiziersfamilie, ihre Ausbildung zur Konzertgeigerin, ihre Heirat mit dem Regieassistenten Rudolf Sieber, ihre Tochter Maria. Eine Diva, eine Rabenmutter habe man sie genannt. Man habe das Geheimnisvolle an ihr geliebt, das Außergewöhnliche, darauf komme es an, ruft sie dem Publikum entgegen, und schmettert gekonnt mit ihrer Marlene Dietrich Erotik deren Song „Nimm dich in Acht vor blonden Frauen,“ in den gemütlichen Raum. Man fühlt sich in der Berliner Landesvertretung fast so heimelig wie im „Theater im Palais“ in Berlin. Mit dem Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,“ unterstreicht Alina die Begegnung von Marlene Dietrich mit Josef von Sternberg und deren Hauptrolle der Lola im „Blauen Engel.“ Ebenso begeistert sie das Publikum mit dem Hit „Ich bin die fesche Lola“, und fesch ist Alina Lieske allemal, die von Ute Falkenau am Klavier begleitet wird. Zum Hals heraus gehangen habe Marlene Dietrich der “Blaue Engel”, den sie überall, auch im Hotel Eden in Berlin, gesungen habe. Ihre kaltschnäuzige Art habe Sternberg gefallen. Er habe ihr stets verruchte Frauenrollen angeboten. Sie sei kein Kind von Traurigkeit gewesen, habe viel Männer und viele Frauen geliebt. Und als Alina „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor singt,“ wird allen ganz warm ums Herz. Bei „Raindrops keep falling on your head“ summen alle mit.
Die Hollywood- und Stilikone der 30er Jahre, so die überwiegende Meinung der Gäste, sei von der Darstellerin Alina Lieske virtuos interpretiert worden. Der Spiegel, essentieller Gegenstand im Leben von Marlene Dietrich, der den Zuschauern im Stück vorgehalten wurde, war stark präsent. Und so mancher fragte sich während des anschließenden Empfangs, ob Marlene Dietrich nur eine Stilikone der 30er Jahre war, oder vielmehr eine starke Frau von heute mit klaren Überzeugungen, und der Bereitschaft, diese zu verteidigen. „Wohl beides,“ so die überwiegende Meinung, und gerade die Darstellung der „Dietrich“ als starke Frau und Künstlerin sei so faszinierend gewesen.
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