
Von Heide Newson
Aus Protest gegen die Sparpakete der Regierung läuft in Belgien seit Montag ein dreitätiger Streik. An allen Tagen seien massive Störungen bei Bahnen, Bussen und der Metro zu erwarten, wurde ich vom Fahrer der Buslinie 71 am Vortag gewarnt. Leider könne er mir noch nicht sagen, welche Busse, Straßenbahnen und Metrolinien betroffen seien. Ich solle mich auf der Webseite des Brüsseler Verkehrsunternehmens STIB informieren. Mit massiven Ausfällen und Verspätungen sei allerdings zu rechnen. Er riet mir, mehr Zeit für meine Fahrten einzuplanen – oder doch ganz einfach zu Hause zu bleiben.

Zu Hause zu bleiben war keine Option. Für den ersten Streiktag am Montag hatte ich einen vollen Terminkalender. Bereits um 8.30 Uhr sollte ich im Gebäude der Gemeindeverwaltung in Ixelles meinen Führerschein, der verlängert wurde, abholen. Ok, dachte ich, das kann ich ja locker und leicht zu Fuß bewältigen, falls die Buslinie 71 ausfallen sollte. Ich hatte Glück. Der 71er schien gerade auf mich zu warten. Na super, sagte ich mir, alles gar nicht so schlimm, und übervoll war er auch nicht. Dann kamen mir Zweifel, ob der öffentliche Dienst nicht streiken würde. Wohl kaum, ich habe doch einen festen Termin, beruhigte ich mich. Mit stark reduzierter Mannschaft – und ein wenig gemächlicher und langsamer als sonst – lief dann mit meinem Behördenkram alles reibungslos. Ich bekam meinen Führerschein, und der nette Beamte war sogar bereit, noch ein paar Stempel auf mein Rentenformular zu drücken, obwohl ich dafür keinen Termin vereinbart hatte.
Die Metro lag lahm
An der Porte de Namur wollte ich die Metro in Richtung Simonis/Elisabeth nehmen. Aber dieser wichtige Verkehrsknotenpunkt, der von den Brüsseler Metrolinien 2 und 6 bedient wird, fiel aus. Na toll, was nun? Ich musste nach Koekelberg, wo ich Freunde treffen wollte – und das in einer Gemeinde, in der ich mich überhaupt nicht auskannte. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein Taxi zu nehmen. „Können Sie mit Bargeld bezahlen? Der Rechner funktioniert nicht, alles läuft heute schief,“ sagte der der genervte Taxifahrer und fügte schimpfend hinzu: „Die meisten Fahrgäste haben überhaupt kein Bargeld mehr dabei.“
Tröstend erwiderte ich ihm: “Ich aber schon!“. Und schwups saß ich im warmen Taxi. Hier und da blieben wir im Stau stecken. Meine Freunde, die ich in Koekelberg treffen wollte, hatten bereits mit drei Buslinien eine wahre Odyssee hinter sich. Die Busse seien so überfüllt gewesen, dass sie kaum hätten atmen können. Sie seien zwischen einem Musiker neben seinem unhandlichen Kontrabass eingeklemmt gewesen und nicht rechtzeitig aus dem Bus gekommen. Nun steckten sie im Taxi in einem fürchterlichen Stau. Frühestens in einer Stunde sei mit ihnen zu rechnen.
Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Ich ging ins nächste Café. Dort schienen sich alle zu kennen. Ich setzte mich mutig an die Bar, bestellte einen Kaffee, und kam direkt mit anderen Gästen ins Gespräch. Die Stimmung war gut. Man war sich einig über die Politiker, von denen sie gar nichts hielten und an denen sie kein gutes Haar ließen. „Wir sind gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Regierung und die Anhebung des Rentenalters,“ sagten sie murrend und stellten klar: “Es trifft immer alles die kleinen Leute“.
Eine aus Sizilien stammende Italienerin, die in der Kommunalverwaltung von Molenbeek arbeitet, erklärte mir, dass die Gemeinde kein Geld für Gehälter ihrer Angestellten habe, sondern dass diese über Bankdarlehen finanziert würden. Ich war sprachlos, auch über die profunden Politikkenntnisse zweier Ukrainerinnen, die die jüngsten Genfer Gespräche zur möglichen Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen ihr Heimatland im Detail verfolgen. All das hatte ich in so einer „Kneipe“, die aber so ganz meinen Geschmack traf, nicht erwartet.

Für die Freunde, die gestresst, verärgert und völlig genervt eintrafen, hatte ich wegen ihrer Verspätung nicht mehr so viel Zeit. Ich musste ja wieder zurück an die Ixeller Teiche, wo ich wohne. Und mein Taxifahrer, der mich abholen wollte, kam einfach nicht zu mir durch. “Ich befinde mich am Place Madou, stecke in einem fürchterlichen Stau, brauche wohl noch eine Stunde“, beschied er mich. Das war mir dann doch zu lang.
Wie aus heiterem Himmel sah ich plötzlich eine Straßenbahn, die mich zum Gare du Midi brachte. Von da komme ich schon weiter, machte ich mir Mut – eine Einschätzung, die mir nette Fahrgästen bestätigten. “Ich arbeite in Dilbeek, musste eine Stunde zu Fuß laufen, um diese Straßenbahn zu kriegen, aber das Laufen tut mir ganz gut,“ stellte ein Fahrgast fest, der mir gegenüber saß.
Am Gare du Midi kam ich dann auch tatsächlich weiter. Ich hatte sogar mehrere Optionen, entschied mich aber bis zur Porte de Hal zu fahren und von dort aus zu Fuß bis zur Avenue Louise zu laufen. Dort konnte ich eine Straßenbahn der Linie 8 in Richtung „Heimat“ erwischen. Unterwegs kam ich gerade wegen des Streiks und der gemeinsamen Suche nach Fahrmöglichkeiten mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Einige fluchten über die Politiker, andere waren frustriert und genervt wegen der Ausfälle der öffentlichen Verkehrsmittel. Aber die meisten Menschen, die ich getroffen habe, haben den ersten Streiktag – wie auch ich – mit einer erstaunlichen Gelassenheit ertragen.







Beiträge und Meinungen